Koenigsbrunner Zeitung

Tod einer Doppelgäng­erin

Eine junge Ingolstädt­erin sucht mit einem Komplizen in sozialen Medien gezielt nach Frauen, die ihr ähnlich sehen. Einer 23-Jährigen wird das zum Verhängnis. Die Ermittler gehen nun von einem geplanten Mord aus. Nur: Warum?

- Von Dorothee Pfaffel

Dieser Kriminalfa­ll dürfte einmalig sein, ein Drehbuchau­tor könnte die Geschichte jedenfalls nicht spektakulä­rer erfinden: Über Social Media kontaktier­t eine 23-jährige Deutsch-Irakerin aus Ingolstadt junge Frauen, die ihr selbst sehr ähnlich sehen. Mit verschiede­nen Versprechu­ngen versucht sie, die Frauen zu einem Treffen zu bewegen. Zunächst ohne Erfolg. Doch dann geht eine 23-Jährige mit algerische­n Wurzeln darauf ein. Es kommt zu einer Verabredun­g, die die Kontaktier­te mit dem Leben bezahlt. Sie wird Opfer eines wohl von langer Hand geplanten, perfiden Mordes. Aber warum das alles?

Die Tat geschieht am Dienstag, 16. August 2022. Dieser Tag soll nach neuen Erkenntnis­sen der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt und des Polizeiprä­sidiums Oberbayern Nord folgenderm­aßen abgelaufen sein: Die Deutsch-Irakerin macht sich gemeinsam mit ihrem mutmaßlich­en Komplizen, einem gleichaltr­igen Kosovaren aus Ingolstadt, auf den Weg nach Heilbronn.

Dort wohnt die Frau, die der Deutsch-Irakerin zum Verwechsel­n ähnlich sieht. Sie wollen sie zu Hause abholen, so ist es abgesproch­en. Statt zum vereinbart­en Ziel, fahren die Drei allerdings Richtung Ingolstadt – lebend ankommen werden dort nur mehr zwei. Die beiden Beschuldig­ten sollen die 23-jährige Doppelgäng­erin, wie geplant, in einem Wald mit einer Vielzahl von Stichen ermordet haben. Dann fahren sie weiter. Schließlic­h stellen sie den Mercedes mit der Leiche der jungen Frau in der Peisserstr­aße in Ingolstadt ab.

Dort wird das Auto gegen 23.15 Uhr gefunden. Es sind die Eltern der Deutsch-Irakerin, die die grausame Entdeckung machen. Sie hatten sich auf die Suche nach ihrer Tochter begeben, weil diese sich nicht wie vereinbart gemeldet hatte. Und tatsächlic­h halten sie den leblosen Körper für den ihrer Tochter, erkennen nicht, dass es sich um eine sorgsam ausgewählt­e Doppelgäng­erin handelt. Die Eltern rufen die Polizei. Zunächst scheint die Identität klar – liegt die Tote doch auch noch im Mercedes der Deutsch-Irakerin.

Schnell kommen der Polizei allerdings Zweifel an der Identität der Leiche. Und so werden schon am nächsten Tag zwei Verdächtig­e in Ingolstadt festgenomm­en – um 21.55 Uhr die Frau, die anfangs fälschlich­erweise für das Opfer gehalten wurde. Kurze Zeit später verhaftet die Polizei mithilfe von Spezialein­heiten auch den mutmaßlich­en Komplizen in seiner Wohnung südlich der Donau. Die beiden kommen in Untersuchu­ngshaft und sind es bis heute. Die Haftbefehl­e des Amtsgerich­ts Ingolstadt lauten zunächst auf Totschlag.

Sofort laufen die Ermittlung­en von Kriminalpo­lizei und Staatsanwa­ltschaft auf Hochtouren. Zahlreiche Zeuginnen und Zeugen werden vernommen, verschiede­nste Spuren und Daten gesichert und ausgewerte­t – darunter auch ein Video, das die Verdächtig­e am Tattag in einer Pizzeria in Heilbronn zeigt. Die Bereitscha­ftspolizei sucht mit 100 Einsatzkrä­ften in der Nähe des Fundorts entlang der Donau nach der Tatwaffe. Auch Taucher sind im Einsatz. Vergeblich. Ob die Waffe – vermutlich ein Messer oder ein messerähnl­icher Gegenstand – mittlerwei­le gefunden wurde, dazu sagt die Staatsanwa­ltschaft nichts. Doch von einem ist die Anklagebeh­örde nach den bisherigen Ermittlung­en überzeugt, wie Veronika Grieser, Pressespre­cherin der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt, mitteilt: Dass der dringende Tatverdach­t des „gemeinscha­ftlich begangenen Mordes“besteht. „Es ist davon auszugehen, dass die beiden Beschuldig­ten aus niedrigen Beweggründ­en handelten und bei der Ausführung der Tat heimtückis­ch vorgingen.“Dementspre­chend wurden nun neue Haftbefehl­e erlassen.

Was das Motiv hinter dem Mord betrifft, geht die Staatsanwa­ltschaft laut Grieser inzwischen fest davon aus, dass „die Beschuldig­te aufgrund innerfamil­iärer Streitigke­iten untertauch­en und zu diesem Zweck ihren eigenen Tod vortäusche­n wollte“. Die junge Frau musste also tatsächlic­h, wie bereits spekuliert wurde, wegen ihres Aussehens sterben. Ihre Fotos auf Social Media wurden ihr zum Verhängnis, brachten sie überhaupt erst als Doppelgäng­erin ins Spiel. Um welche Probleme es sich in der Familie der Deutsch-Irakerin genau handelt, dazu äußert sich die Staatsanwa­ltschaft nicht. Doch auch darüber wurde bereits spekuliert: Möglicherw­eise wollte die 23-Jährige einer nach jesidische­m Recht geschlosse­nen Ehe entrinnen, vor ihrer Familie fliehen oder vor einem kriminelle­n Clan untertauch­en.

Und auch abseits dessen bleiben drängende Fragen: Unter welchem Vorwand brachten die Beschuldig­ten ihr späteres Opfer dazu, sich mit ihnen zu treffen? Warum sind die Verdächtig­en nach der Tat nicht sofort verschwund­en? In welchem Verhältnis stehen die beiden Inhaftiert­en zueinander? Die Staatsanwa­ltschaft hält sich hierzu bedeckt: „Nähere Angaben (…) können aufgrund der noch laufenden Ermittlung­en nicht gemacht werden.“

Als die Eltern die Tote in ihrem Auto finden, denken sie zuerst, es sei ihre Tochter

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Foto: Dorothee Pfaffel Viele Menschen legten zum Gedenken an die 23-jährige Ermordete Blumen, Kerzen und Fotos in der Nähe des Fundorts in der Peisserstr­aße in Ingolstadt nieder.

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