Offen sein bis an die Schmerzgrenze: Die Schauspielerin Jenny Langner
In Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wienerwald“spielt Jenny Langner die Marianne. Ihre Figuren erarbeitet sie sich mit viel Recherche.
Während Marianne am Ende von Ödön von Horvaths Stück „Geschichten aus dem Wiener Wald“den Satz „Ich kann nicht mehr“sagt, tritt Schauspielerin Jenny Langner an diesem Sonntagnachmittag sogar mit Husten auf. Sie braucht ausnahmsweise ein Mikrofon als Verstärker für ihre angeschlagene Stimme, aber das ist vergessen, sobald sie als Marianne das Schaufenster des Spielwarenladens dekoriert. Hingebungsvoll stopft sie dem Skelett eine Luftschlange ins Gehirn, um ihm dann die Zähne zu putzen. Bis Alfred kommt. Der schäkert mit ihr vor der Scheibe stehend herum, während in roten Lettern aufleuchtet „Good Luck“. Doch der Moment des Kennenlernens ist überschattet durch das Auftauchen von Mariannes Verlobtem Oskar.
Die Szene wirkt wie aus dem Leben gegriffen. Das hat einen Grund, erzählt Langner nach der Vorstellung, denn das Stück sei „improvisiert und wie eine Treppe, Stufe für Stufe“in Zusammenarbeit von Ensemble und Regisseur Sebastian Schug entstanden. Bis zur fertigen Aufführung sei es „eine vielschichtige Arbeit mit viel Recherche, viel Schweiß“. Denn es „gibt Rollen, die einem auf den ersten Blick etwas sagen, manche brauchen aber eine tiefe Vorbereitung“, so Langner. Deshalb liest die Schauspielerin regelmäßig Zeitung, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Den Weg zur Arbeit nutzt sie, um die „Umwelt zu beobachten und Tagträume zu entwickeln“. So fühlt sie sich in eine Figur ein. Deswegen sei auch jede Vorstellung ein bisschen anders. Als Marianne würde sie wie eine Marionette in Oskars Armen hängen, bevor sie von ihm mit Jiu-Jitsu-Kunst auf die Matte gelegt wird. „Manchmal lache ich in dieser Szene, manchmal weine ich“, sagt Langner.
Etwas naiv und unbedarft geht Horvaths Marianne in den „Geschichten aus dem Wiener Wald“durchs Leben – mit der echten Jenny Langner hat die Figur der Marianne aber wenig gemein. Zielstrebig
verfolgte diese ihren Weg als Schauspielerin. „Ich bin von klein auf über die Bühnen gestolpert und habe das Flair der Theaterwelt aufgesogen“, sagt sie über ihre Anfänge. Zunächst hatte Jenny Langner aber Ballett getanzt und im Chor gesungen, bevor sie bei der Schauspielerei landete. Als Teenager habe ihr dann ein Regisseur nahegelegt, Schauspiel zu studieren. Genau das hat sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart gemacht. Seit der Spielzeit 2017/18 ist die Schauspielerin am Staatstheater Augsburg engagiert. Seitdem ist sie auch Mutter. Davor hatte sie Engagements unter anderem in Magdeburg und Dessau. Dort im Osten
Deutschlands, genauer im Harz, ist Langner geboren. Als 11-Jährige zog sie dann mit ihrer alleinerziehenden Mutter nach Baden-Württemberg um.
Zeitweise sitzt Jenny Langner in der Aufführung des Horvath-Stückes am Rande der Bühne auf einem Verstärker und spielt E-Gitarre. Tanzen und Singen muss Marianne am Ende des Stücks im „Moulin Bleu“, das ans Moulin Rouge erinnert. War die Szene ursprünglich von Walzerklängen umrahmt, so tanzt Marianne nun zu elektronischer Musik aus dem Song „Darkest Hour“bevor sie ihre Silikonbrüste entblößt. Eine Szene, die von Langner verlangt „offen zu sein, bis an die Schmerzgrenze“,
wie sie bekennt. Der Regisseur habe die Deformation zeigen wollen, so Langer. Gemeint ist nicht nur die Entstellung der Gestalt, sondern die gesellschaftliche, denn der Zauberkönig spricht – ganz gekränkte Autorität – zu Marianne: „Ja, schämst du dich denn gar nicht mehr?“was Marianne mit einem lapidaren „Das kann ich mir nicht leisten, dass ich mich schäm“, beantwortet.
Das Volksstück und die Figur der Marianne erfahren die von Horvath geforderte Anpassung an die Zeitumstände, wenn Marianne mit roter Bob-Perücke zu einem bewaffneten Racheengel à la Bonny mutiert. Im echten Leben setzt Langner auf „kleine, feine Statements
mit Plan A“am Staatstheater, um die Ukraine zu unterstützen. Aber die Szene ist trotzdem bedeutsam, denn sie unterstreicht die Wandlungsfähigkeit von Jenny Langner. Die hatte auch schon Auftritte in den Fernsehserien „Der Alte“und in „Sturm der Liebe“. Im Film spiele sie „mehr im Moment“, während im Theater „die Kunst der Überhöhung“gefragt sei. Über ihre Arbeit am Staatstheater Augsburg sagt sie: „Ich werde hier auf ziemlich vielen Ebenen abgeholt.“
Weitere Aufführungen von „Geschichten aus dem Wiener Wald“am 2. Dezember sowie im Januar und Februar im Martinipark.