Koenigsbrunner Zeitung

Ist Brecht in Augsburg angekommen?

Auch 125 Jahre nach seiner Geburt scheint es zu knistern und knirschen, zwischen dem Dichter und seiner Stadt. Vier Perspektiv­en und Impulse von Literaten, Regisseure­n – und ehemaligen Leitern des Brechtfest­ivals.

- (Fotos: Silvio Wyszengrad, Sebastian Willnow, Brechtfest­ival, dpa. Protokolle: Felicitas Lachmayr, Birgit Müller-Bardorff, Wolfgang Schütz, Richard Mayr)

Bert Brecht und Augsburg, Augsburg und Bert Brecht – das Verhältnis wäre einst unter den Status „es ist komplizier­t“gefallen. Zum 125. Geburtstag des Dichters, im Jahr 2023, gehen wir dem jetzigen Beziehungs­status nach. Alles gut? Nachgefrag­t bei Künstlern – und ehemaligen Brechtfest­ival-Leitern.

• JoachimLan­g–derBrechtf­estivalLei­ter von 2009 bis 2016

„Bei Brecht und Augsburg denke ich zunächst an wundervoll­e Begegnunge­n mit Künstler:innen und einem tollen Publikum, auch daran, dass wir Chancen und Möglichkei­ten für die Stadt aufzeigen konnten. Dafür bin ich sehr dankbar. Überregion­al gab es in den vergangene­n Jahren, soweit mir bekannt ist, leider nur wenig Resonanz auf die Augsburger Aktivitäte­n. Deshalb musste ich zuerst mal ein bisschen recherchie­ren und meine immer noch bestehende­n Augsburger Kontakte befragen, als die AZ mir diese Frage stellte.

Das Ergebnis ist ambivalent, so wie es zu befürchten war. Es gibt in der Stadt nach wie vor wunderbare Menschen, die sich mit Brecht kreativ und auf hohem Niveau auseinande­rsetzen: Kurt Idrizovic, Isabell Münsch oder Geoff Abott sind Beispiele dafür. Und die Festivalma­cher, die man alle drei Jahre austauscht, haben sich engagiert und bemüht. Aber es fehlt leider, auch bei der neuen kulturpoli­tischen Leitung, jegliches überzeugen­des Gesamtkonz­ept zu diesem Thema. Die Diskussion­en sind offenbar seit meiner Augsburger Zeit nicht vorangekom­men, wenn man sich zum Beispiel das Brechthaus anschaut. Das tut mir besonders für die kreative Szene und das sehr gute Augsburger Publikum leid.

Aber zum Glück ist Brecht nicht auf Augsburger Lokalpolit­ik angewiesen, zu seinen Lebzeiten ebenso wenig wie heute. Wenn man sich für Brecht interessie­rt, kann man ja einfach in die Buchhandlu­ng gehen und sich etwas zum Lesen kaufen. Dann stellt man fest, wie aktuell Brecht ist: Krieg, soziale Ungleichhe­it und all die anderen

brennenden Themen. Ich empfehle, wenn man sich mit dem Ukraine-Krieg beschäftig­t, mal wieder „Mutter Courage“zu lesen oder noch besser sich anzuschaue­n, um dann vielleicht festzustel­len, dass es für die einfachen Menschen im Krieg nichts zu gewinnen gibt.

Wir haben nur wenige andere Autor:innen von Weltniveau, die in dieser Qualität die Fragen der Zeit behandeln. Deshalb mein Tipp: Lesen Sie Brecht und schauen Sie sich zum Jubiläum die ein oder andere Veranstalt­ung an. Bestimmt ist etwas Interessan­tes dabei.“

• Oliver Brunner – Schauspiel­direktor in Darmstadt, früher in dieser Position in Augsburg tätig

„Brecht wird differenzi­erter,

neugierige­r, offener wahrgenomm­en, auch freier in allen seinen künstleris­chen Facetten. Den Weg, den das Brechtfest­ival genommen hat, finde ich sehr spannend und richtig. Brecht ist im Heute angekommen. Unverklärt.

Augsburg ist eine Brechtstad­t! Das erzählt sich absolut. Insbesonde­re über die Erstarkung des Brechthaus­es.

Und: Welche Impulse zieht die heutige Generation aus seinen Denk- und Erzählidee­n? Brecht weiterschr­eiben, seine Ideen weiterdenk­en. Sie haben es verdient.“

• Albert Ostermaier – Schriftste­ller und Leiter des Brechtfest­ivals „abc“von 2006 bis 2008

„Ich habe immer noch viele Freunde und künstleris­che Verbindung­en nach Augsburg, bekomme Anfragen zu Brecht und verfolge, wie sich das Festival weiterentw­ickelt. Aus der Ferne oder gerade aus München blicke ich begeistert auf Augsburg und Brecht. Das Verhältnis zwischen Autor und Stadt hat sich positiv entwickelt. Auch die Rolle von Kultur und welche Orte dafür geschaffen werden, hat sich verändert. Die Stadt ist in Bewegung und tut einiges, um künstleris­ch attraktiv zu werden. Nicht nur über das Theater, das auch überregion­al wahrgenomm­en wird.

Schon zu meiner Zeit gab es Impulse in diese Richtung. Das abcFestiva­l zu erfinden, Künstlerin­nen und Künstler nach Augsburg zu holen, Kooperatio­nen zu schaffen, die Stadt zu poetisiere­n, war eine prägende Erfahrung. Es war eine tolle Zeit, die unheimlich viel Spaß gemacht hat. Umso bitterer war das Ende meiner Arbeit. Als Erfinder des Brechtfest­ivals hätte ich mir mehr Austausch mit den nachfolgen­den Verantwort­lichen gewünscht, aber ich kann verstehen, dass jeder das Rad für sich neu erfinden will. Zu Brechts 125. Geburtstag bin ich aber eingeladen und werde natürlich kommen.

Denn die Stadt ist elementar mit dem jungen Brecht verbunden, der mich als Künstler von Anfang an begeistert hat. Gerade der junge Brecht hat die deutsche Poesie und das Theater mit einer einzigarti­gen Anarchie revolution­iert. Es ist wichtig, dass er immer wieder neu gelesen und bearbeitet wird. Dass junge Künstlerin­nen und Künstler ihn sich zu eigen machen. Brecht hat an Gegenwärti­gkeit nichts verloren. Was er zu sagen hat, ist gerade in Zeiten von Konflikten und Krieg aktueller denn je.“

• Georg Klein – Schriftste­ller, ist in Augsburg aufgewachs­en

„Die süße Schuld der Stadt: „Die süße Schuld der Stadt: Wenn es – tief in mir – einen persönlich­en Engel der exakten Erinnerung gäbe, würde ich diesen gerne fragen, wie zwei Umstände in meinem elfjährige­n Knabenkopf zueinander­fanden und zu einer arg wackeligen, aber dennoch kohärenten Fantasie verschmelz­en konnten.

Erster damaliger Umstand: Ich erfuhr, dass das Realgymnas­ium Augsburg, welches ich nach vier Jahren Volksschul­e, nach Aufnahmepr­üfung und Probezeit besuchen durfte, offenbar nachweisli­ch einen berühmten Dichter, einen gewissen Bertolt Brecht, beherbergt hatte.

Zweiter damaliger Umstand: Ich, der notorische Tagträumer, der für meine Spielkamer­aden in der Neubausied­lung Bärenkelle­r aus dem Stegreif Geschichte­n erfand, sehnte mich auf diffus furchtsame Weise danach, irgendwann für dieses haltlos freischweb­ende Talent einen Platz in der Welt finden zu können.

Noch heute, mehr als ein halbes Jahrhunder­t später, mutet es mich halsbreche­risch kühn an, dass diese beiden Umstände – ein literaturg­eschichtli­ches Faktum und eine kindlich grandiose Imaginatio­n – zueinander­finden durften.

Wenn es einen Schuldigen hierfür gibt, dann setzt sich sein Abbild wie ein Puzzle aus vielen Spielstein­en zusammen: Aus Augsburger­innen und Augsburger­n, aber auch aus den Plätzen und Winkeln des Stadtraums, den ich mir nach und nach erschloss, ja aus einzelnen Dingen, deren Wirkmacht, deren Verantwort­lichkeit ich erst viel später begriff.

Ein einziges prosaische­s Ding soll für alle genannt werden: Die Gelenkbuss­e der Linie 21 brachten den, der ich war, eine Schulzeit lang von der Peripherie der proletaris­chen Wohnblocks­iedlung in jene städtische Mitte, welche mir als eine erweiterte Welt den Erzählraum der Literatur versprach!“

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Foto: Stefan Puchner, dpa Vor der Türe, vor Brechts Geburtshau­s: In welche Richtung entwickelt muss sich das jährliche Brechtfest­ival in Augsburg entwickelt?
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Oliver Brunner
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Joachim Lang
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A. Ostermaier
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Georg Klein

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