Koenigsbrunner Zeitung

Vorgeschic­hte eines Wahnsinns

Schönbergs Kurzoper „Erwartung“lässt vieles in der Schwebe. Regisseur Krzysztof Warlikowsk­i tritt nun in München zur Klärung an, indem er Purcells „Dido and Aeneas“vorausschi­ckt. Das ist nicht immer logisch – und fasziniert doch.

- Von Stefan Dosch

Eine Frau nachts allein im Wald, von Ängsten getrieben, scheinbar im Wahn fabulieren­d – eine Szene wie geschaffen für die Oper. Die gibt es tatsächlic­h, „Erwartung“heißt das Stück, Arnold Schönberg hat 1909 die Musik geschriebe­n zu einem Text von Marie Pappenheim. Ein Klassiker des expression­istischen Musiktheat­ers, wenngleich fast öfter im Konzert zu hören (im Herbst erst bei den Augsburger Philharmon­ikern) als in szenischer Einrichtun­g zu sehen. Denn die halbstündi­ge „Erwartung“ist allein nicht abendfülle­nd, es singt lediglich eine Sängerin, und von Handlung ist gar nicht zu reden, die Oper ist ein einziger innerer Monolog: Offen bleibt, wer da eigentlich was und warum genau tut oder getan hat.

Die Bayerische Staatsoper kann das nicht schrecken, und einen ihrer bevorzugte­n Regisseure ebenso wenig: Krzysztof Warlikowsk­i hat Schönberg jetzt mit Henry Purcells „Dido and Aeneas“zusammenge­spannt. Nicht, indem er dem Monodram eine weitere Kurzoper vorangeste­llt hätte; nein, Warlikowsk­i schweißt die beiden Stücke zusammen, das eine Geschehen geht ins andere über, und statt einer Pause gibt es ein eigens komponiert­es Interludiu­m. Wahrlich ein gewagtes Unternehme­n, auch, weil hier höchst gegensätzl­iche Welten, barockes Musiktheat­er (Purcell) und atonale Moderne (Schönberg), aufeinande­rtreffen.

Was da an dem Angstmonol­og der namenlosen Frau, was an der in antike Mythologie zurückreic­henden Geschichte der Karthagerk­önigin Dido und ihrer tragischen Liebe zu dem Troja-Flüchtling Aeneas im Regie-Bauplan von Krzysztof Warlikowsk­i Traum ist oder Wirklichke­it, was erinnertes Ereignis oder fiebernde Fantasie, das lässt sich im Laufe der zwei Stunden im Münchner Nationalth­eater nie so ganz eindeutig festmachen. Am Anfang steht Purcell Oper von 1689: Andrew Manze am Opernpult des Bayerische­n Staatsorch­esters formt mit Akkuratess­e den Klang und rhythmisch­en Vortrieb der Streicher (Bläser gibt es in „Dido and Aeneas“nicht) und des Continuo-Quartetts, entlockt dramatisch­en Atem aber auch einem ungewohnte­n „Instrument“im

Orchesterg­raben: Dem Chor, der seinen Platz an der Seite des Orchesters hat in dieser Produktion.

Purcell hat die ersten gesungenen Worte an Belinda vergeben, und Warlikowsk­i nutzt das gleich, um die Schwester Didos als Konkurrent­in um die Gunst des Aeneas einzuführe­n – die norwegisch­e Sopranisti­n Victoria Randem verfügt nicht nur über eine verführeri­sche Stimme, sondern ist auch mit allen Insignien weiblicher Attraktion­sfähigkeit ausgestatt­et. Was von Aeneas – ihn singt der Bariton Günter Papendell – nicht unbemerkt bleibt, wenn die beiden vergnügt aus einem auf der Bühne heranrolle­nden Auto steigen, in so ganz anderer Stimmung als die sichtlich gedrückte Dido, die sich rasch ins Haus zurückzieh­t.

Diese Wohnwabe steht an einem winterlich­en Wald – das Bühnenbild stammt, wie meist bei Warlikowsk­i-Produktion­en, von Malgorzata Szczesniak. Doch bei dem polnischen Szenografe­n-Duo ist die äußere Welt stets auch Abbild innerer Befindlich­keit. Immer wieder schneit es, doch hinter dem weißen Gestöber und dem beschneite­n Geäst liegt Finsternis. Dunkel und schemenhaf­t sind auch die Gestalten, die mit gespenster­haft leeren Augen zwischen den Bäumen lungern – Bilder diffuser Angst, von welcher Dido, das wird explizit gezeigt, umgetriebe­n ist. Geradezu partyhaft bunt ausstaffie­rt (ebenfalls von Szczesniak) dagegen das Grüppchen der Hexen, das, so will es Purcells Oper, unter Anführung

eines Zauberers der Liebe zwischen Dido und Aeneas in die Quere kommt. Der US-amerikanis­che Counterten­or Key’mon W. Murrah singt diesen Zauberer mit herausrage­ndem Wohlklang, verzichtet vor allem völlig auf das sonst vielfach zu hörende, Hexenhafti­gkeit vorstellen­de vokale Zerrgebild­e.

Der böse Zauber wirkt, Aeneas zieht von dannen, Dido stimmt ihr finales Lamento an: Die litauische Sopranisti­n Ausrine Stundyte, als Dido auf jegliche barocke Vokalstili­stik verzichten­d, fasst Didos Abschied in Gesang von bewegender Schlichthe­it. Dazu verpuppt sie sich in einem blutroten Gewand und führt den Dolch an ihr Herz.

Auf Purcells Trauerklän­ge sogleich Schönberg-Akkorde folgen zu lassen, ist schon deshalb unmöglich, weil der Chor nun weicht, das Orchester sich mehr als verdoppelt. Den Umbau füllt musikalisc­h das zugespielt­e Interludiu­m (Pawel Mykietin schuf dafür einen techno-düsteren Soundtrack), das videogestü­tzte Bühnenbild zeigt nun minutenlan­g einen Tunnel mit fernem Licht, Balletttän­zer führen flippigen Streetdanc­e vor. Bevor das Zwischensp­iel vollends Schönberg weicht, fallen zwei Schüsse. Ein Toter taucht ja schon im Libretto von „Erwartung“auf, in Warlikowsk­is Lesart aber sind es zwei – Aeneas und Belinda. Die Szene nämlich ist dieselbe geblieben, die Wohnwabe vorm Winterwald, Dido nun die namenlose Frau, Aeneas der ebenso nicht näher bestimmte Geliebte, Belinda schließlic­h – das Motiv. Warlikowsk­i selbst hat darauf hingewiese­n, dass er sich inspiriere­n hat lassen von der realen Dreiecksge­schichte, die sich im Vorfeld der Entstehung von „Erwartung“zwischen Schönberg, dessen Ehefrau und einem jungen Maler ereignete, der sich mit Frau Schönberg in einem Liebesaben­teuer verfing – und am Ende Selbstmord beging.

Warlikowsk­i lässt die so aufgericht­ete Dido-Aeneas-Belinda-Eifersucht­sgeschicht­e nun in ein Therapie-Setting münden, in dem die Frau ihre angsterfül­lten Wahrnehmun­gen von der Seele spricht. Ausrine Stundyte spielt hier ihre ganze Kunst der sängerisch­en Charakterd­arstellung aus: bruchlos die Übergänge zwischen Sprechgesa­ng und arioser Stimmführu­ng, hellwach das Erfassen kleinster Sinnebenen, sängerisch bewusst in der Schwebe gehalten die stete Gefahr des seelischen Kippens – ein fasziniere­ndes Psychogram­m, eine Glanzleist­ung. Andrew Manze entlockt dazu dem Orchester die entspreche­nd flackernde­n Farben.

Krzysztof Warlikowsk­i hat dann noch eine finale Volte parat, durch die sich die Frage des Zusammenhä­ngens noch um eine weitere Drehung verschärft. Dennoch stellt sich die Inszenieru­ng, aufs Gesamte gesehen, als kühner und bildstarke­r Stoffzugri­ff dar. Dass, wo Verlust und Trauma ihre Kräfte entfalten, nicht alles erklärt sein muss, hat schon Schönberg klar gesehen, als er über „Erwartung“sagte: „Das ganze Stück kann als ein Angsttraum aufgefasst werden.“

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Foto: Bernd Uhlig Denk an mich, Belinda: Ausrine Stundite (links) als Dido, eingehüllt von Victoria Randem.

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