Von gemischt bis katastrophal
Wie ist die Stimmung nach der Wahl? Unsere Redaktion hat sich an der Basis umgehört. Selbst langjährige Mitglieder üben jetzt zum ersten Mal offene Kritik am Kurs der Partei
München Als Parteirebell ist der Augsburger Johannes Hintersberger, 68, nicht bekannt. Seit 50 Jahren ist er Mitglied der CSU, seit 18 Jahren Landtagsabgeordneter. Er war Bezirksvorsitzender der Partei und einige Jahre Mitglied der Staatsregierung. Offene Kritik am Kurs der CSU übte er in all den Jahren nicht. Das hat sich geändert. Nach dem Debakel der Union bei der Bundestagswahl meldet er sich zu Wort. „Wir können nach diesem Wahlergebnis nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, sagt Hintersberger. Und er steht damit, wie eine Umfrage unserer Redaktion in der Partei ergab, nicht allein.
Die Beschreibungen der Stimmung in der Partei reichen von „gemischt“über „schwierig“bis hin zu „katastrophal“. Eine Mehrheit ruft nach einer „echten Aufarbeitung“und wünscht sich für die Zukunft „klare thematische Ansagen“. Mit direkter Kritik an Parteichef Markus Söder aber halten sich die meisten CSU-Mitglieder zurück.
Florian Fleig, Ortsvorsitzender in Friedberg, sagt: „Ich hoffe sehr, dass die Aufarbeitung der Wahl
Niederlage noch nicht abgeschlossen ist. Dafür muss Zeit investiert werden, denn meiner Meinung nach muss jetzt wirklich alles hinterfragt werden. Ich will keine Köpfe rollen sehen, Schuldzuweisungen bringen wenig. Aber die Partei muss sich eingestehen, dass ganz klar Fehler gemacht wurden. Und ich wünsche mir, dass die Basis wieder mehr gehört wird.“
Rita Schmidt, stellvertretende Kreisvorsitzende in NeuburgSchrobenhausen, will den Blick nach vorne richten: „Wir haben im Wahlkampf die Themen zu spät besetzt und hätten schneller agieren müssen. Aber das nützt jetzt alles nichts. Wir müssen Ernst machen mit dem CSU-Motto und wieder näher an die Menschen kommen.“
Manuel Knoll, Vorsitzender der jungen Union Schwaben, ist enttäuscht, aber er sagt: „Optimistisch stimmt mich, dass die Fehlersuche bisher konstruktiv abgelaufen ist. Doch man muss sich jetzt inhaltlich und thematisch neu aufstellen. Es wird uns guttun, dass wir nächstes Jahr keine Wahl in Bayern haben und diese Zeit für eine Neuausrichtung nutzen können. Die CSU muss einiges revolutionieren. Zum Beispiel muss sie sich überlegen, wie sie nach 16 Jahren in der Regierung konstruktiv Opposition machen kann, um als Volkspartei wieder attraktiver zu werden. Sie muss als Partei außerdem repräsentativer für die Bevölkerung werden.“
Ulrich Pfanner, Bürgermeister von Scheidegg im Landkreis Lindau, berichtet: „Viele Mitglieder fordern von der Parteispitze, dass wieder mehr auf die Basis gehört werden sollte. Sie ist durchsetzt mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen und mit verschiedenen politisch Aktiven, Bürgermeistern und Landräten zum Beispiel. Das sind diejenigen, auf die die Bürger mit ihren Problemen und Wünschen zugehen. Ich wünsche mir von der Parteispitze, dass sie jetzt wirklich die Anliegen der Menschen – vor allem auch der jungen – ernst nimmt und daraus die Themen herausarbeitet, für die die CSU in Zukunft einstehen will.“
Marion Kehlenbach, Kreisvorsitzende der Frauenunion im Landkreis Augsburg, plädiert für eine nur kurze Rückschau: „Klar muss man die Fehler benennen und die Gründe für das Wahlergebnis sind ja auch leicht zu fassen, aber sich nur mit der Vergangenheit zu beschäftigen, bringt nichts.“
Matthias Enghuber, Kreisvorsitzender in Neuburg-Schrobenhausen, sagt: „Wir müssen wieder Themen besetzen und klar sagen, wofür wir stehen. Wir müssen Personal aufbauen und Einigkeit zeigen. Da gab es unstrittig Defizite. Jetzt alles an CDU-Chef Laschet festzumachen, kann nicht sein. Die Leute haben uns gefragt: Wofür steht die Union? Darauf habe wir zu wenig und zu leise geantwortet.“
Peter Tomaschko, Kreisvorsitzender in Aichach-Friedberg, sagt: „Wir müssen uns geschlossen aufstellen hinter Markus Söder. Die Wahl war ein Desaster, aber es gibt auch eine Aufbruchstimmung. Wir sind eine Volkspartei und müssen ganz stark zum Ausdruck bringen, dass wir die Interessen der Menschen aus der bürgerlichen Mitte zusammenführen können.“
Johannes Hintersberger aus Augsburg fordert eine Rückbesinnung: „Wir müssen wieder klarmachen, wo unsere Wurzeln sind – im christlichen Menschenbild. Der Aufarbeitungsprozess muss über die bisherigen Wahlanalysen hinausgehen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dafür eine Kommission aus Mitgliedern der Partei und der Landtagsfraktion einrichten.“