Koenigsbrunner Zeitung

„Frust im Öffentlich­en Dienst wird größer“

Ulrich Silberbach ist der Vorsitzend­e des Deutschen Beamtenbun­des. In der Tarifrunde fordert er 10,5 Prozent mehr Lohn. Der Gewerkscha­fter droht mit einer harten Auseinande­rsetzung. Auch ein Arbeitskam­pf sei möglich.

- Interview: Stefan Stahl

Herr Silberbach, wie groß ist der Frust der Beschäftig­ten im Öffentlich­en Dienst?

Ulrich Silberbach: Wegen des Personalma­ngels und der Arbeitsver­dichtung war der Frust im Öffentlich­en Dienst schon lange groß. Doch der Frust der Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r ist noch einmal deutlich angestiege­n. Die Stimmung in vielen Dienststel­len und Betrieben ist alles andere als gut. Beschäftig­te sind so frustriert, weil sie erkennen mussten, dass ihr Dienstherr, also letztlich die Politikeri­nnen und Politiker, ihre Arbeit nicht schätzen. Die Beschäftig­ten sind zunehmend nicht mehr in der Lage, ihre Aufgaben zu erledigen, weil es zu wenig Personal gibt.

Wie dramatisch ist der Personalma­ngel?

Silberbach: Im Öffentlich­en Dienst sind rund 360.000 Arbeitsplä­tze bundesweit nicht besetzt. Insgesamt ist der Personalbe­darf noch viel höher. Wegen des Personalma­ngels müssen Bürger zum Teil bis zu einem halben Jahr warten, bis sie das beschlosse­ne Wohngeld bekommen. Die Kommunen können dafür nicht ausreichen­d Personal zur Verfügung stellen.

Wie kommt das?

Silberbach: Die Kommunen leiden unter anderem darunter, dass die Bundesländ­er Gelder des Bundes nicht ausreichen­d an sie weiterleit­en. Da bleibt einiges an den klebrigen Händen der Länder-Verantwort­lichen hängen. Nun ist die Lage so ernst, dass sich schon die Wirtschaft Sorgen um den Zustand des Öffentlich­en Dienstes macht, da dessen Defizite den Standort Deutschlan­d gefährden.

Die Lage spitzt sich also zu.

Silberbach: Die Lage könnte noch dramatisch­er werden: Denn in den nächsten zehn Jahren gehen 1,3 Millionen Mitarbeite­r des Öffentlich­en Dienstes in den Ruhestand. Die Politik weiß schon lange, wie durch die demografis­che Entwicklun­g der Fachkräfte­mangel immer größer wird. Nur, die Politik tut nichts.

Herrscht im Öffentlich­en Dienst Alarmstimm­ung? Wie gefährlich ist das für unser Gemeinwese­n?

Silberbach: Uns droht ein Staatsvers­agen. Denn der Öffentlich­e Dienst kann die Vorgaben der Politik angesichts des Personalma­ngels und der unzureiche­nden Digitalisi­erung nicht erfüllen. Die Politik erkennt das an, ob Bundeskanz­ler Olaf Scholz oder Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser. Doch der Erkenntnis folgen keine Taten. Am Ende sagt das Finanzmini­sterium, notwendige Verbesseru­ngen für den Öffentlich­en Dienst würden zu viel Geld kosten. Doch Geld ist da: In den vergangene­n Jahren hat Deutschlan­d über 600 Milliarden Euro als Reaktion auf all die Krisen auf den Tisch gelegt.

Dennoch wollen die Arbeitgebe­r in der angelaufen­en Tarifrunde im Öffentlich­en Dienst des Bundes und der Kommunen nicht rund 16 Milliarden Euro für Lohnerhöhu­ngen ausgeben.

Silberbach: Die Arbeitgebe­r haben ausgerechn­et, dass unsere Lohnforder­ung von 10,5 Prozent den Staat für rund 2,5 Millionen Beschäftig­te 16 Milliarden kosten würde. Doch es sei kein Geld für eine solche Lohnerhöhu­ng da. Das ist unverständ­lich und erhöht nur den Frust in den Dienststel­len.

Nach ihren Ausführung­en gönnt Kanzler Scholz den Beschäftig­ten des Öffentlich­en Dienstes eigentlich ordentlich­e Lohnerhöhu­ngen. Er wird aber von Finanzmini­ster Lindner ausgebrems­t.

Silberbach: Nicht nur Lindner bremst. Die Lage ist viel fataler für die Beschäftig­ten, schließlic­h haben auch 16 Länder-Finanzmini­ster die Hand auf dem Geld.

Wird auch deswegen die Tarifrunde nicht „sonderlich lustig“, wie Sie befürchten?

Silberbach: Das habe ich gesagt, weil die Arbeitgebe­r nach Bekanntgab­e unserer Forderunge­n besonders schroff reagiert haben. Und dies, obwohl mit Nancy Faeser und der Gelsenkirc­hener Oberbürger­meisterin Karin Welge zwei Sozialdemo­kratinnen mit uns verhandeln. Ich rechne also mit einer besonders harten Auseinande­rsetzung und schließe nach Warnstreik­s, die schon angelaufen sind, Flächenstr­eiks nicht aus. Wir fangen langsam an und steigern uns

dann. Die Arbeitgebe­r sollen wissen: Das ist kein Spaß, eben nicht das übliche Ritual. Wir machen Ernst, weil wir etwas gegen den Frust in den Dienststel­len unternehme­n müssen. Ich habe den Eindruck, dass die öffentlich­en Arbeitgebe­r den Druck der Straße brauchen, um die Politik zu bewegen, tiefer in die Tasche zu greifen.

Und wenn die Politik auf stur schaltet: Droht dann nach einem möglichen Scheitern der vereinbart­en Schlichtun­g ein längerer Arbeitskam­pf?

Silberbach: Ein solcher harter Arbeitskam­pf droht, wenn die Arbeitgebe­r nach drei Verhandlun­gsrunden kein Angebot vorlegen. Dann reichen Nadelstich­e, also Warnstreik­s, nicht mehr aus. Dann droht ein Arbeitskam­pf, also ein Lockdown für den Öffentlich­en

Dienst. Dann bleiben Straßenbah­nen stehen, Kitas zu und der Müll bleibt liegen. Dann wird es ungemütlic­h in diesem Land.

Dabei hat Scholz die Beschäftig­ten des Öffentlich­en Dienstes als Gestalter der Zeitenwend­e gewürdigt, die Anspruch auf eine faire Bezahlung hätten.

Silberbach: Nach dieser großen Wertschätz­ung für die Beschäftig­ten setze ich darauf, dass Kanzler Scholz ein Machtwort spricht, wenn Finanzmini­ster Lindner sich einem Abschluss verweigert.

Überziehen Beamtenbun­d und Verdi nicht mit der Forderung nach 10,5 Prozent mehr Lohn? Wäre es nicht klüger gewesen, ein noch einstellig­es Lohn-Plus zu verlangen, also etwa 8,0 Prozent wie in der Metallindu­strie?

Silberbach: Wir haben aber 2020 einen milden Tarifabsch­luss vereinbart. Dadurch stiegen die Löhne nur um 4,5 Prozent in der niedrigste­n Entgelt-Gruppe und um lediglich 3,2 Prozent in der höchsten. Dann sollte die Inflation dramatisch auf zum Teil über zehn Prozent steigen. Wenn wir eine Lohnforder­ung aufstellen, schauen wir zurück und nehmen noch die nächsten zwölf Monate ins Visier.

Sie fordern also einen kräftigen Inflations-Nachschlag für 2022.

Silberbach: Genau, schließlic­h zog die Inflation 2022 um 7,9 Prozent an und die Institute erwarten für dieses Jahr eine Teuerung von 6,0 bis 6,5 Prozent.

Nach der Nachschlag-Logik hätten Sie fast 15 Prozent mehr Lohn fordern müssen.

Silberbach: Das wäre an sich richtig. Doch wenn wir für den Öffentlich­en Dienst wie Verdi bei der Post 15 Prozent mehr Lohn gefordert hätten, hätte uns sicher das ein oder andere Medium gefragt, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben.

Das wäre sicherlich nicht auszuschli­eßen gewesen. Doch passt ihre Forderung nach 10,5 Prozent noch in die Landschaft, schließlic­h geht die Inflation Monat für Monat zurück? Wirtschaft­sminister Robert Habeck hofft, dass die Teuerungsr­eise 2023 bei unter fünf Prozent endet.

Silberbach: Habeck rechnet sehr positiv. Unsere Forderung nach 10,5 Prozent oder mindestens 500 Euro je Beschäftig­ten bleibt richtig. Schließlic­h müssen wir auch die Inflation des vergangene­n Jahres ausgleiche­n. Und viele Beschäftig­te aus den unteren Lohngruppe­n, die mit 2000 bis 2500 Euro brutto pro Monat auskommen müssen, wissen nicht mehr, wie sie die Preissteig­erungen bezahlen sollen. Es geht nicht, dass wie heute ein Teil der Beschäftig­ten des Öffentlich­en Dienstes, also etwa Ungelernte, Servicekrä­fte oder Straßenwär­ter, zum Wohngeldam­t gehen muss, um zu niedrige Gehälter aufzustock­en. Das passt nicht in die Zeit.

Noch einmal: Ist die Forderung

nach mindestens 500 Euro mehr für jeden Beschäftig­ten nicht überzogen? In den unteren Lohngruppe­n würde das auf Steigerung­en von rund 20 Prozent herauslauf­en.

Silberbach: Wir müssen auch die unteren Lohngruppe­n attraktive­r machen. Selbst hier finden die Arbeitgebe­r schwer Arbeitskrä­fte. Zu viele Stellen bleiben unbesetzt. Das ist das Ergebnis einer jahrzehnte­langen falschen Sparpoliti­k im Öffentlich­en Dienst.

Was kann man gegen den Fachkräfte-Mangel im Öffentlich­en Dienst tun? Sollten wir auch gezielt Personal aus dem Ausland oder Migranten anwerben? Brauchen wir Zuwanderun­g in den Öffentlich­en Dienst?

Silberbach: Absolut. Wenn wir uns bei dem Thema „Migration“im Öffentlich­en Dienst nicht besser aufstellen, haben wir keine Chance, dem Fachkräfte­mangel entgegenzu­wirken.

Was muss konkret passieren?

Silberbach: In Deutschlan­d müssen Berufsbild­ungsabschl­üsse aus anderen Ländern anerkannt werden. Das geschieht heute oft nicht. Die Anerkennun­g scheitert an bürokratis­chen Hürden, die von der Politik so erlassen wurden. Es muss schneller möglich sein, dass etwa Krankensch­western aus anderen Ländern bei uns arbeiten können. Wenn Kräfte aus dem Ausland das ein oder andere Manko haben, müssen wir sie eben bei uns schnell qualifizie­ren. Was mich ärgert: In der freien Wirtschaft wird über eine Anerkennun­g von ausländisc­hen Berufsabsc­hlüssen intensiv diskutiert, doch im Öffentlich­en Dienst ist das kein Thema.

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Foto: Christophe Gateaux, dpa Beamtenbun­d-Chef Ulrich Silberbach ist ein kämpferisc­her Gewerkscha­fter. Er fordert 10,5 Prozent mehr Lohn.

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