Koenigsbrunner Zeitung

Rätselhaft­er Fall von Polizeigew­alt

Nach dem Tod eines Schwarzen bei einem Polizeiein­satz in den USA werden die Beamten angeklagt und ihre Einheit aufgelöst. Doch mit Rassismus allein lässt sich die Tat nicht erklären.

- Von Karl Doemens

Die Bilder, die nun immer wieder im amerikanis­chen Fernsehen laufen, sind kaum auszuhalte­n. Auf den Aufnahmen sieht man, wie fünf Polizisten auf einer Straße in Memphis einen 29-jährigen unbewaffne­ten Afroamerik­aner ohne erkennbare­n Grund aus dem Auto zerren, mehrfach brutal ins Gesicht schlagen, treten, sowie mit Pfefferspr­ay, einem Elektrosch­ocker und einem Knüppel malträtier­en. Drei Tage später erlag Tyre Nichols im Krankenhau­s seinen Verletzung­en.

Viele Menschen in den USA sind geschockt. Präsident Joe Biden hat seine Empörung und tiefe Trauer kundgetan. Die Staatsanwa­ltschaft hat die Ex-Beamten in Rekordgesc­hwindigkei­t angeklagt. Doch beim reichweite­nstarken rechten TV-Sender Fox News kann man derzeit ein Alternativ­programm verfolgen. „Wir wissen nicht, ob der Kerl etwas genommen hatte. Ich kann keinen tödlichen Schlag erkennen“, wiegelte Moderator Jesse Watters schon bei der Ausstrahlu­ng der Gewalt-Sequenz ab.

Etwas später warnte dann Tucker Carlson, der Ober-Einpeitsch­er des Kanals, die Zuschauer vor „rassistisc­hem Hass“gegen Weiße: „Heute Abend startet eine aggressive Propaganda­kampagne, um euch zu manipulier­en und den traurigen Tod eines jungen Mannes zu missbrauch­en.“

Die konträren Reaktionen lassen erahnen, vor welchen Problemen die Gesellscha­ft und die Politik der USA bei der Aufarbeitu­ng des tödlichen Vorfalls vom 7. Januar stehen. Nach Darstellun­g der Anwälte seiner Familie hatte sich Nichols auf der Rückfahrt von einem Park befunden, wo er den Sonnenunte­rgang fotografie­rte, als er von den Beamten gestoppt wurde. Nach deren Angaben war er zu schnell gefahren. Bei der Kontrolle wenige Meter vor dem Haus seiner Mutter versuchte er zu fliehen, wirkt auf den Videos im Gegensatz zu den Polizisten aber keineswegs aggressiv. „Ich habe nichts getan“, beteuert er.

Wie bereits bei früheren Fällen tödlicher Polizeigew­alt drängen nun die Demokraten und das Weiße Haus auf Reformen. „Wir dürfen hier nicht stehen bleiben“, mahnte der demokratis­che Senator

Cory Booker und versprach, er werde alles tun, um eine überpartei­liche Koalition für Gesetzesän­derungen zu schmieden, die „helfen, so etwas zu beenden“.

Ein ähnlicher Anlauf nach dem Tod des Afroamerik­aners George Floyd, der im Mai 2020 von einem weißen Polizisten mit dem Knie auf dem Nacken erstickt worden war, blieb freilich erfolglos. Inzwischen halten die Republikan­er die Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus. Eine damals unter anderem angestrebt­e Aufhebung der Immunität von Polizisten gegen Zivilrecht­sklagen lehnen sie weiter ebenso ab wie die Verknüpfun­g von Bundesmitt­eln mit dem Umbau der örtlichen Ordnungskr­äfte. Nicht nur der moderate Republikan­er und Ex-Abgeordnet­e Adam Kinzinger bezweifelt daher, dass es eine überpartei­liche Einigung geben wird.

Hinzu kommt: So dringend erforderli­ch nach Meinung der Experten strukturel­le Veränderun­gen am Polizeisys­tem der USA sind, so unklar ist, ob die 2021 diskutiert­e Reform die aktuelle Tragödie verhindert hätte. So wurde der Würgegriff, der George Floyd tötete und daraufhin verboten werden sollte, in Memphis nicht angewendet. Auch hatten mehrere Beamten ihre Bodycams eingeschal­tet und misshandel­ten Tyre Nichols also im Wissen darum, dass ihr Verhalten dokumentie­rt wurde.

Schließlic­h sind alle fünf Täter, die anschließe­nd sofort aus dem Dienst entfernt wurden und nun lange Haftstrafe­n fürchten müssen, wie das Opfer schwarz. Auch Cerelyn Davis, die Polizeiche­fin von Memphis, ist eine Afroamerik­anerin. Sie hat bewusst darauf hingearbei­tete, ihre 2000 Personen starke Truppe der ethnischen Prägung ihrer Stadt anzugleich­en.

Viele Kommentato­ren in den USA sehen daher nicht bloßen Rassismus, sondern eine spezielle Subkultur innerhalb der Polizei, die junge afroamerik­anische Männer von vorneherei­n als Täter einsortier­t und entmenschl­icht, als Ursache des Gewaltexze­sses. Bei den Ordnungshü­tern gebe es einen regelrecht­en internen Wettbewerb um Brutalität und die Zahl der Festnahmen, erklärte der Kriminolog­ie Thaddeus Johnson im Sender PBS: „Beim Betrachten des Videos werden wir Zeugen eines tödlichen Gemischs aus Inkompeten­z, Aggression, Machismo und Prahlerei, wer der Härteste ist.“

 ?? Foto: Alex Slitz, AP/dpa ?? Nach dem Tod von Tyre Nichols kam es überall in den USA zu Protesten gegen Polizeigew­alt, hier in Atlanta.
Foto: Alex Slitz, AP/dpa Nach dem Tod von Tyre Nichols kam es überall in den USA zu Protesten gegen Polizeigew­alt, hier in Atlanta.

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