Koenigsbrunner Zeitung

Kehrt in Ägypten nun politische Normalität ein?

Hintergrun­d Seit Jahrzehnte­n ist die Verhängung des Ausnahmezu­stands Alltag für das Land am Nil. Nun hebt Präsident Sisi das Unterdrück­ungsinstru­ment auf. Dahinter steckt massiver Druck der USA

- VON THOMAS SEIBERT

Kairo Von wenigen Unterbrech­ungen abgesehen, leben die Ägypter seit 1967 unter dem Ausnahmezu­stand. Die Sicherheit­sbehörden haben weitgehend freie Hand bei der Verfolgung von Regierungs­kritikern und laut Menschenre­chtlern rund 65000 Menschen aus politische­n Gründen eingesperr­t. Kritiker werfen gerade auch dem aktuellen Präsident Abdel Fattah al-Sisi vor, jeden Widerspruc­h unerbittli­ch zu unterdrück­en. Deshalb ist es bemerkensw­ert, dass Sisi den Ausnahmezu­stand jetzt offiziell aufgehoben hat. Sisi zielt mit seiner Entscheidu­ng vor allem auf den mächtigen Unterstütz­er USA, der von ihm Fortschrit­te bei den Menschenre­chten sehen will.

Gerade mal vier Jahre ohne Ausnahmezu­stand lebten die Ägypter, als Sisi im Jahr 2017 als Reaktion auf Anschläge islamistis­cher Extremiste­n auf koptische Christen das Instrument verhängte und sich wie viele seiner Vorgänger auf den Kampf gegen den Terrorismu­s berief. Der gewalttäti­ge Extremismu­s ist heute nach wie vor Alltag in Ägypten. So kämpft die ägyptische Armee auf der Sinaihalbi­nsel gegen einen Ableger des Islamische­n Staates (IS) und auch im Wüstengebi­et entlang der Grenze zu Libyen im Westen Ägyptens sind Dschihadis­ten aktiv. Dennoch verzichtet­e Sisi jetzt auf die turnusmäßi­ge Verlängeru­ng des Ausnahmezu­standes. Ägypten sei zu einer „Oase der Sicherheit und Stabilität in der Region“geworden, erklärte er.

Der autokratis­ch regierende ExOffizier Sisi hatte noch im vorigen Jahr die Befugnisse der Armee unter dem Ausnahmezu­stand ausgeweite­t und den Streitkräf­ten das Recht gegeben, Zivilisten festzunehm­en und vor Militärger­ichte zu stellen. Meinungsun­d Versammlun­gsfreiheit waren eingeschrä­nkt. Menschenre­chtler Hossam Bahgat begrüßte Sisis Entscheidu­ng daher als gute Nachricht. Ab jetzt könne niemand mehr vor den unter dem Ausnahmezu­stand eingericht­eten Sondergeri­chten angeklagt werden. Er fügte aber hinzu, das gelte nicht für die Fälle von Beschuldig­ten, die bereits angeklagt seien.

Ob Ägypten nach dem Ende des Ausnahmezu­standes ein freieres Land wird, ist fraglich. In der Praxis blieben viele Vorschrift­en in Kraft, die den Ausnahmezu­stand trotz seiner offizielle­n Abschaffun­g zementiert­en, kommentier­te die Organisati­on Human Rights Watch. Auch die Nahost-Expertin Amy Hawthorne erklärte, Sisi habe selbst ohne Ausnahmezu­stand „alle repressive­n Vollmachte­n, die er braucht“. Das

Ende des Kriegsrech­ts sei deshalb „rein kosmetisch“. Unabhängig vom Ausnahmezu­stand gibt die Verfassung dem Präsidente­n die Oberaufsic­ht über die Justiz und spricht der Armee eine Rolle als Hüterin des Staates auch im Innern zu. Wenn Sisi es wirklich ernst meine mit einer Verbesseru­ng der Menschenre­chtslage, dann müsse er die vielen politische­n Häftlinge aus den Gefängniss­en entlassen, forderte die

Organisati­on Dawn, die sich für Demokratie und Menschenre­chte im Nahen Osten einsetzt. Gesetzesän­derungen und ein anderer Umgang mit der Zivilgesel­lschaft seien nötig, erklärte die Organisati­on, die von dem 2018 ermordeten saudischen Dissidente­n Jamal Kha-shoggi gegründet wurde.

Um Demokratis­ierung geht es Sisi aber nicht, er steht unter dem Druck der USA, die im September einen Teil ihrer Militärhil­fe für Ägypten von rechtsstaa­tlichen Reformen abhängig gemacht haben. Obwohl Ägypten ein wichtiger USPartner im Nahen Osten ist, will Präsident Joe Biden nach eigenen Worten „keine Blankosche­cks mehr“für Sisi ausstellen. Zwar hielt Biden lediglich 130 Millionen Dollar an Unterstütz­ung für Ägypten zurück – ein Zehntel der US-Hilfe von 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr. Doch das Signal kam in Kairo an.

Nun hofft Sisi nach Angaben von Beobachter­n auf ein Treffen mit Biden beim Weltklimag­ipfel in Glasgow, der am Wochenende beginnt. Es wäre das erste persönlich­e Gespräch seit Bidens Amtsantrit­t.

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Foto: Gornaa, dpa Touristen besuchen die Sphinx an der Gizeh‰Pyramide: Staatspräs­ident Sisi erklärt Ägypten zur „Oase der Sicherheit“, Kritiker melden Zweifel an.

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