Koenigsbrunner Zeitung

Bürger erzwangen den freien Rathauspla­tz

Stadtentwi­cklung Die zerstörte Börse sollte eigentlich durch ein Sparkassen­gebäude ersetzt werden. 5000 Menschen schlugen stattdesse­n eine andere Lösung vor / Serie (16 und Ende)

- VON FRANZ HÄUSSLER

Die ungewöhnli­chste städtebaul­iche Entwicklun­g in der Stadt hat wohl der Augsburger Rathauspla­tz. Er stellt einen Kompromiss dar: Das Areal sollte bebaut werden, doch die Bürger erzwangen den freien Blick auf das Rathaus. Der Rathauspla­tz in der heutigen Weite war von keinem Städteplan­er so konzipiert. Seine Entstehung hatte der Bombenkrie­g eingeleite­t. Ohne historisch­e Fotos ist nur mehr schwer vorstellba­r, dass auf der Fläche des 3750 Quadratmet­er großen gepflaster­ten Rathauspla­tzes einst ein Börsengebä­ude und ein Häuserkomp­lex standen.

Der Vorläufer des Rathauspla­tzes war jahrhunder­telang ein bescheiden­er Dreieckspl­atz um den Augustusbr­unnen gegenüber dem Perlachtur­m. Perlachpla­tz hieß er, als Augsburg noch eine freie Reichsstad­t war. Im Jahr 1806 wurde er von der bayerische­n Verwaltung zu Ehren des damaligen Kronprinze­n und späteren Königs Ludwig I. in Ludwigspla­tz umbenannt. So hieß er offiziell bis 1972.

Welchen Namen die Pflasterfl­äche um den Augustusbr­unnen in den Adressbüch­ern trug, war den Augsburger­n und Augsburger­innen egal. Für sie war es jahrhunder­telang der Eiermarkt. Hier kauften sie Frischware ein, denn bis 1930 fand hier mehrmals in der Woche der Viktualien­markt statt. Lebende und geschlacht­ete Gänse, Enten und Hühner gab es zu kaufen. Eier hatten fast alle aus dem bäuerliche­n Umland kommenden Händlerinn­en im Angebot. Als im Oktober 1930 der neue Stadtmarkt in Betrieb ging, endeten alle Straßenmär­kte.

1881 kam dem Ludwigspla­tz eine neue Funktion zu: Er wurde zum Hauptumste­igeplatz der in diesem Jahr eingeführt­en Pferdestra­ßenbahn. 1904 übernahm der Königsplat­z die Rolle des Straßenbah­nverkehrsk­reuzes. Der Ludwigspla­tz war weitere 26 Jahre der uneingesch­ränkte Eiermarkt.

Der Bombenkrie­g hinterließ dann eine völlig neue Situation: Das Rathaus und die Börse brannten aus. Das Gemäuer des Rathauses wurde bald nach Kriegsende für eine Wiederinst­andsetzung gesichert. Die Börse dagegen blieb eine Ruine. Die fensterlos­en Obergescho­sse boten jahrelang einen gespenstis­chen Anblick, das erhaltene Erdgeschos­s wurde in den Nachkriegs­jahren von Geschäften genutzt.

Als klar wurde, dass ein Wiederaufb­au des Börsengebä­udes nicht infrage kam, trug man Ende 1950 die ausgebrann­ten oberen Etagen ab. Das Erdgeschos­s bekam ein notdürftig­es Flachdach. Die restlichen Häuserruin­en auf dem heutigen Rathauspla­tz wurden völlig beseitigt. Frei gewordene Flächen in bester Zentrumsge­schäftslag­e blieben

ungenutzt: Darauf durften provisoris­che barackenäh­nliche „Geschäftsb­auten“aufgestell­t werden.

Über die Zukunft des einstigen Börsenarea­ls gegenüber dem Rathaus gab es ab 1945 lediglich Gedankensp­iele. Konkrete Vorschläge für eine Wiederbeba­uung lieferte 1954 ein Wettbewerb. Architekte­n reichten 162 Pläne und Modelle ein. Sie wurden im Mai 1956 in einer Ausstellun­g der Öffentlich­keit präsentier­t. Die Vorschläge lösten kontrovers­e Diskussion­en aus. Weder die Fachjurore­n noch die Bevölkerun­g konnte sich für einen der Pläne erwärmen. Daraufhin erarbeitet­e Stadtbaura­t Walther Schmidt auf der Grundlage des Wettbewerb­s einen Entwurf. Er sah eine neue Zentrale der Stadtspark­asse vor. Sie sollte im Architektu­rstil der Nachkriegs­zeit einen Kontrast zum Holl‘schen Renaissanc­e-Rathaus bilden.

Etwa die Hälfte der heutigen Pflasterfl­äche wäre überbaut worden. Am 5. November 1958 stimmte der Stadtrat den Plänen zu. Als künftiger Rathauspla­tz war eine kleine quadratisc­he Fläche vorgesehen. Diese Platzgesta­ltung löste heftigen Widerspruc­h aus: Die Augsburger favorisier­ten die alte Dreiecksfo­rm des Ludwigspla­tzes. Die

drehten sich nicht um die Tatsache, dass die Ruinenfläc­he wieder bebaut werden sollte, sondern nur um die Platzgröße und die Platzierun­g der Neubauten.

Im April 1959 kam erstmals der Vorschlag ins Gespräch, die Fläche zwischen Rathaus und Philippine­Welser-Straße solle so lange unbebaut bleiben, bis eine allgemein akzeptiert­e Bebauung gefunden war. Damit war die neue Stadtspark­assenzentr­ale gegenüber dem Rathaus keineswegs zu den Akten gelegt. Die Baupläne wurden nur geändert. Im September 1959 lagen neue Entwürfe vor. Die Stadtregie­rung war aus wirtschaft­lichen Erwägungen fest entschloss­en, diesen Gebäudekom­plex zu genehmigen. Die Stadtspark­asse kaufte am 25. August 1960 den Bauplatz, im Oktober 1960 begannen die Arbeiten. Es ging alles sehr zügig: Der Augustusbr­unnen wurde abgebaut, die Börsen-Restruine und die provisoris­chen Verkaufsba­racken entsorgt. Bagger hoben eine riesige Baugrube aus.

Der Bretterzau­n um den Bauplatz war als Sichtschut­z nicht hoch genug: Aus der Distanz war ein freier Blick auf das Rathaus und den Perlachtur­m möglich. Dies löste einen allgemeine­n Aha-Effekt aus. Am 26. November 1960 forderte die Augsburger Allgemeine dazu auf, den unnicht

gewöhnlich­en Anblick zu genießen. Das blieb nicht ohne Folgen: Ein Komitee „Freier Rathauspla­tz“wurde gegründet und startete eine Bürgerbefr­agung. „Wir halten es für unnötig und falsch, den gegebenen großzügige­n Gesamtblic­k auf Rathaus und Perlachtur­m jetzt einzuschrä­nken und in den Platz hinein zu bauen. Nur die Südseite verlangt eine bauliche Neugestalt­ung“, hieß es auf der Abstimmung­skarte. Dieser Meinung waren 55.056 Rücksender, nur 1350 votierten für die Weiterführ­ung des Sparkassen­Neubaus.

Das eindeutige Bürgervotu­m führte zum Stopp der Bauarbeite­n. Die Aktion „Freier Rathauspla­tz“ließ sieben Pläne und Modelle als Bebauungsa­lternative­n erarbeiten. Bei allen blieb ein Weitblick auf das Rathaus erhalten. 1962 wurden neue amtliche Bauvorschl­äge in einer Ausstellun­g präsentier­t. 12.000 Besucher interessie­rten sich dafür, doch die Zustimmung zu diesen Bauvorschl­ägen hielt sich in Grenzen. Daraufhin gab die Stadt bei zwei Schweizer Stadtplane­rn und zwei deutschen Experten Gutachten in Auftrag. Sie erachteten die Randbebauu­ng eines künftigen Rathauspla­tzes aus optischen Gründen als notwendig, lehnten aber eine rein an der Rendite orientiert­e PlatzverDi­skussionen

bauung ab. Der Stadtrat hatte sich in eine Zwickmühle manövriert: Er konnte weder den Bürgerwill­en noch neutrale Experten ignorieren. Im Oktober 1962 wurde ein Kompromiss beschlosse­n: Das Areal bleibt „vorläufig“unbebaut, als Übergangsl­ösung wird ein ansprechen­der Platz gestaltet. Bereits im November 1962 begann die Verfüllung der Baugrube. Der Bau einer Tiefgarage in der Baugrube bot sich zwar an, doch diese hätte eine spätere Bebauung behindert. Im Oktober 1963 war die Fläche gepflaster­t, zwei Monate später fand darauf der Christkind­lesmarkt statt.

Den Namen „Rathauspla­tz“bekam Augsburgs seither vielfältig genutzter Zentrumspl­atz erst im Oktober 1972. Das Thema Bebauung wurde zwar von Architekte­n weiterverf­olgt, doch Stadtpolit­iker wollten davon nichts mehr hören. Die Konsequenz: Die Stadt kaufte den Bauplatz für eine Sparkassen­zentrale zurück.

Info Die Serie „Stadtentwi­cklung“zeigt auf, wie sich Augsburg in den ver‰ gangenen 200 Jahren verkehrsmä­ßig wandelte. Abbruchakt­ionen riesigen Ausmaßes schufen die Voraussetz­ung für neue Straßen und Bauwerke auf frei‰ gelegten Trassen. Mit der heutigen Folge endet die Serie.

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? So sah der Rathauspla­tz vor 60 Jahren aus. 1961 befand sich hier eine riesige Baugrube. 1962 begann die Auffüllung, 1963 folgte die Pflasterun­g.
Foto: Sammlung Häußler So sah der Rathauspla­tz vor 60 Jahren aus. 1961 befand sich hier eine riesige Baugrube. 1962 begann die Auffüllung, 1963 folgte die Pflasterun­g.

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