Der Osten braucht den „Soli“nicht mehr
Das höchste Finanzgericht des Bundes hat nichts dagegen, dass Besserverdiener und viele Betriebe den umstrittenen Zuschlag noch zahlen. Die Ampel könnte das ändern.
Ausflüge in das Gebiet der ehemaligen DDR zeigen zwar nicht immer blühende Landschaften, oft aber schmucke Dörfer und Städte. Das Geld aus dem Solidaritätszuschlag wurde offensichtlich gut angelegt. In manchen Köpfen ist die Mauer trotz vieler Wiederaufbau-Milliarden in D-Mark und Euro noch immer vorhanden. Das aber kann der Soli nicht ändern. Er verbessert auch nicht die Lage vieler Ostdeutscher, die schlechter bezahlt und in Führungspositionen unterrepräsentiert sind. Diesen Missstand zu beheben, ist Sache einer tatkräftigen Gesellschaftspolitik, nicht eines prall gefüllten Steuersäckels. Der Soli jedenfalls entscheidet nicht über den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Stabilität unserer Demokratie.
Der Bundesfinanzhof hat gleichwohl die Klage eines Ehepaares gegen den Soli abgewiesen. Er stellte einen „wiedervereinigungsbedingten Finanzbedarf des Bundes“fest und billigte dem Gesetzgeber einen „fortbestehenden Bedarf“unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts zu. Zugleich machte der Oberste Gerichtshof für Steuern und Zölle deutlich, dass es den Solidaritätszuschlag noch weiterhin geben darf. Dem Münchner Gericht zufolge verstößt es außerdem nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, dass seit 2021 rund 90 Prozent der Steuerpflichtigen von der Abgabe befreit sind. Man muss nun darauf hoffen, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Sache befasst.
Der BFH meint zwar, dass es sich beim Soli um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe handelt und eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht daher „nicht geboten“sei. Andererseits stellt er in der Urteilsbegründung selbst fest, dass die Beschränkung auf zehn Prozent der Steuerzahler eine „Ungleichbehandlung“ist.
In der Tat zahlen die oberen zehn Prozent der Einkommensteuerpflichtigen schon seit Jahren etwa die Hälfte des gesamten Einkommensteueraufkommens. Der Soli belastet nicht nur sie. Betriebe und Unternehmen sind sogar überproportional betroffen. Das Geld wird auch nicht wirklich zur Deckung anderer Belastungen gebraucht, denn ein Einnahmeproblem hat der Staat angesichts sprudelnder Steuern gerade nicht. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bescheinigt der aktuellen Soli-Regelung „ein hohes Risiko der Verfassungswidrigkeit“. Experten wie der Heidelberger Rechtsprofessor Hanno Kube halten die Beschränkung auf die wohlhabenderen zehn
Prozent in Deutschland schon lange für verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht könnte die aktuelle Regelung für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklären. Über eine solche Entscheidung würden jedoch vermutlich Jahre ins Land gehen, in denen weiter vehement über den Soli gestritten würde.
Tatsächlich liegt die Verantwortung gar nicht bei den Gerichten. SPD, Grüne und FDP haben eine politische Lösung des Streits in der Hand. Die Liberalen wollen die Steuer schon lange abgeschafft wissen, Grüne und SPD indes ziehen nicht mit – die Ampel ist hier so weit auseinander, dass es der Solidaritätszuschlag nicht einmal als Arbeitsauftrag in den Koalitionsvertrag schaffte. Ein Blick zurück nährt den Verdacht, dass es um politische Machtspiele und Taktiererei geht. 2013 machte die FDP vehement Front gegen den Zuschlag, warb gar mit einem eigenen Flugblatt für die Abschaffung. Das Ergebnis: Die FDP flog aus dem Bundestag, der Soli blieb.
Am Ende wird in Karlsruhe entschieden