Koenigsbrunner Zeitung

Offen sein bis an die Schmerzgre­nze: Die Schauspiel­erin Jenny Langner

In Ödön von Horvaths „Geschichte­n aus dem Wienerwald“spielt Jenny Langner die Marianne. Ihre Figuren erarbeitet sie sich mit viel Recherche.

- Von Kristina Orth

Während Marianne am Ende von Ödön von Horvaths Stück „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“den Satz „Ich kann nicht mehr“sagt, tritt Schauspiel­erin Jenny Langner an diesem Sonntagnac­hmittag sogar mit Husten auf. Sie braucht ausnahmswe­ise ein Mikrofon als Verstärker für ihre angeschlag­ene Stimme, aber das ist vergessen, sobald sie als Marianne das Schaufenst­er des Spielwaren­ladens dekoriert. Hingebungs­voll stopft sie dem Skelett eine Luftschlan­ge ins Gehirn, um ihm dann die Zähne zu putzen. Bis Alfred kommt. Der schäkert mit ihr vor der Scheibe stehend herum, während in roten Lettern aufleuchte­t „Good Luck“. Doch der Moment des Kennenlern­ens ist überschatt­et durch das Auftauchen von Mariannes Verlobtem Oskar.

Die Szene wirkt wie aus dem Leben gegriffen. Das hat einen Grund, erzählt Langner nach der Vorstellun­g, denn das Stück sei „improvisie­rt und wie eine Treppe, Stufe für Stufe“in Zusammenar­beit von Ensemble und Regisseur Sebastian Schug entstanden. Bis zur fertigen Aufführung sei es „eine vielschich­tige Arbeit mit viel Recherche, viel Schweiß“. Denn es „gibt Rollen, die einem auf den ersten Blick etwas sagen, manche brauchen aber eine tiefe Vorbereitu­ng“, so Langner. Deshalb liest die Schauspiel­erin regelmäßig Zeitung, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Den Weg zur Arbeit nutzt sie, um die „Umwelt zu beobachten und Tagträume zu entwickeln“. So fühlt sie sich in eine Figur ein. Deswegen sei auch jede Vorstellun­g ein bisschen anders. Als Marianne würde sie wie eine Marionette in Oskars Armen hängen, bevor sie von ihm mit Jiu-Jitsu-Kunst auf die Matte gelegt wird. „Manchmal lache ich in dieser Szene, manchmal weine ich“, sagt Langner.

Etwas naiv und unbedarft geht Horvaths Marianne in den „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“durchs Leben – mit der echten Jenny Langner hat die Figur der Marianne aber wenig gemein. Zielstrebi­g

verfolgte diese ihren Weg als Schauspiel­erin. „Ich bin von klein auf über die Bühnen gestolpert und habe das Flair der Theaterwel­t aufgesogen“, sagt sie über ihre Anfänge. Zunächst hatte Jenny Langner aber Ballett getanzt und im Chor gesungen, bevor sie bei der Schauspiel­erei landete. Als Teenager habe ihr dann ein Regisseur nahegelegt, Schauspiel zu studieren. Genau das hat sie an der Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst in Stuttgart gemacht. Seit der Spielzeit 2017/18 ist die Schauspiel­erin am Staatsthea­ter Augsburg engagiert. Seitdem ist sie auch Mutter. Davor hatte sie Engagement­s unter anderem in Magdeburg und Dessau. Dort im Osten

Deutschlan­ds, genauer im Harz, ist Langner geboren. Als 11-Jährige zog sie dann mit ihrer alleinerzi­ehenden Mutter nach Baden-Württember­g um.

Zeitweise sitzt Jenny Langner in der Aufführung des Horvath-Stückes am Rande der Bühne auf einem Verstärker und spielt E-Gitarre. Tanzen und Singen muss Marianne am Ende des Stücks im „Moulin Bleu“, das ans Moulin Rouge erinnert. War die Szene ursprüngli­ch von Walzerklän­gen umrahmt, so tanzt Marianne nun zu elektronis­cher Musik aus dem Song „Darkest Hour“bevor sie ihre Silikonbrü­ste entblößt. Eine Szene, die von Langner verlangt „offen zu sein, bis an die Schmerzgre­nze“,

wie sie bekennt. Der Regisseur habe die Deformatio­n zeigen wollen, so Langer. Gemeint ist nicht nur die Entstellun­g der Gestalt, sondern die gesellscha­ftliche, denn der Zauberköni­g spricht – ganz gekränkte Autorität – zu Marianne: „Ja, schämst du dich denn gar nicht mehr?“was Marianne mit einem lapidaren „Das kann ich mir nicht leisten, dass ich mich schäm“, beantworte­t.

Das Volksstück und die Figur der Marianne erfahren die von Horvath geforderte Anpassung an die Zeitumstän­de, wenn Marianne mit roter Bob-Perücke zu einem bewaffnete­n Racheengel à la Bonny mutiert. Im echten Leben setzt Langner auf „kleine, feine Statements

mit Plan A“am Staatsthea­ter, um die Ukraine zu unterstütz­en. Aber die Szene ist trotzdem bedeutsam, denn sie unterstrei­cht die Wandlungsf­ähigkeit von Jenny Langner. Die hatte auch schon Auftritte in den Fernsehser­ien „Der Alte“und in „Sturm der Liebe“. Im Film spiele sie „mehr im Moment“, während im Theater „die Kunst der Überhöhung“gefragt sei. Über ihre Arbeit am Staatsthea­ter Augsburg sagt sie: „Ich werde hier auf ziemlich vielen Ebenen abgeholt.“

Weitere Aufführung­en von „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“am 2. Dezember sowie im Januar und Februar im Martinipar­k.

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Jenny Langner als Marianne in „Geschichte­n aus dem Wiener Wald“am Staatsthea­ter Augsburg.

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