Wladimir Kaminer und sein Weißwurstfrühstück mit Jesus
Der Autor präsentiert im Ballonmuseum Gersthofen „Wie sage ich es meiner Mutter“, ein Buch voller skurriler Geschichten. Er erzählt von einem Oberammergau-Besuch bis hin zu einer Amsel im Aschenbecher auf dem Balkon.
„Ich habe schon mit Jesus Weißwurst gegessen“, erzählt Wladimir Kaminer, der Autor der „Russendisko“, im Ballonmuseum Gersthofen, und das ist sogar die Wahrheit. 2020 in Oberammergau. Ein Rundfunksender hatte Kaminer losgeschickt mit dem Auftrag: „Sie fahren an die Orte, wo nichts stattfindet, und erzählen uns dann davon.“Trotzdem hat die Reise nach Oberammergau Kaminer geprägt, denn: „Früher dachte ich als Großstadtmensch, ich bin ja in Moskau geboren, Leben findet nur in der Großstadt statt, mittlerweile sind mir die Menschen in den Kleinstädten oft lieber, da kennt man sich.“In Oberammergau habe er sogar Vincent, den Sohn von Jesus, kennengelernt, der später … richtig, auch mal Jesus werden will. „Judas hatte leider Long Covid und der katalanische Riesenesel, der aussah wie der aus Shrek, ist leider falsch christianisiert und dem Jesus reingerutscht.“
An der Ostsee, wo „grimmige Unfreundlichkeit seit dem Mauerfall quasi immaterielles Kulturerbe ist, sowie in Österreich die Marillen, die eigentlich schmecken und riechen wie Aprikosen“, dort also „hätten die Einheimischen Jesus nicht aus Boshaftigkeit ans Kreuz geschlagen, aber Ordnung muss sein“. Während der Jesus in Oberammergau seufzt: „Ich glaub, in Bayern ist das mit der Kreuzigung endgültig erledigt.“
Im Rheinland angekommen wundert sich Kaminer in seinem Buch „Wie sage ich es meiner Mutter“, denn „er wusste nicht, dass Tiere so viele Organe haben“. Bis er einen „Saumagen Carpaccio“serviert bekommen hat. „Das war, als hätten die Kannibalen beschlossen, Gourmets zu werden.“Im Saarland schließlich hat Kaminer einen Eintrag in ein Goldenes Buch gemacht: „Wir waren vier: Heino, Honecker, ich und ein afghanischer Kosmonaut.“Letzterer war ursprünglich Taxifahrer in Kabul und ist dann 88 mit zwei russischen Kollegen ins All geflogen, erzählt Kaminer. „Ein Leben wie eine Taxifahrt zu den Sternen und zurück“, meint Kaminer, denn heute fährt der Afghane wieder Taxi. Jetzt allerdings in Wiesbaden.
Was nach „Zurück in die Zukunft“klingt, ist bei Kaminer Programm. Seine Mutter „unterhielt sich mit dem Schachprogramm in ihrem Computer. Manchmal erklärte Mama dem Computer, was ein besserer Zug wäre“, merkt Kaminer kritisch an. Denn „der „Algorithmus kochte jedem sein persönliches Beruhigungssüppchen. Er hielt uns die Apokalypse vom Hals und versorgte uns mit Pseudonachrichten wie mit Beruhigungsmitteln“. Was bei ihm dann Nachrichten aus dem kleinen Ort Laar sind, sind für seine Mutter Gurkensalat-Rezepte. Obwohl sie nur ein einziges Mal Gurken über dem Verfallsdatum verbrauchen wollte und danach gegoogelt hatte.
Wegen ihrer Vorliebe für „Chicken Wings in der Mikrowelle“schleppen die Enkel ihre 91-jährige Oma in den Alnatura Bioladen: „Sie war da ganz entzückt vom Himalaja Badesalz. Das ist Tausende von Jahren alt“, berichtet Kaminer, „aber laut Alnatura hat es ein Verfallsdatum im April 23“. Einsam ist Kaminers Mutter aber zumindest nicht. Anders als ihre Freundin Inge, zu der sie sagt: „Du lebst ein Stillleben.“Inge widerspricht: „Ich spreche mit meinen Pflanzen. Es reicht nämlich nicht, eine Pflanze einfach nur in die Erde zu stecken, einmal zu gießen und tschüss. Außerdem stoßen wir Menschen beim Flüstern Kohlendioxid aus, das mag für das Klima schädlich sein, für die Pflanze ist es aber das beste Mittagessen.“Während Kaminers Mutter noch denkt: „Wir bewerten unsere Freunde nicht danach, wie viele Tassen sie noch im Schrank haben“, hat Inge die tot geglaubte Zimmergeranie auf wundersame Weise wiederbelebt, auch wenn sie sich wegen ihrer Demenz bald nicht mehr daran erinnert.
Wladimir Kaminers Mutter strebt nun ebenfalls danach, wie Inge in einer symbiotischen Beziehung mit etwas zu leben. Möglich macht das die „elektrische Fliegenklatsche Olympia für 4,99“, die Kaminers Mama bei Pfennigland kauft. Sie ist sicher, dieses Mal auf der Höhe der Zeit zu leben, denn auch „das Fahrrad war neben dem E-Auto zu einer modernen, persönlichen Arche Noah geworden“. Unerwarteterweise zog sie „damit sofort den Zorn der Enkelkinder auf sich“. Das ältere Enkelkind erklärte der Oma: „Wir müssen eine ökologisch gerechte Welt schaffen.“
„Wir. Bei uns in der Wohnung. Im ersten Stock bei dreißig Grad im Schatten, mit Balkon zum Hinterhof?“, fragt sich Kaminer indes. Doch Omas Stunde schlägt bald, als eine Amsel auf dem Raucherbalkon mitten im „großen Aschenbecher“ihr Nest baut. „Nun saß das Weibchen mit offenem Schnabel da und blickte uns aus runden Augen streng an, als wollte es sagen: „Rauchen tötet. Ab jetzt wird hier nicht mehr gequalmt. Wir wollen nämlich neues Leben aus eurer alten Asche entstehen lassen.“
Oma, eigentlich stolze Besitzerin der Katze Maja, hilft nun mit ihrer Fliegenklatsche den überforderten Amseleltern bei der Fütterung der Amselkinder R1 und R2: „Also bekamen R1 und R2 ihre Fliegen teilweise roh von ihren Eltern und teilweise leicht angeschmort von meiner Mutter“, erzählt Kaminer nicht ohne Stolz auf seine Mama.