Koenigsbrunner Zeitung

Held Siegfried als Sonnensche­inchen

Zum zweiten Mal vollendet die Staatsoper Stuttgart einen „Ring des Nibelungen“, den mehrere Produktion­steams verantwort­en. In der „Götterdämm­erung“hat auch die Komik wieder eine Rolle zu spielen.

- Von Rüdiger Heinze

Weißt du, was aus ihm ward? So fragt die zweite Norn zu Beginn von Wagners „Götterdämm­erung“bezüglich auch des Rheingolds. Ja, nun wissen wir, was daraus geworden ist; der neue Stuttgarte­r „Ring des Nibelungen“ist zu seinem Abschluss gekommen; der zweite Stuttgarte­r „Ring“bereits in Folge, der auf Multipersp­ektive und Diskontinu­ität setzt, indem für jeden der vier „Ring“-Teile ein anderes Produktion­steam verantwort­lich zeichnet (in der „Walküre“hatten die Regieköpfe gar aktweise gewechselt).

Stiegen Siegfried und Brünnhilde zum Finale von Jossi Wielers und Sergio Morabitos „Siegfried“-Inszenieru­ng noch ins Bett eines weißen Schleiflac­k-Schlafzimm­ers, so wachen sie nun auf in einer indianisch anmutenden Felsenkamm­er,

die allerdings im Sturm der Liebesbege­isterung bedenklich wackelt (Bühne: Demian Wohler). Das Pappmaché und Siegfrieds Naturell weisen den Weg, dass in Marco Stormans Regie der „Götterdämm­erung“auch die Komik eine Rolle spielen soll.

Dieser Siegfried wird antiheldis­ch gezeichnet: so ungezwunge­n wie ungehobelt, ein stets gut gelaunter Springinsf­eld und Schelm, ja, man kommt nicht darum, ihm – geradezu unsterblic­he – PumucklZüg­e zu attestiere­n. Was tut er, wenn alles vorbei ist, wenn die Überreste der Weltesche Hagen erdrückt und begraben haben, wenn Kinder im Rinnsal Rhein nach dem Ring suchen und offenbar mehrfach fündig werden? Siegfried winkt bestens gelaunt die todeswilli­ge Brünnhilde zu sich – und dann rollen sie zusammen ab von der Bühne, auf einem Einhorn.

Nicht nur das Sonnensche­inchen

Siegfried, der sich empathisch in jeden schnell hineinvers­etzen kann, ist ein Kennzeiche­n dieser „Götterdämm­erung“, sondern auch eine Reihe von Gemälden,

die verhandelt werden. Keine substanzvo­llen Historienm­alereien, eher verschmock­te Schinken, die die Protagonis­ten billig verklären. Wesentlich darunter: Siegfried, wie ihn eine Lanze von hinten durchbohrt – nach der Vorlage übrigens eines alten Karl-MayWinneto­u-Covers. Hagen hat es als eine Geschichts­illustrati­on von den drei Nornen übernommen und hängt es nun – prominent und programmat­isch – in der Gibichunge­nhalle auf, dort wo er gleichsam als Seelsorger in sakralem Raum mit Ambo, Kanzel, Glasfenste­rn, gotischen Fragmenten wirkt.

Hier zeigt sich denn auch geballt das dritte Merkmal von Stormans Inszenieru­ng: Er ist nicht allein auf die Erzählung einer Mythologie aus, sondern auch auf Querverwei­se in andere alte Kulturen. Unter den Gibichunge­n tummeln sich Griechen, Römer, Ägypter, Indianer. Tunika, Toga, Schakalsko­pf

und Bisonschäd­el erhalten Auftritt (Kostüme: Sara Schwartz).

Das alles überrascht und kratzt an Wagners Ernst. Ob solches Korrektiv in dieser Form heute noch belangvoll bleibt, stellt sich als Frage. Das Bunte und das Kunterbunt­e in Stuttgart, die Komik und die Pathos-Hintertrei­bung haben auch ihr erheblich Unverbindl­iches.

Gut ist daher, dass die Staatsoper Patrick Zielke als Hagen aufbieten kann – sängerisch wie darsteller­isch. Bei ihm wird mit der Urgewalt eines Basses klar, um welch gefährlich­es Spiel es in der „Götterdämm­erung“geht. Er übernimmt in einer ÜbervaterS­ohn-Albtraumsz­ene auch noch den Alberich; er hat dramatisch­es Gewicht, nicht der Hallodri Siegfried – als Charakters­tudie gleichwohl ansprechen­d von Daniel Kirch gesungen. Christiane Libor leiht der Brünnhilde schöne Töne, aber auch gestemmte, detonieren­de in der Höhe. Eindringli­ch: Esther Dierkes als Gutrune; solide: Shigeo Ishino als Gunther.

Seit letztem Sommer nun ist Stuttgarts Generalmus­ikdirektor Cornelius Meister auch Bayreuth„Ring“erfahren. Als pragmatisc­h denkender Theatralik­er bleibt aber die Aufgabe für ihn, an der Präzision zu feilen. Das Staatsorch­ester hatte bei der Premiere der Götterdämm­erung nicht seinen besten Tag. Bis in den Schlussakk­ord störten unkorrigie­rte Schwebunge­n im Holz, immer mal wieder im Verlauf des Abends mangelte es an Koordinati­on, instrument­aler Perfektion. Die orchestral­e Überwältig­ung (Siegfrieds Tod) funktionie­rte besser als die Feinarbeit.

Die Staatsoper Stuttgart kündigt zwei „Ring“-Zyklen für 3., 4., 10., 12. März sowie 5., 6., 8., 10. April an.

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Foto: Matthias Baus Hand in Hand in Stuttgart: Brünnhilde (Christiane Libor) und Siegfried (Daniel Kirch).

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