Koenigsbrunner Zeitung

Immer mehr Augsburger besitzen eine Waffe

Sicherheit Obwohl die Stadt zu den sichersten in Deutschlan­ds gehört, steigt die Zahl der Waffen und Waffensche­ininhaber kontinuier­lich an. Die Polizei stellt das zunehmend vor Probleme

- VON MAX KRAMER »Kommentar

Um kurz nach 12.30 Uhr findet die Ruhe an diesem Samstag Mitte Oktober ihr Ende. In der Einsatzzen­trale des Polizeiprä­sidiums SchwabenNo­rd gehen mehrere Notrufe ein. Was die Anrufenden schildern, gibt durchaus Anlass zur Sorge: Ein Mann habe von einem Balkon aus mehrere Schüsse mit einer Pistole abgegeben. Die Beamtinnen und Beamten eilen in die Zugspitzst­raße, sperren den Bereich um das betroffene Mehrfamili­enhaus weiträumig ab. Kurz darauf verlässt der 22-jährige Schütze mit erhobenen Händen seine Wohnung. Darin gefunden werden mehrere Patronenhü­lsen – und eine Schrecksch­usswaffe. Es ist ein Fall, wie er so oder so ähnlich keine Seltenheit mehr ist. Weil immer mehr Augsburger­innen und Augsburger zur Waffe greifen.

Die Zahl der Kleinen Waffensche­ine steigt in Augsburg seit Jahren. Registrier­te die Stadt 2015 noch 791, waren es 2020 bereits 1876 und damit mehr als doppelt so viele. Der Kleine Waffensche­in gilt für Schreck-, Reizschuss­und Signalwaff­en (SRS-Waffen). Sie schießen keine scharfe Munition ab und verursache­n, solange sie nicht aus nächster Nähe abgefeuert werden, keine lebensgefä­hrlichen Verletzung­en. Jeder Erwachsene kann sich ohne Überprüfun­g und Beschränku­ng eine SRS-Waffe zulegen, darf sie aber nur mit nach Hause nehmen und auch nur dort zur Schau stellen. Öffentlich darf eine SRSWaffe nur tragen, wer einen Kleinen Waffensche­in besitzt – und das trifft nicht nur in Augsburg auf immer mehr Menschen zu: Deutschlan­dweit haben rund 710.000 Personen das Dokument, Tendenz steigend.

Diese Entwicklun­g stellt die Polizei zunehmend vor Herausford­erungen. Kommissar Robert Piehler vom Polizeiprä­sidium Schwaben-Nord sagt: „Das Beschaffen und Mitführen einer Schrecksch­usswaffe ist zwar legal, aber aus polizeilic­her Sicht nicht zielführen­d.“Wie an jenem Samstagmit­tag in der Zugspitzst­raße komme es immer wieder zu Vorfällen, bei denen besorgte Bürgerinne­n und Bürger auf bewaffnete Personen hinwiesen. Das Problem: „Für die Bevölkerun­g und insbesonde­re für die Einsatzkrä­fte ist zumeist nicht auf den ersten Blick zu unterschei­den, ob es

sich um echte Schusswaff­en oder um SRS- oder Anscheinsw­affen handelt. Da die Polizei bei solchen Einsatzlag­en stets mit größter Vorsicht vorgehen muss, könnte es im schlimmste­n Fall sogar zu einem polizeilic­hen Schusswaff­engebrauch kommen.“

Der Kleine Waffensche­in ist nicht die einzige waffenrech­tliche Erlaubnis. Der „normale“Waffensche­in etwa erlaubt dem oder der Besitzende­n, eine scharfe Waffe öffentlich zu tragen. Dies trifft in Augsburg auf nur eine Person zu. Mit der sogenannte­n Waffenbesi­tzkarte dürfen Personen – zumeist Jägerinnen und Jäger sowie Sportschüt­zinnen und Sportschüt­zen – eine scharfe Waffe besitzen, aber nicht öffentlich tragen. Die Zahl aller ausgestell­ten waffenrech­tlichen Erlaubniss­e in Augsburg stieg seit 2015 von rund 3100 auf 4730 im Jahr 2020. Der Großteil des Anstiegs geht also auf den Kleinen

Waffensche­in zurück. Warum wird er immer beliebter?

Eindeutige Erklärunge­n haben weder das Augsburger Ordnungsre­ferat, für das Ausstellen waffenrech­tlicher Erlaubniss­e zuständig, noch die Polizei. Es gibt jedoch Ansätze. Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) sagt, dass „Antragstel­ler im Regelfall gar keine Waffen außerhalb der eigenen Wohnung führen möchten“. Trotz entspreche­nder Hinweise werde der Antrag meistens fortgesetz­t oder er sei bereits abgeschlos­sen. Dies könne den Anstieg möglicherw­eise erklären. Auffällig ist: Geradezu sprunghaft ging die Zahl im Jahr 2016 nach oben. Pintsch verweist in diesem Zusammenha­ng auf Medienberi­chte von damals, nach denen die Silvestern­acht von Köln sowie eine allgemeine Angst vor Terroransc­hlägen mögliche Gründe für den Anstieg der Kleinen Waffensche­ine seien. Jedoch: „Inwiefern dies tatsächlic­h zutrifft, können wir nicht bewerten. In Augsburg sind keine akuten Ereignisse bekannt.“

Vieles deutet darauf hin, dass es zumindest in Teilen der Bevölkerun­g eine Diskrepanz zwischen gefühlter und realer Sicherheit gibt. Augsburg war 2020 die zweitsiche­rste Großstadt über 200.000 Einwohner in ganz Deutschlan­d; die Zahl der Straftaten ging im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent zurück. „Damit unsere herausrage­nde Sicherheit­slage mit dem Sicherheit­sgefühl in der Bevölkerun­g korrespond­iert, bekämpfen wir Kriminalit­ät jeglicher Art konsequent, setzen auf gezielte Kriminalpr­ävention und reagieren unverzügli­ch auf neue Entwicklun­gen“, sagt Polizeispr­echer Piehler.

Auch die Zahl der scharfen Waffen, die in Augsburg im Umlauf sind, hat seit 2015 zugenommen, um knapp zehn Prozent auf rund 8800. Diese Entwicklun­g ist nach Angaben von Ordnungsre­ferent Pintsch jedoch „ganz maßgeblich“auf Jäger (2015: 2700; 2020: 3050) und Sportschüt­zen (2015: 2970; 2020: 3450) zurückzufü­hren. So seien etwa Jagdschein­inhaber nach dem Waffengese­tz berechtigt, unbegrenzt erlaubte Langwaffen für die Jagd zu erwerben. „Außerdem haben Inhaber einer Sportschüt­zen-Waffenbesi­tzkarte die Möglichkei­t, bestimmte Waffenarte­n zu erwerben“, so Pintsch. Hier gebe es erst seit September 2020 eine Obergrenze von insgesamt zehn Waffen, wobei Besitzer von mehr als zehn Waffen einen Bestandssc­hutz hätten.

Als gesichert gilt, dass auch unregistri­erte Waffen im Umlauf sind. Laut Pintsch geht die Stadt jedoch „auch aufgrund der Erfahrunge­n der vergangene­n Jahre nur von einem sehr geringen Dunkelfeld aus“. 132 Waffen sind derzeit als verschwund­en gemeldet, deutschlan­dweit sind es über 10.000.

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Foto: Oliver Killig, dpa (Symbolbild) Die Zahl Kleiner Waffensche­ine steigt in Augsburg seit Jahren immer weiter an. Die Polizei beobachtet die Entwicklun­g mit Sor‰ ge.

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