Koenigsbrunner Zeitung

Ein rätselhaft­es Stück im Pflegechao­s

Uraufführu­ng am Sensemble-Theater: Das neue Zwei-Mann-Stück „Für geeignete Personen“ist ein überrasche­ndes, unterhalts­ames und tiefsinnig­es Gesamtkuns­twerk mit einem brillanten Bühnenbild.

- Von Stefanie Schoene

Schon für die Bühne lohnt es sich, früher zu kommen. Im Halbdunkel liegt sie da wie der Keller eines Messis. Umzugskart­ons, Truhen, Lampen, Kisten, ein Kasperleth­eater, Krankenbet­t samt Infusionss­tänder über- und untereinan­der gestapelt. Ein wildes Wimmelbild, bei dem man sich fragt, ob da Wege sind, wie da gespielt, hinund hergegange­n werden kann.

Heiko Dietz und Florian Fisch können. Sie füllen die Bühne weiter aus, steigen drunter und drüber, erwecken sogar Dinge zum Leben. In „Für geeignete Personen“spielen die beiden Darsteller einen Patienten (Heiko Dietz) im Stationsna­chthemd und dessen Pfleger (Florian Fisch) in lila Krankenhau­skluft. Bei der Uraufführu­ng des Stücks vor ausverkauf­tem Haus im Sensemble-Theater liefern sie in dem scheinbare­n Chaos Leistungen ab, die beinah zu schade sind, um nur einmal gesehen zu werden. Zum Glück gibt es weitere Vorstellun­gen.

Zentrum der Bühne ist das Bett. Der Patient schläft, wacht, frühstückt, erzählt dem Pfleger von seinem Traum, in dem er an einem verregnete­n Novemberta­g – oder war es Sommer – in London auf einen Mann trifft. Dieser habe ihm Werbezette­l hingehalte­n, doch er habe abgelehnt. Der Pfleger wissend: „Das war ein Fehler, den Zettel hätten Sie annehmen sollen, er ist nur für geeignete Leute.“Er klettert nach hinten, zieht an einer Schnur. Links entfaltet sich eine Stoffkabin­e, ein Aufzug. Herrisch befiehlt er den Patienten auf einen Drehstuhl.

Es gehe jetzt in die Radiologie. Der Patient weigert sich, er sei doch schon… Doch der Pfleger kippt ihn unsanft vom Stuhl in die Aufzugkabi­ne. Als Schattenfi­guren durch die Stoffwand des Aufzugs sichtbar, fahren die beiden nach unten. Ein langer Gang wartet dort, ihre Stimmen dringen nach oben. Das Ende sei wichtig, das Archiv, das ewige Gedächtnis des Krankenhau­ses. Von innen brechen die beiden die Schubladen einer Kommode heraus, setzen aus dem Kommodenfe­nster ihren Dialog

über Vergangenh­eit, Wirklichke­it, Tod und Leben fort.

Alles wiederholt sich. Bett, Aufwachen, Traum vergessen, Pfleger und Aufzug, dunkle Gänge, am Ende lauert die Kühlkammer. Der Patient leistet ein bisschen Widerstand,

glaubt nicht, dass er krank, schon gar nicht, dass er tot ist.

Überdecken Humor und komödianti­sches Spiel, das Springen über Möbel, das Kriechen durch Kommoden und Tunnel, verspielte Gags mit den liebevolle­n Details und zweiten Ebenen im Bühnenbild zunächst das Drama, spitzt sich die Atmosphäre ab der Mitte spürbar zu. Katastroph­en aus der Vergangenh­eit holen den Patienten ein. Auch er selbst hat offenbar Furchtbare­s getan. Wie vieles ist auch der Pfleger rätselhaft, er scheint mal Spiegelbil­d, mal wissender Therapeut, mal Freund. Aber Sicherheit ist im Leben dieses Patienten ohnehin Mangelware. Er steigt durch das Chaos über Krankenbet­t, Kisten und Kartons, verschwind­et in Kommoden. Schließlic­h verliert er seine Mitte, tobt, ist nicht zu halten.

Das Stück des Autorenkol­lektivs „Sophia Himmels“(Sebastian Seidel, Christian Krug) changiert zwischen Dystopie, Humor und

Hoffnung. Traum und Wirklichke­it verschwimm­en auf mal bedrückend­e, mal belustigen­de Weise. Zusammen mit der Hochleistu­ng der Schauspiel­er und einer überwältig­enden Bühne als eigenes Kunstwerk entsteht eine quirlige, vor Überraschu­ngen strotzende, lebendige Skulptur. Spürbar und in jedem Zentimeter der Bühne sichtbar ist die Hand des Bühnenbild­ners und Regisseurs Philipp J. Neumann. Der 45-jährige Leipziger inszeniert seit über 20 Jahren Opern und Theaterstü­cke an großen Häusern, arbeitet als Autor, Kameramann, Produzent. Bei der Arbeit an „Für geeignete Personen“, so berichtet Theaterlei­ter Sebastian Seidel, baute er die Bühne nach einem zuvor im Detail erstellten Modell. Ein Ingenieurs­werk, für dessen Details wohl ein zweiter Theaterbes­uch nötig wird.

Weitere Vorstellun­gen finden am 3., 4., 10. und 11. Februar statt, jeweils um 19.30 Uhr.

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Das Zwei-Mann-Stück „Für geeignete Personen“des Sensemble-Theaters ist ein überrasche­ndes Gesamtkuns­twerk.
Foto: Mercan Fröhlich Das Zwei-Mann-Stück „Für geeignete Personen“des Sensemble-Theaters ist ein überrasche­ndes Gesamtkuns­twerk.

Newspapers in German

Newspapers from Germany