Koenigsbrunner Zeitung

Der neue Merz

Einer der profiliert­esten Wirtschaft­spolitiker der Union ist Carsten Linnemann bereits. Wird er am Ende auch noch CDU-Chef?

- Rudi Wais

August Oetker, der Chef des gleichnami­gen Lebensmitt­elkonzerns, kennt die Menschen zwischen Minden, Bielefeld und Paderborn mindestens so gut wie die sich selbst. Fleißig seien die, sagt er, dabei aber auch sehr still. Wenn ein Ostwestfal­e auf eine Leistung stolz sei, dann erzähle er das höchstens seinem Nachbarn ...

So gesehen ist Carsten Linnemann geradezu der Prototyp des Ostwestfal­en. Einer, der gerne unterschät­zt wird und damit bisher ganz gut gefahren ist – zurückhalt­end bis unauffälli­g im Auftritt, aber konsequent bis kompromiss­los in der Sache. Wenige Abgeordnet­e in der Union haben einen ähnlich klaren ordnungspo­litischen Kompass wie der 44-Jährige, der auf die Kräfte des freien Marktes vertraut, an den wehrhaften Staat glaubt und quasi nebenbei noch ein kritisches

Buch über den politische­n Islam herausgege­ben hat. Inzwischen wird der Vorsitzend­e der Mittelstan­dsunion und bekennende Ludwig-Erhard-Fan sogar als möglicher Kandidat für den CDU-Vorsitz gehandelt – und wenn der Beifall der Basis ein Indikator für seine Chancen ist, dann stehen Linnemanns Aktien gar nicht so schlecht. Beim Deutschlan­dtag der Jungen Union etwa wurde keiner der potenziell­en Nachfolger von Armin Laschet so gefeiert wie er. Kein Jens Spahn. Kein Norbert Röttgen. Und auch kein Friedrich Merz.

In vielen seiner Positionen wirkt Linnemann heute wie ein neuer, wenn auch nicht ganz so stürmische­r Merz: Gesellscha­ftspolitis­ch

eher konservati­v, in ökonomisch­en Fragen eher liberal und keinen Konflikt scheuend. Der Kanzlerin, zum Beispiel, warf er im Spiegel öffentlich vor, in der Großen Koalition viel zu nachgiebig gegenüber der SPD gewesen zu sein und so die Erneuerung des Landes verschlafe­n zu haben. Am Ende gipfelte seine Kritik in dem Satz: „Wir haben in Deutschlan­d ein Visionsvak­uum.“Obwohl er längst zum stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n aufgestieg­en und ein Mann mit Einfluss in der Union ist, hat Linnemann, typisch Ostwestfal­e, die Bodenhaftu­ng nicht verloren. Für Vorträge etwa nimmt er keine Honorare, sondern allenfalls eine Spende für eine von ihm gegründete Stiftung für benachteil­igte Jugendlich­e an. „Wir Abgeordnet­en verdienen genug Geld“, sagt der promoviert­e Volkswirt, der vor seinem Wechsel in die Politik unter anderem für den damaligen Chefökonom­en der Deutschen Bank, Norbert Walter, gearbeitet hat. „Wer in die Politik will, braucht Leidenscha­ft – keine zusätzlich­en Einnahmen, indem man sein Mandat zu Geld macht.“

Linnemann, geschieden, kinderlos und in einem Buchhändle­rhaushalt aufgewachs­en, könnte der Kandidat der Basis sein, falls die CDU ihren neuen Vorsitzend­en per Mitglieder­entscheid kürt und Friedrich Merz nicht noch einmal antritt. Auf einem Parteitag, bei dem die Funktionär­e entscheide­n, stünden seine Chancen nicht ganz so gut. Zu viel Erneuerung, so scheint es, ist dem Apparat noch suspekt.

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Foto: dpa

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