Zwei Genies, vierfaches Wunder
Mozartfest Das Hagen Quartett und ein besonderes Genre der Wiener Klassik
Einen zentralen musikalischen Ort bespielte das Mozartfest in seinem sechsten Konzert: die Wiener Klassik. Der Auftritt des Hagen Quartetts im Kleinen Goldenen Saal in Augsburg belegte die Entwicklung eines bedeutenden Genres der Kammermusik dieser Epoche, des Streichquartetts. Drei Werke von Mozart und Beethoven konnten nicht alles darstellen, doch in ihrer Auswahl beleuchteten sie wichtige Momente. Und wie kaum ein anderes Ensemble vermag dies die berühmte österreichische musikalische Ausnahme-Familie zu realisieren.
Neben den beiden Titanen war ein Dritter unsichtbar zugegen – Joseph Haydn. Keiner hatte beim Streichquartett so viel Einfluss auf Mozart wie der lange Zeit im österreichisch-ungarischen Tiefenraum wirkende Eisenstädter. Mozarts Quartett B-Dur KV 458 ist zum Beispiel davon berührt: Bilder aus Natur und Milieu, der überraschende Witz, die lustvolle Täuschung. Das Hagen Quartett nahm die einleitenden „Horn“-Rufe des „JagdQuartett“betitelten Werks zügig, das Menuett mit kräftigem freien Dreier-Schwung, den finalen Rausschmeißer mit sprudelndem Tempo.
Doch Mozart entwickelt das Kolorit, die Bilder weiter, überhöht das Geschehen in eigenen musikalischen Zusammenhängen, wie das rätselhaft schimmernde Adagio, das wie durch einen Lockruf sich ereignende Finale – realisiert mit natürlichorganisch fließender Bravour.
Ein zweiter Aspekt von Haydns Einfluss ist die Kunst der MotivVerarbeitung. Sie klang auf in Mozarts D-Dur KV 499. Darin wiederum haucht Amadé der abstrakt kompositorischen Virtuosität ihren eigenen, schöpferischen Atem ein – ein Wunder. Das Spiel mit entfernten, mäandernden Tonarten im ersten Satz, die kühne Komplexität, die filigranen Verläufe des MenuettTanzes mit raffiniert verzahntem Trio, das trotz seines effektvollen Tempos mit mysteriösen Gesten durchzogene Finale wurde konturenscharf wie beseelt dargestellt.
Vor dieses Werk hatte die kluge Programmfolge Beethovens letztes Streichquartett F-Dur op. 135 platziert. Und siehe, man spürte, wie viel diese Schöpfungen miteinander zu tun hatten. Die anfängliche, scheinbar biedermeierlich pfeifenschmauchende Behaglichkeit der ersten Töne verwandelt diese klassisch anmutende Rückschau bald phasenweise in „gefährliche“Zonen, um sie doch wieder zu verlassen; den bizarr zuckenden metrischen Seiltänzen und den mal grob polternden, mal huschend-neckenden Momenten des Scherzos, das die „Neunte“anklingen lässt, folgt eine Art regungslos sich verfärbendes Gebet, bis im Finale Beethovens merkwürdige Bemerkungen „Der schwer gefasste Entschluss – Muss es sein? – Es muss sein!“in ihren Kontrast-Ballungen den geheimnisvollen letzten Gang beendeten.
Lukas Hagens grandios führende 1. Geige, das präzis-präsente „Mittelwerk“aus Geige und Bratsche (Rainer Schmidt und Veronika Hagen), der Impuls gebende, perfekt austarierte Cello-Ton von Clemens Hagen – das alles ein Ereignis. Mit Schumanns Adagio aus dem 1. Streichquartett bedankte sich die Hagen-„Family“für die Applauswogen.