Wenn die Orgel eine Band ersetzt
Der Zeitpunkt für das 1. Internationale Orgelfestival in Augsburg hätte nicht besser gewählt werden können, ist die Orgel doch das Instrument des Jahres 2021. In Sachen Superlative kann dem unbestritten größten Instrument nichts und niemand das Wasser reichen. Am Samstag gastierte der virtuose Organist István Ruppert, Dozent an der Franz-Liszt-Akademie Budapest und Advokat der zeitgenössischen ungarischen Musik, in den Ulrichskirchen. Ruppert hat Talente, die für zwei Leben reichen. Er ist nicht nur Solist, Kantorleiter und diplomierter Maschinenbauer, sondern kann auch auf eine Karriere als Profifußballer in der ersten ungarischen Liga zurückblicken.
So ist das Konzert in zwei Halbzeiten gegliedert, spräche man von einem Länderspiel, gehörte die erste Hälfte Ungarn, die zweite Italien. Gleich die eröffnende Toccata von Frigyes Hidas versetzt das Publikum in eine rappelvolle Budapester Straßenkneipe, in der man die Donau beobachtet, mit rasend schnellen Tastenläufen als Wellen und Stromschnellen. Im Hintergrund vertonen Bassfanfaren die Geschäftigkeit auf den Straßen. Ein Organist vermag mit vier Extremitäten ein Orchester zu ersetzen. Oder eine Balkan Brass Band, wie in Rupperts Version eines Bartók-Stücks, über dessen dumpf klingenden CˇocˇekRhythmus stechend klare Prinzipalen erstrahlen. Dagegen wirkt sein Pilgerchor aus Wagners Tannhäuser wie ein brav gescheitelter Schulbub.
Als Kontrast zur im barocken Originalgehäuse erhaltenen Orgel in evangelisch St. Ulrich, geht es zum zweiten Teil hinüber in die mehrere Stockwerke hohe Basilika und ihrer massiven Ulrichsorgel. Ungewöhnlich ist, dass sich dort die Darbietung der italienischen Orgelmusik zwangsweise im Rücken des Publikums abspielt. So beeinflussen die Figuren im Altarraum die Bilder vor dem geistigen Auge. Die triumphalen Klänge aus Nabucco wirken angesichts des gekreuzigten Jesus fast unangemessen, die Sinfonia des Komponisten Morandi in dieser Atmosphäre dagegen wie ein Sakralwerk, bis ein schiefer Walzerteil daran erinnert, dass keine Messe gefeiert wird, sondern ein Instrument.
Ruppert vermochte auf kurzweilige Weise die Vielseitigkeit der Orgel beweisen. Nur in das abschließende All’Offertorio von Davide da Bergamo die Melodie der deutschen Nationalhymne einzubauen, ist angesichts des Themas „Italienische Orgelmusik“fast so unerhört, wie Ananas auf eine Pizza zu legen.