Ist Brecht in Augsburg angekommen?
Auch 125 Jahre nach seiner Geburt scheint es zu knistern und knirschen, zwischen dem Dichter und seiner Stadt. Vier Perspektiven und Impulse von Literaten, Regisseuren – und ehemaligen Leitern des Brechtfestivals.
Bert Brecht und Augsburg, Augsburg und Bert Brecht – das Verhältnis wäre einst unter den Status „es ist kompliziert“gefallen. Zum 125. Geburtstag des Dichters, im Jahr 2023, gehen wir dem jetzigen Beziehungsstatus nach. Alles gut? Nachgefragt bei Künstlern – und ehemaligen Brechtfestival-Leitern.
• JoachimLang–derBrechtfestivalLeiter von 2009 bis 2016
„Bei Brecht und Augsburg denke ich zunächst an wundervolle Begegnungen mit Künstler:innen und einem tollen Publikum, auch daran, dass wir Chancen und Möglichkeiten für die Stadt aufzeigen konnten. Dafür bin ich sehr dankbar. Überregional gab es in den vergangenen Jahren, soweit mir bekannt ist, leider nur wenig Resonanz auf die Augsburger Aktivitäten. Deshalb musste ich zuerst mal ein bisschen recherchieren und meine immer noch bestehenden Augsburger Kontakte befragen, als die AZ mir diese Frage stellte.
Das Ergebnis ist ambivalent, so wie es zu befürchten war. Es gibt in der Stadt nach wie vor wunderbare Menschen, die sich mit Brecht kreativ und auf hohem Niveau auseinandersetzen: Kurt Idrizovic, Isabell Münsch oder Geoff Abott sind Beispiele dafür. Und die Festivalmacher, die man alle drei Jahre austauscht, haben sich engagiert und bemüht. Aber es fehlt leider, auch bei der neuen kulturpolitischen Leitung, jegliches überzeugendes Gesamtkonzept zu diesem Thema. Die Diskussionen sind offenbar seit meiner Augsburger Zeit nicht vorangekommen, wenn man sich zum Beispiel das Brechthaus anschaut. Das tut mir besonders für die kreative Szene und das sehr gute Augsburger Publikum leid.
Aber zum Glück ist Brecht nicht auf Augsburger Lokalpolitik angewiesen, zu seinen Lebzeiten ebenso wenig wie heute. Wenn man sich für Brecht interessiert, kann man ja einfach in die Buchhandlung gehen und sich etwas zum Lesen kaufen. Dann stellt man fest, wie aktuell Brecht ist: Krieg, soziale Ungleichheit und all die anderen
brennenden Themen. Ich empfehle, wenn man sich mit dem Ukraine-Krieg beschäftigt, mal wieder „Mutter Courage“zu lesen oder noch besser sich anzuschauen, um dann vielleicht festzustellen, dass es für die einfachen Menschen im Krieg nichts zu gewinnen gibt.
Wir haben nur wenige andere Autor:innen von Weltniveau, die in dieser Qualität die Fragen der Zeit behandeln. Deshalb mein Tipp: Lesen Sie Brecht und schauen Sie sich zum Jubiläum die ein oder andere Veranstaltung an. Bestimmt ist etwas Interessantes dabei.“
• Oliver Brunner – Schauspieldirektor in Darmstadt, früher in dieser Position in Augsburg tätig
„Brecht wird differenzierter,
neugieriger, offener wahrgenommen, auch freier in allen seinen künstlerischen Facetten. Den Weg, den das Brechtfestival genommen hat, finde ich sehr spannend und richtig. Brecht ist im Heute angekommen. Unverklärt.
Augsburg ist eine Brechtstadt! Das erzählt sich absolut. Insbesondere über die Erstarkung des Brechthauses.
Und: Welche Impulse zieht die heutige Generation aus seinen Denk- und Erzählideen? Brecht weiterschreiben, seine Ideen weiterdenken. Sie haben es verdient.“
• Albert Ostermaier – Schriftsteller und Leiter des Brechtfestivals „abc“von 2006 bis 2008
„Ich habe immer noch viele Freunde und künstlerische Verbindungen nach Augsburg, bekomme Anfragen zu Brecht und verfolge, wie sich das Festival weiterentwickelt. Aus der Ferne oder gerade aus München blicke ich begeistert auf Augsburg und Brecht. Das Verhältnis zwischen Autor und Stadt hat sich positiv entwickelt. Auch die Rolle von Kultur und welche Orte dafür geschaffen werden, hat sich verändert. Die Stadt ist in Bewegung und tut einiges, um künstlerisch attraktiv zu werden. Nicht nur über das Theater, das auch überregional wahrgenommen wird.
Schon zu meiner Zeit gab es Impulse in diese Richtung. Das abcFestival zu erfinden, Künstlerinnen und Künstler nach Augsburg zu holen, Kooperationen zu schaffen, die Stadt zu poetisieren, war eine prägende Erfahrung. Es war eine tolle Zeit, die unheimlich viel Spaß gemacht hat. Umso bitterer war das Ende meiner Arbeit. Als Erfinder des Brechtfestivals hätte ich mir mehr Austausch mit den nachfolgenden Verantwortlichen gewünscht, aber ich kann verstehen, dass jeder das Rad für sich neu erfinden will. Zu Brechts 125. Geburtstag bin ich aber eingeladen und werde natürlich kommen.
Denn die Stadt ist elementar mit dem jungen Brecht verbunden, der mich als Künstler von Anfang an begeistert hat. Gerade der junge Brecht hat die deutsche Poesie und das Theater mit einer einzigartigen Anarchie revolutioniert. Es ist wichtig, dass er immer wieder neu gelesen und bearbeitet wird. Dass junge Künstlerinnen und Künstler ihn sich zu eigen machen. Brecht hat an Gegenwärtigkeit nichts verloren. Was er zu sagen hat, ist gerade in Zeiten von Konflikten und Krieg aktueller denn je.“
• Georg Klein – Schriftsteller, ist in Augsburg aufgewachsen
„Die süße Schuld der Stadt: „Die süße Schuld der Stadt: Wenn es – tief in mir – einen persönlichen Engel der exakten Erinnerung gäbe, würde ich diesen gerne fragen, wie zwei Umstände in meinem elfjährigen Knabenkopf zueinanderfanden und zu einer arg wackeligen, aber dennoch kohärenten Fantasie verschmelzen konnten.
Erster damaliger Umstand: Ich erfuhr, dass das Realgymnasium Augsburg, welches ich nach vier Jahren Volksschule, nach Aufnahmeprüfung und Probezeit besuchen durfte, offenbar nachweislich einen berühmten Dichter, einen gewissen Bertolt Brecht, beherbergt hatte.
Zweiter damaliger Umstand: Ich, der notorische Tagträumer, der für meine Spielkameraden in der Neubausiedlung Bärenkeller aus dem Stegreif Geschichten erfand, sehnte mich auf diffus furchtsame Weise danach, irgendwann für dieses haltlos freischwebende Talent einen Platz in der Welt finden zu können.
Noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, mutet es mich halsbrecherisch kühn an, dass diese beiden Umstände – ein literaturgeschichtliches Faktum und eine kindlich grandiose Imagination – zueinanderfinden durften.
Wenn es einen Schuldigen hierfür gibt, dann setzt sich sein Abbild wie ein Puzzle aus vielen Spielsteinen zusammen: Aus Augsburgerinnen und Augsburgern, aber auch aus den Plätzen und Winkeln des Stadtraums, den ich mir nach und nach erschloss, ja aus einzelnen Dingen, deren Wirkmacht, deren Verantwortlichkeit ich erst viel später begriff.
Ein einziges prosaisches Ding soll für alle genannt werden: Die Gelenkbusse der Linie 21 brachten den, der ich war, eine Schulzeit lang von der Peripherie der proletarischen Wohnblocksiedlung in jene städtische Mitte, welche mir als eine erweiterte Welt den Erzählraum der Literatur versprach!“