Ein rätselhaftes Stück im Pflegechaos
Uraufführung am Sensemble-Theater: Das neue Zwei-Mann-Stück „Für geeignete Personen“ist ein überraschendes, unterhaltsames und tiefsinniges Gesamtkunstwerk mit einem brillanten Bühnenbild.
Schon für die Bühne lohnt es sich, früher zu kommen. Im Halbdunkel liegt sie da wie der Keller eines Messis. Umzugskartons, Truhen, Lampen, Kisten, ein Kasperletheater, Krankenbett samt Infusionsständer über- und untereinander gestapelt. Ein wildes Wimmelbild, bei dem man sich fragt, ob da Wege sind, wie da gespielt, hinund hergegangen werden kann.
Heiko Dietz und Florian Fisch können. Sie füllen die Bühne weiter aus, steigen drunter und drüber, erwecken sogar Dinge zum Leben. In „Für geeignete Personen“spielen die beiden Darsteller einen Patienten (Heiko Dietz) im Stationsnachthemd und dessen Pfleger (Florian Fisch) in lila Krankenhauskluft. Bei der Uraufführung des Stücks vor ausverkauftem Haus im Sensemble-Theater liefern sie in dem scheinbaren Chaos Leistungen ab, die beinah zu schade sind, um nur einmal gesehen zu werden. Zum Glück gibt es weitere Vorstellungen.
Zentrum der Bühne ist das Bett. Der Patient schläft, wacht, frühstückt, erzählt dem Pfleger von seinem Traum, in dem er an einem verregneten Novembertag – oder war es Sommer – in London auf einen Mann trifft. Dieser habe ihm Werbezettel hingehalten, doch er habe abgelehnt. Der Pfleger wissend: „Das war ein Fehler, den Zettel hätten Sie annehmen sollen, er ist nur für geeignete Leute.“Er klettert nach hinten, zieht an einer Schnur. Links entfaltet sich eine Stoffkabine, ein Aufzug. Herrisch befiehlt er den Patienten auf einen Drehstuhl.
Es gehe jetzt in die Radiologie. Der Patient weigert sich, er sei doch schon… Doch der Pfleger kippt ihn unsanft vom Stuhl in die Aufzugkabine. Als Schattenfiguren durch die Stoffwand des Aufzugs sichtbar, fahren die beiden nach unten. Ein langer Gang wartet dort, ihre Stimmen dringen nach oben. Das Ende sei wichtig, das Archiv, das ewige Gedächtnis des Krankenhauses. Von innen brechen die beiden die Schubladen einer Kommode heraus, setzen aus dem Kommodenfenster ihren Dialog
über Vergangenheit, Wirklichkeit, Tod und Leben fort.
Alles wiederholt sich. Bett, Aufwachen, Traum vergessen, Pfleger und Aufzug, dunkle Gänge, am Ende lauert die Kühlkammer. Der Patient leistet ein bisschen Widerstand,
glaubt nicht, dass er krank, schon gar nicht, dass er tot ist.
Überdecken Humor und komödiantisches Spiel, das Springen über Möbel, das Kriechen durch Kommoden und Tunnel, verspielte Gags mit den liebevollen Details und zweiten Ebenen im Bühnenbild zunächst das Drama, spitzt sich die Atmosphäre ab der Mitte spürbar zu. Katastrophen aus der Vergangenheit holen den Patienten ein. Auch er selbst hat offenbar Furchtbares getan. Wie vieles ist auch der Pfleger rätselhaft, er scheint mal Spiegelbild, mal wissender Therapeut, mal Freund. Aber Sicherheit ist im Leben dieses Patienten ohnehin Mangelware. Er steigt durch das Chaos über Krankenbett, Kisten und Kartons, verschwindet in Kommoden. Schließlich verliert er seine Mitte, tobt, ist nicht zu halten.
Das Stück des Autorenkollektivs „Sophia Himmels“(Sebastian Seidel, Christian Krug) changiert zwischen Dystopie, Humor und
Hoffnung. Traum und Wirklichkeit verschwimmen auf mal bedrückende, mal belustigende Weise. Zusammen mit der Hochleistung der Schauspieler und einer überwältigenden Bühne als eigenes Kunstwerk entsteht eine quirlige, vor Überraschungen strotzende, lebendige Skulptur. Spürbar und in jedem Zentimeter der Bühne sichtbar ist die Hand des Bühnenbildners und Regisseurs Philipp J. Neumann. Der 45-jährige Leipziger inszeniert seit über 20 Jahren Opern und Theaterstücke an großen Häusern, arbeitet als Autor, Kameramann, Produzent. Bei der Arbeit an „Für geeignete Personen“, so berichtet Theaterleiter Sebastian Seidel, baute er die Bühne nach einem zuvor im Detail erstellten Modell. Ein Ingenieurswerk, für dessen Details wohl ein zweiter Theaterbesuch nötig wird.
Weitere Vorstellungen finden am 3., 4., 10. und 11. Februar statt, jeweils um 19.30 Uhr.