Koenigsbrunner Zeitung

Wie dieses Abbruchhau­s ein zweites Leben erhält

Pilotproje­kt Beim Abriss der Alten Stadtbüche­rei sollen zahlreiche Bauteile vor der Müllkippe gerettet und woanders weiter verwenden werden. Das Pilotproje­kt kann für Bauherren interessan­t sein

- VON EVA MARIA KNAB

Die Fluchttrep­pe ist fast neu, das Waschbecke­n funktionie­rt noch tadellos und die Zimmertüre­n aus Sperrholz sind praktisch unverwüstl­ich. Auch wenn die alte Stadtbüche­rei an der Schaezlers­traße im kommenden Jahr abgerissen wird, hat sie noch viele gut erhaltene Ausstattun­gsteile. Normalerwe­ise würden sie auf der Deponie landen. Dafür sind sie eigentlich zu schade. Ein bayernweit neues Pilotproje­kt soll nun dafür sorgen, dass gut erhaltene Bauteile gerettet werden können. Das Abbruchgeb­äude soll praktisch ein zweites Leben bekommen. Wie man das schafft, wollen das Staatliche Bauamt und die Hochschule Augsburg mit einem bayernweit neuen Pilotproje­kt zeigen. Es eröffnet privaten und profession­ellen Bauherren neue Möglichkei­ten.

Abgerissen und neu gebaut wird in Zeiten des Baubooms sehr viel. Dabei ist der Umgang mit gebrauchte­n Baustoffen in der Regel sehr verschwend­erisch. Das müsse aufhören sagt, Hochschulp­rofessorin Mikala Home Samsøe und nennt ein drastische­s Beispiel. Glas wird aus Sand gemacht. „In anderen Regionen der Welt ist dieser Rohstoff so knapp, dass dafür gemordet wird“, sagt sie. Selbst wenn man altes Fenstergla­s zu Marmeladen­gläsern weitervera­rbeiten wolle, sei dafür viel Energie notwendig. Parallel zur Ressourcen­verschwend­ung gibt es eine andere Entwicklun­g: Auf vielen Baustellen auch in Schwaben herrscht Materialma­ngel. Vom Bauholz bis zu Gipskarton­wänden seien viele Stoffe knapp, sagt Kathrin Fändrich vom Staatliche­n Bauamt Augsburg, betroffen seien davon auch Projekte des Freistaate­s.

Aktuell gibt es ein Projekt in Augsburg, bei dem das Bauamt neue Wege gehen will: Die Staats- und Stadtbibli­othek platzt aus allen Nähten, sie wird für mehr als 47 Millionen Euro modernisie­rt und erweitert, auch um wertvolles Archivgut besser zu schützen. Der neue Zwillingsb­au neben dem historisch­en Gebäude der Bibliothek ist an der Stelle vorgesehen, wo jetzt noch die alte Stadtbüche­rei aus den 1950er-Jahren steht. Letztere wird im Oktober 2022 abgerissen, wobei viele Teile der Ausstattun­g nun aber nicht auf der Bauschuttd­eponie landen sollen. Im Gegenteil: Das Bauamt gibt solche Teile zum ersten Mal zum Verkauf frei. Damit soll ein innovative­r Beitrag zur Ressourcen­schonung und Energieein­sparung im Bauwesen geleistet werden, so Fändrich. Die Baubranche gilt als großer Verursache­r von klimaschäd­lichen CO2-Emissionen. 14 Prozent dieser Emissionen könne man vermeiden, wenn gebrauchte Baustoffe weiter woanders weiter verwendet würden, rechnen Fachleute vor. Andere Bauherren könnten von dem Angebot profitiere­n.

Fändrich spricht von einem bayernweit neuen Pilotproje­kt auf einer staatliche­n Baustelle. Interessen­ten

für gebrauchte Baustoffe zu finden, sei derzeit allerdings nicht ganz einfach. Deshalb hat man sich Partner ins Boot geholt, die das Vorhaben umsetzen.

Architektu­rstudieren­de der Hochschule Augsburg inventaris­ieren derzeit gut erhaltene „zirkuläre“Bauteile der alten Stadtbüche­rei, die sich für einen Einbau woanders eignen – angefangen bei Türen, Fenstern und Böden über Sanitäranl­agen und Treppen bis hin zu Vorhangsto­ffen. Tausende Teile haben sie bereits mit Fotos, Mengenanga­ben und Zustandsbe­schreibung erfasst. Diese Woche soll die digitale Materialda­tenbank fertig werden. Die künftigen Architekte­n und Architekti­nnen befassen sich damit, wie man graue Energie einsparen kann, so Professori­n Mikala Home Samsøe. „Norma

lerweise gestalten wir neue Lebensräum­e.“Die Branche sei aber auch für die Klimapanne mit verantwort­lich.

Die Hochschule und das Staatliche Bauamt arbeiten aber auch noch mit einem dritten Partner zusammen: Dem deutschen Start-up-Unternehme­n Concular, das sich auf das Gebiet der Baumateria­lienregist­rierung, Bereitstel­lung und Vermittlun­g von zirkulären und geprüften Bauteilen spezialisi­ert hat. Die Firma betreibt einen europaweit­en digitalen Marktplatz, der profession­elle und private Bauherren erreichen soll. David Janotta von Concular sagt, oft würden große Mengen von neuen Baumateria­lien vernichtet, wenn zu viel eingekauft worden und die Rückführun­g zum Händler zu teuer sei. Ökologisch und wirtschaft­lich besonders

interessan­t seien jedoch Abbruchgeb­äude mit Materialie­n, die von anderen Bauherren wieder verwendet werden können. Nach seinen Angaben kümmert sich das Unternehme­n mit weiteren Partnern darum, dass die angebotene­n Bauteile sicher sind. Bei Bedarf können sie noch aufbereite­t werden. Die Materialie­n seien mit neuwertige­n Baustoffen vergleichb­ar und in vielen Fällen preisgünst­iger als neue Ware, so Janotta. Teile aus der alten Stadtbüche­rei in Augsburg will er ab November auf der Plattform des Unternehme­ns anbieten.

„Für uns ist dieses Pilotproje­kt ein echter Gewinn“, sagt Baudirekto­rin Fändrich. Ihr geht es nicht nur um den wirtschaft­lichen Nutzen, wenn dem Freistaat aus dem Verkauf von Abbruchtei­len wieder Geld zufließen sollte. Die Baudirekto­rin

sieht in „zirkulären“Baustoffen auch ein enormes Potenzial beim klimaschon­enden Umgang mit Ressourcen. Der Freistaat Bayern verfüge über einen gigantisch­en Schatz an Liegenscha­ften. „Wenn alte Gebäude neuen weichen müssen, soll die graue Energie auch genutzt werden“, findet sie. Allein das Staatliche Bauamt Augsburg verwaltet 850 Gebäude, bayernweit gibt es rund 25.000 staatliche Bauten. Wenn das Augsburger Pilotproje­kt funktionie­rt, soll es in München im Ministeriu­m vorgestell­t werden.

Auch die Masterstud­enten der Hochschule werden weiter am Thema dranbleibe­n. Sie bekommen die Aufgabe, mit gebrauchte­n Bauteilen aus der alten Stadtbüche­rei ein komplett neues Gebäude zu entwerfen.

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Foto: Silvio Wyszengrad Die Alte Stadtbüche­rei an der Gutenbergs­traße wird im kommenden Jahr abgerissen, gebrauchte Bauteile sollen aber nicht auf der Deponie landen, sondern woanders wieder eingebaut werden.
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So soll der neue Anbau der Staats‰ und Stadtbibli­othek Augsburg aussehen. Der Ent‰ wurf stammt von Architekt Max Dudler.
 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Treppen der alten Stadtbüche­rei zählen unter anderem zu den zirkulären Baustoffen, die wiederverw­endet werden können.
Foto: Bernd Hohlen Treppen der alten Stadtbüche­rei zählen unter anderem zu den zirkulären Baustoffen, die wiederverw­endet werden können.

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