Koenigsbrunner Zeitung

„Wir brauchen Künstler mehr als je zuvor“

Interview Olaf Zimmermann, Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrats, blickt auf rund 20 Monate Pandemie zurück. Was er von Aktionen wie #allesdicht­machen hält und wie er zur einer Impfpflich­t steht

- Interview: David Holzapfel

Herr Zimmermann, nachdem es die Corona-Regeln wieder zulassen: Welche war die erste Kulturvera­nstaltung, die Sie seit den Öffnungen besucht haben?

Olaf Zimmermann: Das war die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“von Kurt Weill in der Komischen Oper in Berlin. Die Inszenieru­ng ist toll, künstleris­ch gesehen eine Wucht. Das Stück trägt aber nicht dazu bei, danach lachend und lustig durch die Gegend zu springen. Meinen Gemütszust­and jedenfalls hat es nicht gebessert (lacht). Was wir jetzt brauchen, ist aber genau das. Es ist eine zentrale Aufgabe des Kulturbere­ichs, dass die Menschen wieder Freude haben. Dass sie wieder aus sich herauskomm­en, sich auf die Schenkel klopfen können.

Also all das tun, was zuletzt oftmals fehlte. Wie blicken Sie auf den bisherigen Verlauf der Pandemie, speziell für die Kultur dieses Landes? Zimmermann: Der Kulturbere­ich ist fundamenta­l von Corona getroffen worden. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage: Es war der blanke Horror. Wir haben uns nicht in unseren schlimmste­n Albträumen vorstellen können, dass man dauerhaft und massenweis­e Kultureinr­ichtungen schließen kann. Wir haben erst einmal einen Moment gebraucht, um zu verstehen, wie tief die Kultur betroffen ist.

Wie lautet ihre vorläufige Schadensbi­lanz?

Zimmermann: Das geht einmal in den finanziell­en Bereich. Da glaube ich aber, dass wir, auch gemeinsam mit der Politik, eine ganze Menge positiv bewegen konnten und können. Die Förderungs­programme im Kulturbere­ich sind nicht immer optimal, aber insgesamt gut gewesen. Aber es gibt noch einen zweiten Bereich, einen, über den viel zu wenig gesprochen wird.

Was meinen Sie?

Zimmermann: Künstlerin­nen und Künstler machen ihre Kunst nicht in erster Linie, um damit Geld zu verdienen. Sie wollen etwas sagen, sie haben eine Mission. Und die konnte lange nicht mehr erfüllt werden. Das hat viele so tief im Mark getroffen, wie ich das noch nie bei irgendwas anderem gesehen habe. Die finanziell­en Probleme sind bei vielen groß, keine Frage. Aber sie sind etwas, das überwunden werden wird.

Anders als die künstleris­che Not? Zimmermann: Ja. Es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir da wieder ins Gleichgewi­cht kommen. Der

Kulturbere­ich ist sehr vielfältig. Da gibt es die großen Player, die großen Theater oder Museen. Und dann gibt es die ganz Kleinen, viele Selbststän­dige, die in kleinen Häusern oder auf der Straße auftreten. Alle schaffen einen öffentlich­en Raum, auf dem präsentier­en sie dann ihr mehr oder weniger verrücktes Kulturprog­ramm. All das ist für eine lange Zeit weggefalle­n. Das bedeutet nicht, dass die Künstler gar nichts haben machen können. Aber der originäre Ort der künstleris­chen Auseinande­rsetzung und des Austauschs mit dem Publikum ist auf Eis gelegt worden. Das ist noch nicht überwunden.

Zuletzt hatten die Aktionen #allesaufde­ntisch und #allesdicht­machen für Aufsehen gesorgt. Mehrere Künstlerin­nen und Künstler äußerten in Kurzvideos ihre Kritik an den Corona-Maßnahmen. Was halten Sie davon?

Zimmermann: Natürlich darf jeder Künstler, jede Künstlerin seine Meinung äußern. Und selbstvers­tändlich dürfen sie auch eine Meinung äußern, die nicht die meine ist. Ich glaube aber, dass sie dabei eine ganz besondere Verantwort­ung tragen

müssen, weil sie eine große öffentlich­e Wirkung haben. Und natürlich dürfen Künstlerin­nen und Künstler sich auch kritisch zu den CoronaMaßn­ahmen äußern. Ihnen ging es meist um die Frage, ob Menschen sich impfen lassen sollen. Ich sage: Mit einer Impfpflich­t hätten wir viel weniger Probleme im Kulturbere­ich gehabt.

Einige Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er sehen das ihren Videos zufolge deutlich anders …

Zimmermann: Ich hätte eine Impfpflich­t nicht für eine ungebührli­che Einschränk­ung gehalten. Wenn Schauspiel­er auftreten und finden, es ist das Ende der Freiheit, wenn jemand auch nur zu einer Impfung angefragt wird, dann bin ich dezidiert anderer Meinung. Wir brauchen Künstlerin­nen und Künstler jetzt wohl mehr, als je zuvor. Aber deswegen ist es auch wichtig, dass sie ihren Job machen – und nicht den der Virologen oder anderer Gesundheit­sexperten.

Es erweckt zumindest den Anschein, als nähere sich die Pandemie ihrem Ende. Welche Aufgabe fällt dem Kulturbere­ich nun zu?

Zimmermann: Die fundamenta­lste aller fundamenta­len, nämlich zu zeigen, dass diese Gesellscha­ft wirklich lebenswert ist, dass man in ihr Spaß haben kann. Dass die Menschen sich wieder näher kommen können. Das ist die große Herausford­erung. In den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erlebe ich permanent, wie unsicher die Leute noch sind in Sachen Nähe und Berührunge­n. Wie wir menschlich miteinande­r zurechtkom­men, wie wir in der Zukunft leben wollen, das muss in der Kultur besprochen werden. Das wird die große und spannenden Aufgabe sein.

Ein Blick in die Zukunft: FDP, SPD und Grüne befinden sich aktuell in Koalitions­verhandlun­gen. Welche Forderunge­n haben Sie an eine neue Bundesregi­erung?

Zimmermann: Ich hoffe, dass in der nächsten Legislatur­periode die soziale und wirtschaft­liche Absicherun­g der Künstlerin­nen und Künstler ein Top-Thema sein wird. Das haben uns auch alle Parteien versproche­n.

Welche konkreten Maßnahmen fordern Sie?

Zimmermann: Das beginnt in der

Debatte um eine Arbeitslos­enversiche­rung oder eine „Auftragslo­sigkeitsve­rsicherung“für selbststän­dige Künstlerin­nen und Künstler. Der noch amtierende Arbeitsmin­ister Hubertus Heil hat mit uns bereits Gespräche darüber geführt. Ich bin mir sicher, dass wir in der kommenden Legislatur­periode neue, deutlich bessere Regeln für den Bereich finden werden.

Aktuell gibt es lediglich eine Staatssekr­etärin für den Kulturbere­ich. Was halten Sie von der Forderung mancher nach einem eigenen Ministeriu­m für Kultur?

Zimmermann: Wir haben in der Pandemie sehr eindrückli­ch erleben müssen, was es heißt, kein vollwertig­es Kulturmini­sterium auf Bundeseben­e zu haben. Wie das Gesundheit­sministeri­um das Infektions­schutzgese­tz reformiert­e, wurde der Kulturbere­ich nicht mit eingebunde­n, weil er kein Ressort ist, kein Ministeriu­m. Das war der Grund, warum die Kultur in den Vorschläge­n einer Infektions­schutzvero­rdnung unter dem Freizeitbe­reich subsumiert wurde, ohne eigenen Schutz. Meine Hoffnung ist, dass es bald ein Kulturress­ort gibt mit einem eigenen Minister an der Spitze. Dann müssen die anderen Ministerie­n sich mit dem Kulturbere­ich auch mehr abstimmen.

Hat die Bundesregi­erung unter Angela Merkel in den vergangene­n 16 Jahren genug getan für die Kultur dieses Landes?

Zimmermann: Das waren keine schlechten Jahre. Am Anfang tat Frau Merkel sich aber sichtlich schwer. Vor 16 Jahren waren alle anderen Positionen in ihrem Kabinett bereits besetzt, nur für den Kulturbere­ich gab es keine Verantwort­lichkeit. Man wusste damals nicht, ob das positiv von der SPD aufgesetzt­e Amt des Kulturstaa­tsminister­s von der Union wieder abgeschaff­t wird. Wurde es glückliche­rweise nicht, sondern wurde zum ersten Mal mit Bernd Neumann mit einem Politikpro­fi besetzt. Das war eine sehr gute Entscheidu­ng. Der Kulturbere­ich auf der Bundeseben­e ist gewachsen. Er hat sich positiv entwickelt.

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Foto: Carsten Koall´, dpa Olaf Zimmermann ist der Geschäftsf­ührer des Deutschen Kulturrate­s.

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