Koenigsbrunner Zeitung

Passt das denn zusammen?

- VON PIET BOSSE

Politik Ob es zu einer Ampel-Koalition kommt, hängt entscheide­nd von FDP und Grünen ab. Zwei Parteien, die auf den ersten Blick mehr trennt, als eint. Oder stimmt das gar nicht? Mal sehen – bei einem Treffen von Mitglieder­n der Grünen Jugend und der Jungen Liberalen

München Die Idee kam ihm mitten in der Nacht. Zaim Sari konnte nicht schlafen in seiner Studentenw­ohnung in Garching bei München, auf einmal dachte er sich: „Ich muss etwas tun.“Und das tat er. Noch in jener Nacht habe er eine Mail an die Grüne Jugend geschriebe­n, erzählt der 23-Jährige aus Bielefeld während er in der U-Bahn fährt. Sari, blauer Wollpullov­er, schwarze Hose, ist seit Sommer vergangene­n Jahres Mitglied der unabhängig­en Jugendorga­nisation von Bündnis 90/Die Grünen in München. Und damit einer von vielen jungen Menschen, die sich politisch engagieren.

Aber was treibt ihn, was treibt den Parteinach­wuchs an – nicht nur den der Grünen, auch den der FDP? Das sind ja jene Parteien, die zusammen mit der SPD die nächste Bundesregi­erung stellen dürften – wenn die Koalitions­verhandlun­gen nicht doch noch scheitern sollten. Auf Grüne und FDP kommt es dabei in den nächsten Tagen besonders an, darauf, dass sie zueinander­finden. Auch: dass sie ideologisc­he Gräben überwinden. Die linke Berliner Zeitung taz formuliert­e es so: „Mit einer Partnersch­aft von FDP und Grünen werden zwei unterschie­dliche politische Kulturen und Milieus zusammenfi­nden, die eigentlich nicht zusammenge­hören.“Das Zusammenge­hen der beiden Parteien habe etwas Antagonist­isches. Heißt laut Duden: etwas „Gegensätzl­iches, Widerstrei­tendes“.

Darüber soll jetzt gesprochen werden: im Café Jasmin in der Münchner Maxvorstad­t, in dem sich Zaim Sari mit Francesca Rieker, beide von der Grünen Jugend, und Maximilian Funke-Kaiser trifft.

Sie wollen eine digitale und offene Gesellscha­ft

Der Augsburger ist Landesvors­itzender der Jungen Liberalen in Bayern, im Landesvors­tand der FDP Bayern und seit kurzem auch Bundestags­abgeordnet­er. Ihr Treffen: Ein wenig wie Koalitions­verhandlun­gen im Kleinen. Schnell wird deutlich, dass alle drei nicht nur Wollpullov­er tragen, sondern alle drei auch „Aufbruch“und „Veränderun­gen“wollen.

Was auch gleich auffällt: Der 28-jährige Funke-Kaiser hat Erfahrung mit solchen Gesprächsr­unden. Hier, auf einem beigen Sofa, sitzt er leicht nach vorne gebeugt, die Beine übereinand­ergeschlag­en, die Hände an den Fußknöchel­n. Er spricht deutlich und strukturie­rt. Selbstbewu­sst. Auf die Frage, wie sein Wunsch-Deutschlan­d der Zukunft aussehe, antwortet er: „Mein Wunsch-Deutschlan­d ist für mich eine offene Gesellscha­ft, die modern, zukunftsge­richtet und digital und bestenfall­s 2030 schon klimaneutr­al ist.“Francesca Rieker stimmt ihm zu, Funke-Kaiser ergänzt: „Ich denke, dass wir auf Bundeseben­e mit starker FDP, aber auch mit den Grünen durch Modernisie­rungen einen Aufbruch hinbekomme­n, der die letzten 16 Jahre einfach gefehlt hat. Das war verschenkt­e Zeit, die müssen wir jetzt nachholen.“

Francesca Rieker, 23 Jahre alt, aus der Nähe von Heilbronn und Soziologie­studentin, mangelt es auch nicht an Selbstbewu­sstsein. Sie wünsche sich ebenfalls eine digitale und offene Gesellscha­ft, sagt sie, und noch etwas anderes: „Ich wünsche mir vor allem auch eine feministis­che Gesellscha­ft, in der Rassismus nicht mehr Tag für Tag gang und gäbe ist. Eine Gesellscha­ft, in der der Osten nicht mehr so benachteil­igt ist.“Zaim Sari sagt, dass er sich eine sozial gerechtere Gesellscha­ft wünsche, in der die Schere zwischen Arm und Reich nicht mehr so weit auseinande­rgehe. „Vielleicht ist die Gesellscha­ft in 20 bis 30 Jahren keine Schere mehr, sondern vielleicht eher eine Gabel“, scherzt der Wirtschaft­sinformati­kFrancesca Rieker muss lachen. Die Stimmung ist locker im Café Jasmin.

Ob es bei den Koalitions­verhandlun­gen in Berlin auch so sein wird? So harmonisch, wie es dieses inzwischen berühmte Selfie vermitteln sollte? Auf dem Selbstausl­öser-Foto waren vor ein paar Wochen die Grünen-Vorsitzend­en Annalena Baerbock und Robert Habeck mit FDPChef Christian Lindner und FDPGeneral­sekretär Volker Wissing zu sehen. Leger gekleidet, in vertrauter Runde. Das Foto ging viral. Und ein Experte erklärte, die Aussage des Fotos sei: „Wir wuppen das.“Es stehe für einen Aufbruch und solle andere Bilder und Sätze vergessen machen, zum Beispiel Lindners „Lieber nicht regieren als schlecht regieren“.

Während in Berlin nun also nach weiteren Gemeinsamk­eiten gesucht wird, muss Maximilian Funke-Kaiser in der Hauptstadt erst einmal eine Wohnung suchen. Es ist ein großer Schritt, der nächste seiner überaus schnellen Karriere als Politiker. Eine Karriere, die Zaim Sari und Francesca Rieker nicht vorschwebt. Noch nicht. Aus dem operativen Geschäft der Unternehme­n, in denen er Geschäftsf­ührer und geschäftsf­ührender Gesellscha­fter ist – eine Immobilien­verwaltung, eine Beratung und ein Abrechnung­sservice – habe er sich zurückgezo­gen, um sich voll auf sein Bundestags­mandat konzentrie­ren zu können, erzählt Funke-Kaiser. Und erinnert sich daran, wie es bei ihm anfing mit der Politik. 2013 durfte er erstmals an einer Bundestags­wahl teilnehmen. Damals habe er sich mit den verschiede­nen politische­n Strömungen befasst und sich schließlic­h im Liberalism­us wiedergefu­nden.

„Ich habe mir damals gedacht, dass ich mal etwas Neues ausprobier­en möchte, und dass ich vor allem mithelfen möchte, die FDP wieder aufzubauen“, sagt er. Die Partei hatte zu dieser Zeit nicht den besten Ruf, wurde aus dem Bundestag und dem bayerische­n Landtag gewählt. Funke-Kaiser trat der FDP und den Jungen Liberalen bei. Das „Lebensgefü­hl“und, dass man dem Einzelnen etwas zutraue, das habe ihn fasziniert, sagt er. Es fasziniere ihn noch heute.

Anders als bei ihm und nicht so geradlinig war es bei Francesca Rieker und Zaim Sari. Sie wurden Mitglieder der Grünen Jugend in Zeistudent. ten, in denen „grüne Themen“und auch „grüne Politik“immer breitere Zustimmung erfuhren: die Klimakrise, Fridays for Future, zehntausen­de Kinder und Jugendlich­e, die für mehr Umweltschu­tz und eine bessere Zukunft demonstrie­ren. 16000 Mitglieder zählte die Grüne Jugend im Sommer 2021 laut dem Statistik-Portal Statista, mehr als doppelt so viele wie noch drei Jahre zuvor.

Rieker ist seit anderthalb Jahren in der Grünen Jugend aktiv, politisier­t worden sei sie aber viel früher, sagt sie. Und zwar mit zwölf Jahren, als sie sich mit den Themen Massentier­haltung und der Benachteil­igung von Tieren beschäftig­t habe. In der Politik, sagt sie, habe sie sich selbst nicht gesehen. „In Feldern wie Filmen oder der Politik werden Menschen wie ich, also Menschen, die nicht weiß sind, oder auch welche, die sich nicht als Frau oder Mann identifizi­eren, nicht abgebildet.“Lange habe sie deshalb nicht daran gedacht, sich politisch zu engagieren. „Irgendwann konnte ich nicht mehr zusehen und nichts machen, dann habe ich mich entschiede­n, zur Grünen Jugend zu gehen.“Schon vorher hatte sie die Grünen gewählt, deren Werte hätten einfach gepasst. Francesca Rieker ist im „Vielfaltst­eam“der Grünen Jugend, in dem sie mit anderen an Strategien arbeitet, um Menschen mit Migrations­hintergrun­d zu integriere­n. Sie spricht schnell und entschloss­en, voller Tatendrang.

Maximilian Funke-Kaiser schaut immer mal wieder auf sein Handy: Was gibt es Neues aus dem politische­n Berlin? Im Münchner Café geht es da bereits um die Frage, was sich der Parteinach­wuchs von einer Ampel, also einer Koalition aus SPD, FDP und Grünen erhofft. In der Grünen Jugend gebe es keine Ampel-Euphorie, sagt Rieker. „Wir hätten uns eigentlich eine andere Koalition gewünscht, aber das ist das Beste, was wir jetzt kriegen können.“Besser zumindest als eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, findet Sari, der sich, anfangs noch zurückhalt­end, mehr und mehr ins Gespräch einschalte­t. Er hätte sich ein rot-rot-grünes Regierungs­bündnis aus SPD, Linksparte­i und Grünen gewünscht.

Nach den Gemeinsamk­eiten also das Trennende. Obwohl alle Klimaschut­z wollten, beginnt Rieker, gebe es unterschie­dliche Methoden.

„Ihr setzt“, sagt sie zu Funke-Kaiser, „eher auf neue Technologi­en und auf einen CO2-Deckel – und wir würden sagen, dass es noch einige andere Maßnahmen braucht, um Klimaschut­z wirkungsvo­ll umsetzen zu können.“Zaim Sari ergänzt, dass die Maßnahmen auch sozial verträglic­h sein müssten, Rieker fährt fort: „Neben einem CO2-Deckel schlagen wir auch vor, Busse und Bahnen gescheit auszubauen.“

Sie rechnet damit, dass die Grünen in den Koalitions­verhandlun­gen Abstriche werden machen müssen. Wird sie enttäuscht sein? „Man muss sich in der Mitte treffen, obwohl die Mitte dann weit von unseren eigentlich­en Werten entfernt ist.“Die Mitte. Funke-Kaiser entgegnet, die FDP sei eine starke Kraft der Mitte.

So sprechen sie an diesem Nachmittag, und damit anders, als es die gängigen Klischeevo­rstellunge­n erwarten hätten lassen. Hier die ÖkoAktivis­ten, dort der Junguntern­ehmer? Die Wirklichke­it ist komplexer.

„Ich glaube, die Klischees sind noch in den Köpfen der Menschen, aber gefühlt relativier­t sich das meistens schnell“, sagt Zaim Sari. Aber klar: In den Jugendorga­nisationen der Parteien finde sich schon ein gewisses Klientel. Zur Grünen Jugend seien in den vergangene­n Jahren beispielsw­eise ganz viele Leute von Fridays for Future gekommen. Auch Rieker meint: Wenn man sich ein bisschen mehr inhaltlich mit den Parteiprog­rammen auseinande­rsetze, wisse man, dass die Grüne Jugend nicht nur für Klima stehe und die Jungen Liberalen nicht nur für Start-ups und Unternehme­rtum. „Sondern, dass da viel mehr dahinter steckt.“Sie seien junge,

Junge Menschen interessie­ren sich für Politik

moderne Menschen, die nicht nur barfuß rumliefen und Dreadlocks haben, sagt sie über die Grüne Jugend. Und Funke-Kaiser von den Jungen Liberalen sagt: „Ich bin kein Freund von Schubladen­denken. Und was ist falsch daran, ein Startup zu gründen oder sich für das Klima einzusetze­n?“Man könne beides vereinen.

Grüne und FDP: Bei der Bundestags­wahl hat etwa die Hälfte aller unter 25-Jährigen eine der beiden Parteien gewählt. Viele hat das erstaunt. Jugendfors­cher Simon Schnetzer aus Kempten im Allgäu sprach davon, die letzte Regierung habe junge Wählerinne­n und Wähler enttäuscht. Von einem Vertrauens­bruch vor allem mit der Union spricht auch Zaim Sari. Und behauptet, in CDU und CSU kämen Korruption­sfälle wie die Maskenaffä­re häufiger vor als in anderen Parteien. Funke-Kaiser glaubt, nicht nur der Klimaschut­z, sondern auch die Digitalisi­erung in Bildung, Verwaltung und Infrastruk­tur habe bei der Wahlentsch­eidung für die FDP eine Rolle gespielt. „Hinzu kommt, dass vielen jungen Leuten bewusst ist, dass der Wohlstand, den wir heute haben, keine Selbstvers­tändlichke­it ist, sondern erst erwirtscha­ftet werden muss.“Diese Erfahrung habe er im Wahlkampf an Infostände­n gemacht.

Widerspruc­h von Francesca Rieker: Die Grünen seien bei jungen Menschen unter 30 beliebt, weil sie zukunftsge­richtet seien. Und der Klimaschut­z sei für junge Menschen das übergeordn­ete Thema.

Darüber ließe sich streiten. Maximilian Funke-Kaiser will das offensicht­lich nicht. „Die Leute rennen uns die Bude ein“, sagt er über Mitglieder­zuwächse bei den Jungen Liberalen. Und fragt Sari und Rieker: „Ich finde, dass Politikmac­hen im Jahre 2021 en vogue ist. Wie schätzt ihr das ein?“Dann erwähnt er noch, dass sich junge Leute engagieren, für etwas kämpfen und auf die Straße gehen wollten. Und da herrscht wieder Einigkeit im Café in der Münchner Maxvorstad­t.

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Maximilian Funke‰Kaiser vertritt die Jungen Liberalen.
 ?? Fotos: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa; Piet Bosse (3); Volker Wissing, picture alliance/dpa/FDP/Instagram ?? SPD, FDP und Grüne müssen sich in ihren Koalitions­verhandlun­gen jetzt auf ein gemeinsame­s Regierungs­programm verständig­en. An den Gesprächen sind insgesamt 300 Po‰ litikerinn­en und Politiker beteiligt.
Fotos: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa; Piet Bosse (3); Volker Wissing, picture alliance/dpa/FDP/Instagram SPD, FDP und Grüne müssen sich in ihren Koalitions­verhandlun­gen jetzt auf ein gemeinsame­s Regierungs­programm verständig­en. An den Gesprächen sind insgesamt 300 Po‰ litikerinn­en und Politiker beteiligt.
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Francesca Rieker engagiert sich bei der Grünen Jugend.
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Auch Zaim Sari ist Mitglied der Grünen Jugend.
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Berühmtes Selfie mit (von links) Wis‰ sing, Baerbock, Lindner und Habeck.

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