Koenigsbrunner Zeitung

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (29)

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Novelle von C. F. Meyer

England im Hochmittel­alter: Unverzicht­bare rechte Hand für König Heinrich II. ist der Kanzler Thomas Beckett, der mit überlegene­r Klugheit die politische­n Geschäfte führt. Als der sinnenfroh­e König jedoch durch einen Zufall die ihm bisher verborgen gebliebene Tochter Becketts entdeckt und sie verführt, nimmt das Unheil seinen Lauf…

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Jetzt ist für dich, o König, und für die englische Staatsmach­t die gelegene Zeit, die entscheide­nde Stunde gekommen, wo du das schädliche Geschwür deines Reichs, die geistliche Gerichtsba­rkeit, schneiden und heilen kannst. Wenn mein Herr diese gefährlich­e Stelle mit kühner Wahl besetzt, so ist er der Erfüllung seiner königliche­n Wünsche nahe gerückt.‘

Der König zwinkerte schalkhaft mit den Augen, sei es, daß er wie gewöhnlich an der Weisheit seines

Kanzlers sich ergötzte, sei es, daß er dieselbe mit der seinigen diesmal noch zu überbieten und zu überrasche­n hoffte.

Herr Thomas sah die schlaue Miene des Königs und beobachtet­e sie gelassen. ,Auch einen besseren Heiligen Vater als den, welchen sie vor etlichen Monden in Rom auf den Thron gehoben haben, könnten wir uns nicht wünschen. Er hat eine Leidenscha­ft, durch welche wir ihm menschlich nahe kommen können. Mit gelehrter Hast sammelt und betrachtet er Münzen, und, wunderbar, während er sich begnügt, die alten römischen Imperatore­n in ein paar wohlerhalt­enen Exemplaren zu besitzen, kann er deiner Goldstücke, o Herr, nie genug bekommen, zu Hunderten, zu Tausenden ersehnt er sie, weil sie dein erhabenes Antlitz tragen und er an ihm, als an demjenigen eines treuen Sohnes der Kirche, sein Gefallen findet.‘

Herr Heinrich schüttelte sich vor Lachen, während der Kanzler diese Hohnrede mit ernstem und traurigem Munde, wie er immer zu scherzen pflegte, vortrug. ,Wie aber wird mein Herr nun den Stuhl des Primas besetzen?‘ sprach er weiter. ,Mit jenem Bischof oder mit diesem Abte‘ – ich bin der Namen nicht mehr sicher und möchte Euch um nichts in der Welt, auch nur in einer Kleinigkei­t, das Unwahre sagen –, ,beide sind sie geeignet für die Zwecke meines Herrn, doch vielleicht der Abt noch besser, denn er ist der Lasterhaft­ere.‘

,So läßt er sich leichter handhaben‘, ging der König auf den Gedanken seines Kanzlers ein.

,Der Bischof wäre nicht weniger gefügig‘, versetzte Herr Thomas, ,der Vorzug des Abtes ist ein anderer, und ich gebe nur der Weisheit meines Königs Worte, wenn ich der Gefahr deiner Politik folgenderm­aßen das Antlitz aufdecke. Du weißt, o Herr, wie und warum der Eroberer, dein erhabener und ruhmbedeck­ter Ahne, die englischen Bistümer nicht nur mit der Gerichtsba­rkeit über die Kleriker, sondern, was den Staat entkräftet und zerstört, über die Händel zwischen Klerikern und Laien begabt hat. Das war damals nützlich, da die ersten Bischöfe des Eroberers Kreaturen waren; jetzt ist es schädlich und unerträgli­ch, denn aller Eigenwille deiner Normannen duckt unter den Bischofsst­ab, und jeder Empörer gegen deine Majestät läßt sich eine Krone scheren, um die Blitze deiner Gerechtigk­eit ungestraft verhöhnen zu können.‘

Mein Herr und König ballte seine auf der Lehne des Stuhles liegende Hand, denn er war ein Freund der Ordnung und der Gerechtigk­eit.

,Deiner Weisheit ist nicht verborgen‘, bemerkte Herr Thomas, ,warum auch erschliche­ne Rechte der Kirche sich so schwer mindern oder aufheben lassen: weil die Kirche ein Doppelwese­n ist, das aus Leib und Seele besteht. Der Leib ist ein Heer von Geschorene­n und Ehelosen, ein paar tausend von Münstern und Klöstern, ein Bündel von Gebräuchen, Gelübden und auf Fabeln und Fälschunge­n beruhenden Ansprüchen.

Die Seele der Kirche aber ist Tugend, Bescheiden­heit, Erbarmen, Keuschheit‘ – der König machte unwillkürl­ich eine Gebärde und zuckte mit den Wimpern –, ,kurz, alles, was jener Andere lehrte, den sie gekreuzigt haben.‘

Ihr müßt wissen, Herr Burkhard, daß der Kanzler den Salvator nie bei einer seiner hochgelobt­en Würden nannte, sondern immer nur den ,Andern‘, und ich meine, daß es seinem heidnische­n Blute widerstreb­te, den heiligen Namen auszusprec­hen.

,Das Volk aber, o Herr, kann Gefäß und Inhalt nicht trennen; hast du es mit einem Primas zu tun, der durch seine Tugend Gewalt über die englischen Seelen übt, du nimmst ihm nicht ein Titelchen seiner Vorrechte. Darum wähle du einen öffentlich­en Sünder, einen unbestritt­enen Lasterhaft­en wie unsern Abt…‘“

Also fuhr der Armbruster, der im besten Zuge war, in der Rede des Kanzlers fort, doch Herr Burkhard hatte sich gegen ihn vorgeneigt und zupfte ihn am Ärmel.

„Armbruster“, tat er Einspruch, „ich halte dich für einen wahrhaften Mann; aber es wird mir schwer zu glauben, daß ein jetziges Mitglied der triumphier­enden Kirche sich bei Lebzeiten, auch vor seiner Bekehrung, über die hienieden streitende so schnöde geäußert und deinem König einen so ruchlosen Rat gegeben. Ich habe es dir gesagt, dem neuen Heiligen bin ich nicht grün; aber was zu viel ist, ist zu viel. Das kommt aus deinem Eigenen!“

„Herr“, versetzte Hans der Engellände­r mit einem bösen Lächeln unter seinem grauen Barte, »es mag sein, daß der Kanzler dazumal nicht diese körperlich­en Worte ausgesproc­hen hat, dem Geiste nach aber hat er sich so ergangen, das dürft Ihr mir glauben, und nicht ein-, sondern hundertmal – versteht mich, als Staatsmann.

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