Held Siegfried als Sonnenscheinchen
Zum zweiten Mal vollendet die Staatsoper Stuttgart einen „Ring des Nibelungen“, den mehrere Produktionsteams verantworten. In der „Götterdämmerung“hat auch die Komik wieder eine Rolle zu spielen.
Weißt du, was aus ihm ward? So fragt die zweite Norn zu Beginn von Wagners „Götterdämmerung“bezüglich auch des Rheingolds. Ja, nun wissen wir, was daraus geworden ist; der neue Stuttgarter „Ring des Nibelungen“ist zu seinem Abschluss gekommen; der zweite Stuttgarter „Ring“bereits in Folge, der auf Multiperspektive und Diskontinuität setzt, indem für jeden der vier „Ring“-Teile ein anderes Produktionsteam verantwortlich zeichnet (in der „Walküre“hatten die Regieköpfe gar aktweise gewechselt).
Stiegen Siegfried und Brünnhilde zum Finale von Jossi Wielers und Sergio Morabitos „Siegfried“-Inszenierung noch ins Bett eines weißen Schleiflack-Schlafzimmers, so wachen sie nun auf in einer indianisch anmutenden Felsenkammer,
die allerdings im Sturm der Liebesbegeisterung bedenklich wackelt (Bühne: Demian Wohler). Das Pappmaché und Siegfrieds Naturell weisen den Weg, dass in Marco Stormans Regie der „Götterdämmerung“auch die Komik eine Rolle spielen soll.
Dieser Siegfried wird antiheldisch gezeichnet: so ungezwungen wie ungehobelt, ein stets gut gelaunter Springinsfeld und Schelm, ja, man kommt nicht darum, ihm – geradezu unsterbliche – PumucklZüge zu attestieren. Was tut er, wenn alles vorbei ist, wenn die Überreste der Weltesche Hagen erdrückt und begraben haben, wenn Kinder im Rinnsal Rhein nach dem Ring suchen und offenbar mehrfach fündig werden? Siegfried winkt bestens gelaunt die todeswillige Brünnhilde zu sich – und dann rollen sie zusammen ab von der Bühne, auf einem Einhorn.
Nicht nur das Sonnenscheinchen
Siegfried, der sich empathisch in jeden schnell hineinversetzen kann, ist ein Kennzeichen dieser „Götterdämmerung“, sondern auch eine Reihe von Gemälden,
die verhandelt werden. Keine substanzvollen Historienmalereien, eher verschmockte Schinken, die die Protagonisten billig verklären. Wesentlich darunter: Siegfried, wie ihn eine Lanze von hinten durchbohrt – nach der Vorlage übrigens eines alten Karl-MayWinnetou-Covers. Hagen hat es als eine Geschichtsillustration von den drei Nornen übernommen und hängt es nun – prominent und programmatisch – in der Gibichungenhalle auf, dort wo er gleichsam als Seelsorger in sakralem Raum mit Ambo, Kanzel, Glasfenstern, gotischen Fragmenten wirkt.
Hier zeigt sich denn auch geballt das dritte Merkmal von Stormans Inszenierung: Er ist nicht allein auf die Erzählung einer Mythologie aus, sondern auch auf Querverweise in andere alte Kulturen. Unter den Gibichungen tummeln sich Griechen, Römer, Ägypter, Indianer. Tunika, Toga, Schakalskopf
und Bisonschädel erhalten Auftritt (Kostüme: Sara Schwartz).
Das alles überrascht und kratzt an Wagners Ernst. Ob solches Korrektiv in dieser Form heute noch belangvoll bleibt, stellt sich als Frage. Das Bunte und das Kunterbunte in Stuttgart, die Komik und die Pathos-Hintertreibung haben auch ihr erheblich Unverbindliches.
Gut ist daher, dass die Staatsoper Patrick Zielke als Hagen aufbieten kann – sängerisch wie darstellerisch. Bei ihm wird mit der Urgewalt eines Basses klar, um welch gefährliches Spiel es in der „Götterdämmerung“geht. Er übernimmt in einer ÜbervaterSohn-Albtraumszene auch noch den Alberich; er hat dramatisches Gewicht, nicht der Hallodri Siegfried – als Charakterstudie gleichwohl ansprechend von Daniel Kirch gesungen. Christiane Libor leiht der Brünnhilde schöne Töne, aber auch gestemmte, detonierende in der Höhe. Eindringlich: Esther Dierkes als Gutrune; solide: Shigeo Ishino als Gunther.
Seit letztem Sommer nun ist Stuttgarts Generalmusikdirektor Cornelius Meister auch Bayreuth„Ring“erfahren. Als pragmatisch denkender Theatraliker bleibt aber die Aufgabe für ihn, an der Präzision zu feilen. Das Staatsorchester hatte bei der Premiere der Götterdämmerung nicht seinen besten Tag. Bis in den Schlussakkord störten unkorrigierte Schwebungen im Holz, immer mal wieder im Verlauf des Abends mangelte es an Koordination, instrumentaler Perfektion. Die orchestrale Überwältigung (Siegfrieds Tod) funktionierte besser als die Feinarbeit.
Die Staatsoper Stuttgart kündigt zwei „Ring“-Zyklen für 3., 4., 10., 12. März sowie 5., 6., 8., 10. April an.