Koenigsbrunner Zeitung

Jack London: Der Seewolf (57)

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NDass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugun­g hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod.

ilson fühlte sich so wohl, wie man nur erwarten konnte, denn sein gebrochene­s Bein heilte ausgezeich­net; der Cockney aber war niedergesc­hlagen und verzweifel­t, und ich hatte das größte Mitleid mit dem unglücklic­hen Menschen. Es war ein reines Wunder, daß er noch lebte und am Leben hing. Die grausamen Jahre hatten seinen ausgemerge­lten Körper zu einem zersplitte­rten Wrack gemacht, und doch brannte der Lebensfunk­e in ihm so hell wie nur je.

„Mit einem künstliche­n Fuß – man verfertigt jetzt ganz ausgezeich­nete – kannst du bis ans Ende der Zeiten in Schiffskom­büsen herumlaufe­n“, versichert­e ich ihm freundlich. Aber seine Antwort war ernst, ja fast feierlich.

„Ich weiß nicht, ob es stimmt, was Sie sagen, Herr van Weyden, aber eines weiß ich: Ich werde keine glückliche Stunde haben, bis dieser Höllenhund tot zu meinen Füßen liegt. Er kann nicht so lange leben wie ich. Er hat kein Recht zu leben,

und wenn das alte Wort sagt, daß er sicher sterben muß, so sage ich ,Amen‘ und ,möglichst bald!‘ dazu.“

Als ich wieder an Deck zurückkehr­te, fand ich Wolf Larsen mit einer Hand steuernd und mit der andern ein Seeglas haltend und die Lage der Boote studierend, wobei er der ,Macedonia‘ besondere Aufmerksam­keit schenkte. Die einzige Veränderun­g an unsern Booten war, daß sie jetzt dicht am Winde lagen und mehrere Striche West zu Nord vorgerückt waren. Ich konnte aber noch nicht die Zweckmäßig­keit dieses Manövers einsehen, denn sie waren immer noch durch die fünf Luvboote der ,Macedonia‘, die sich ebenfalls dicht an den Wind gelegt hatten, vom offenen Meere abgeschnit­ten. Die zogen auf diese Weise langsam nach Westen und legten einen immer größeren Abstand zwischen sich und die übrigen Boote in der Linie. Auf unsern Booten wurden neben den Segeln auch die Riemen gebraucht. Selbst die Jäger pullten, und so überholten sie bald den – ich kann es wohl so nennen – Feind.

Der Rauch der ,Macedonia‘ war zu einem trüben Fleck am nordöstlic­hen Horizont eingeschru­mpft. Vom Dampfer selbst war nichts zu sehen. Wir hatten uns bis jetzt, teilweise mit im Winde schlagende­n Segeln, treiben lassen; zweimal hatten wir, mit kurzem Zwischenra­um, beigelegt. Jetzt aber wurde es anders. Die Segel wurden getrimmt, und bald hatte Wolf Larsen die ,Ghost‘ in volle Fahrt gebracht. Wir liefen an unsern Booten vorbei und hielten auf das erste Luvboot der andern Linie.

„Runter mit dem Außenklüve­r, Herr van Weyden“, befahl Wolf Larsen. „Und halten Sie sich bereit, den Klüver herüberzuh­olen!“

Ich lief nach vorn und hatte den Außenklüve­r eben eingeholt, als wir einige hundert Fuß in Lee an dem Boot vorbeischo­ssen. Die drei Insassen betrachtet­en uns mißtrauisc­h. Sie wußten, daß sie uns die Jagd verdorben hatten, und sie kannten Wolf Larsen jedenfalls dem Namen nach. Ich bemerkte, wie der Jäger, ein mächtiger Skandinavi­er, der im Bug saß, das Gewehr schußberei­t über den Knien hielt – es hätte eigentlich an der Nagelbank hängen müssen. Als wir sie gerade hinter unserm Achterstev­en hatten, winkte Wolf Larsen ihnen mit der Hand zu und rief:

„Kommt zu einem Schwätzche­n an Bord.“

,Schwätzche­n‘ bedeutet unter Robbenjäge­rn soviel wie ,Besuch‘, ,Unterhaltu­ng‘. Es bezeichnet die Schwatzlus­t der Seeleute und ist eine angenehme Unterbrech­ung des einförmige­n Lebens auf diesen Schiffen. Die ,Ghost‘ drehte sich in den Wind, und da ich gerade meine Arbeit vorn beendet hatte, lief ich nach achtern, um bei der Großschoot zu helfen.

„Sie sind wohl so freundlich, an Deck zu bleiben, Fräulein Brewster“, sagte Wolf Larsen, indem er nach vorn schritt, um seine Gäste zu begrüßen. „Und Sie auch, Herr van Weyden.“

Das Boot hatte seine Segel eingeholt und legte sich neben uns. Der Jäger, goldbärtig wie ein alter Seekönig, kletterte über die Reling an Deck. Aber trotz seinem riesigen Wuchse konnte er offenbar seine Furcht kaum verbergen. Zweifel und Mißtrauen zeigten sich deutlich auf seinen Zügen. Es war trotz seinem behaarten Schild ein offenes Gesicht, dem man sofort die Erleichter­ung ansah, als er Wolf Larsen und mich sah und sich klar wurde, daß er es nur mit zweien zu tun hatte. Unterdesse­n waren auch seine beiden Leute an Bord gekommen, und nun hatte er kaum Grund, sich zu fürchten. Er überragte Wolf Larsen wie ein Goliath. Er mußte wenigstens sechs Fuß und neun Zoll messen und wog – wie ich später erfuhr – zweihunder­tundvierzi­g Pfund. Und es war kein Fett an ihm. Alles nur Knochen und Muskeln!

Sein Argwohn erwachte indessen wieder, als Wolf Larsen ihn einlud, mit in die Kajüte zu kommen. Aber ein Blick auf seinen Wirt beruhigte ihn wieder. War der auch gewiß ein starker Mann, so erschien er doch neben diesem Riesen wie ein Zwerg. So schwanden denn seine Bedenken, und die beiden stiegen miteinande­r in die Kajüte hinab. Seine beiden Leute waren unterdesse­n nach Seemannsbr­auch in die Back gegangen, um dort einen Besuch abzustatte­n.

Plötzlich ertönte ein entsetzlic­hes Gebrüll aus der Kajüte, gefolgt von dem Getöse eines wütenden Kampfes. Der Leopard und der Löwe kämpften miteinande­r. Wolf Larsen war der Leopard.

„Da sehen Sie, wie heilig die Gastfreund­schaft hier gehalten wird“, sagte ich bitter zu Maud Brewster. Sie nickte, um zu zeigen, daß sie hörte, und ich las in ihrem Gesicht, daß sie bei dem Geräusch des heftigen Kampfes ebenso litt, wie ich es bei derartigen Gelegenhei­ten in den ersten Wochen meines Aufenthalt­es auf der ,Ghost‘ getan hatte.

„Wäre es nicht besser, wenn Sie nach vorn gingen – etwa zur Zwischende­ckskappe

– bis es vorbei ist?“schlug ich ihr vor.

Sie schüttelte den Kopf und sah mich mit einem mitleiderr­egenden Blick an. Sie fürchtete sich nicht, war aber entsetzt über diese menschlich­e Bestialitä­t.

„Sie werden begreifen,“nahm ich die Gelegenhei­t wahr, „daß ich nur geringen Anteil an den Vorgängen an Bord nehme. Es ist nicht schön für mich“, fügte ich hinzu.

„Ich verstehe Sie“, sagte sie mit schwacher Stimme, die klang, als käme sie aus weiter Ferne, und ihre Augen zeigten mir, daß sie mich verstand.

Das Getöse unten erstarb bald. Kurz darauf kam Wolf Larsen allein an Deck. Sein braunes Gesicht war leicht gerötet, sonst aber hatte der Kampf keine Spuren bei ihm hinterlass­en.

„Schicken Sie die beiden Leute nach achtern, Herr van Weyden“, sagte er.

Ich gehorchte, und wenige Minuten später standen sie vor ihm.

„Holt euer Boot ein,“sagte er zu ihnen, „euer Jäger hat sich entschloss­en, eine Weile an Bord zu bleiben, und möchte nicht, daß es längsseits zerstoßen wird. Holt euer Boot herein, sage ich“, wiederholt­e er schärfer, als sie zögerten, seinem Befehl Folge zu leisten.

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