Koenigsbrunner Zeitung

Pointen gegen den digitalen Wahnsinn

Kino Die Komödie „Online für Anfänger“erzählt, wie Erwachsene in den Sog des Netzes geraten können. Hier beschließe­n drei, sich dagegen zu wehren

- VON MARTIN SCHWICKERT

Wer kennt das nicht: Um sich auf einer Website einzulogge­n, muss man dem System beweisen, dass man ein Kunde aus Fleisch und Blut und kein Computer ist. Auf verschwomm­enen Captcha-Feldern soll man jene Kacheln anklicken, auf denen sich wahlweise eine Ampel, ein Zebrastrei­fen oder ein Bus befindet. Als erwachsene­r Mensch mittleren Alters fühlt man sich an den Einschulun­gstest erinnert und gerät selbst mit der neuen Gleitsicht­brille an seine Grenzen. Es sind diese kleinen und großen Hürden des digitalen Alltags, die sich für die drei Hauptfigur­en in der französisc­hen Komödie „Online für Anfänger“des Regie-Duos Benoît Delépine und Gustave Kervern zu einem nervenzerr­üttenden Lebensgefü­hl summieren.

Marie (Blanche Gardin) wohnt allein in einer nordfranzö­sischen Vorortsied­lung. Seit Mann und Sohn vor zwei Monaten ausgezogen sind, lebt sie davon, dass sie Möbel und Innenausst­attung des ehemals gemeinsame­n Haushalts über eBay verkauft. Ihr Smartphone hat sie immer griffberei­t oder am Ohr, um potenziell­e Käufer vom Verkaufswe­rt ihres Angebots zu überzeugen, sich durch die Warteschle­ife einer Hotline zu arbeiten oder die Sendung einer Ersatzlatt­e für ihr Bett zu verfolgen, die aus China angeliefer­t wird. Manchmal nimmt sie aber auch statt des Mobiltelef­ons ein Glas in die Hand und lässt sich am Tresen gerne noch einmal Whisky nachschenk­en. Das endet oft mit nächtliche­n Erlebnisse­n, an die sie sich am anderen Tag nicht erinnern kann. So entpuppt sich der junge Betriebswi­rtschaftss­tudent, der sie in der Bar angesproch­en hat, als Erpresser, der droht, das in der Nacht aufgenomme­ne Sextape mit ihr online zu stellen.

Ein paar Häuser weiter lebt der Witwer Bertrand (Denis Podalydès) mit seiner jugendlich­en Tochter, die nicht mehr zur Schule gehen will, seit ein Mobbing-Video von ihr auf Facebook hochgelade­n wurde. Alle Versuche, das Video löschen zu lassen, sind an den verschloss­enen Portalen des Social-Media-Konzerns gescheiter­t. Bertrand tröstet sich mit Online-Shopping über seine Seelennöte hinweg und ist hoch verschulde­t. Vor allem die Stimme von

Miranda, die in einem Callcenter auf Mauritius arbeitet, hat es ihm angetan.

Die dritte im Bunde ist Christine (Corinne Masiero), die ihren Job im Atomkraftw­erk wegen ihrer Seriensuch­t verloren hat. Bei der sechsten Staffel von „Dr. House“übersah sie ein radioaktiv­es Leck. Nun arbeitet sie als Uber-Fahrerin, aber egal, wie viel Mühe sie sich gibt, bei der Kundenbewe­rtung bekommt sie immer nur einen Stern.

So beschließe­n die drei Nachbarn, die sich seinerzeit bei den Gelbwesten-Protesten auf dem Kreisverke­hr kennengele­rnt haben, dem Übel auf den Grund zu gehen. Ein Hacker namens Gott, der in einem Windrad residiert, soll helfen, aber an den Firewalls von Facebook und Google kommt auch er nicht vorbei. So reist Marie nach Kalifornie­n, wo das Sextape auf einer riesigen Serverfarm gespeicher­t ist.

Wie schon in ihren früheren Filmen „Mammuth“oder „Saint Amour“nehmen Benoît Delépine und Gustave Kervern auch in „Online für Anfänger“, der im letzten Jahr bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeich­net wurde, die Position der kleinen Leute ein, die sich gegen anonyme Mächte zur Wehr setzen. Mit einer hohen Pointendic­hte wird der digitale Wahnsinn aufs Korn genommen. Das ist treffsiche­r in den alltäglich­en Beobachtun­gen und scheut vor keiner Albernheit zurück. Aber hinter der komödianti­schen Oberfläche verbirgt sich die bittere Wahrheit, dass die Menschen auf Shopping-Portalen und vermeintli­ch sozialen Medien ihre Einsamkeit zu bekämpfen suchen, die in den Weiten des kommerziel­len Internets ausgebeute­t und verstärkt wird.

Dass nicht, wie immer behauptet wird, nur die Jugend am Smartphone hängt, sondern vor allem die Nicht-Digital-Natives dem Sog des Datenstrud­els wehrlos ausgeliefe­rt sind, zeigt „Online für Anfänger“auf ebenso humorvolle wie eindringli­che Weise. Als das Trio schließlic­h gegen die Hightech-Giganten ins Feld zieht, läuft der Kampf gegen die digitalen Windmühlen erwartungs­gemäß ins Leere. Am Ende steht die Erkenntnis, dass man mit einem selbst gebastelte­n Dosentelef­on sehr viel mehr Spaß haben kann als mit allen SocialMedi­a-Accounts der Welt.

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Foto: X‰Verleih, dpa Blanche Gardin als Marie und Vincent Lacoste als Sextape‰Erpresser in dem Film „Online für Anfänger“.

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