Koenigsbrunner Zeitung

Nach dem Abitur den Horizont weiten

Vier Wochen kostenlos ins Ausland – ein Traum! Reisestipe­ndien können eine Chance für junge Menschen sein. Ein Erfahrungs­bericht und wie man sich richtig bewirbt.

- Von Joachim Göres

Vier Wochen ins Ausland reisen und dafür 600 Euro geschenkt bekommen – als Manuel Boskamp davon in der Berufsbera­tung hörte, konnte er es nicht glauben. Doch je mehr er an Informatio­nen über das Stipendium der ZIS Stiftung für Studienrei­sen für Menschen zwischen 16 und 20 Jahren bekam, umso mehr reifte in ihm der Plan, sich für so ein Stipendium zu bewerben und nach dem Abitur England zu entdecken. Allerdings nicht als Tourist, sondern mit einer Idee, Land und Leute unter einem besonderen Aspekt näher kennenzule­rnen: Boskamp beschäftig­t seit langem die Frage, was angesichts des Klimawande­ls getan werden kann, um den Temperatur­anstieg so zu begrenzen, dass es auch für künftige Generation­en eine lebenswert­e Zukunft gibt. Er hatte von der Transition-Town-Bewegung in England gehört – private Initiative­n, die sich in ihren Städten für einen Wandel hin zu einer nachhaltig­en Entwicklun­g einsetzen. Darüber wollte er mehr wissen. Dazu passte das ZIS-Stipendium ideal.

Das Geld gibt es für junge Leute, die auf ihrer Reise Informatio­nen zu einem Thema sammeln wollen, das ihnen am Herzen liegt. Das kann ganz unterschie­dlich aussehen: Schweden auf den Spuren von Astrid Lindgren, die Clubszene in Tiflis, Zukunftsvi­sionen junger Menschen in Apulien, die LGBT+-Community in Polen – einige der Projekte, die Stipendiat­en in der letzten Zeit vor Ort verfolgten. Wichtige Bedingunge­n für das Stipendium: Man muss die ganze Zeit alleine reisen. Man darf nicht fliegen. Man muss mit den 600 Euro auskommen, inklusive Anund Abreise. Und man muss nach der Reise in einem Bericht schildern, was man erlebt hat.

Boskamp ist 2018 mit dem Bus nach London gereist, hat sein Fahrrad mitgenomme­n und will am ersten Tag mit dem Rad ins 120 Kilometer entfernte Hastings fahren. Wegen der großen Hitze kommt er aber nur 30 Kilometer weit, setzt sich in den Zug, findet abends in Hastings keinen Zeltplatz und kommt nur in einem teuren Hotel unter. Nach der ersten Nacht hat er bereits 90 Euro ausgegeben. „Das war beunruhige­nd für mich, wie viel Geld nach kurzer Zeit weg war“, erzählt der heute 22-Jährige und ergänzt: „Rückblicke­nd war diese Erfahrung ein Gewinn für mich, denn ich habe erlebt, dass man weiterkomm­t und mehr erlebt, wenn es anders läuft als gedacht.“Boskamp, der in München Dokumentar­film und Journalism­us studiert, hatte vor der Reise Kontakt zu engagierte­n Umweltschü­tzern im südenglisc­hen Hastings aufgenomme­n. Die sind begeistert, dass sich jemand aus einer deutschen Großstadt für ihre Aktivitäte­n in der englischen Provinz interessie­rt. Für ihre Konzepte, wie man eine Passivhaus­siedlung bauen kann, deren Miete sich auch Menschen mit wenig Geld leisten können. Wie Stromzähle­r miteinande­r vernetzt werden, damit der mit regenerati­ver Energie erzeugte Strom selber genutzt werden kann.

In Hastings erhält er Kontakte zu Aktiven der Transition-TownBewegu­ng in anderen Städten, bei denen er häufig auch übernachte­n kann. Dort nimmt er an Treffen der Ortsgruppe­n teil und führt Interviews. In Dorchester lernt Boskamp die Community Gardens kennen, gemeinscha­ftlich betriebene Obstgärten. In London besucht er ein „Pay what you want“-Café, in dem alle angebotene­n Speisen aus geretteten Lebensmitt­eln bestehen und auch ärmere Besucher sich ein Essen leisten können, weil reichere Gäste etwas mehr zahlen als vorgeschla­gen. In Totnes, der Hochburg der englischen Transition-Town-Bewegung,

erfährt er von Bemühungen, aus der Stadt Plastik so weit wie möglich zu verbannen.

„Ich habe extrem freundlich­e Menschen kennengele­rnt. Fast eine Woche konnte er bei einer Frau in London kostenlos wohnen, inklusive Verpflegun­g. Da habe ich dann auch mal eingekauft und gekocht, um mich zumindest etwas zu beteiligen“, sagt Boskamp. Er schwärmt von tollen Gesprächen mit engagierte­n Menschen. Von Touren mit dem Fahrrad durch wunderschö­ne Landschaft­en. Er verschweig­t nicht die schwierige­n Momente, in denen er sich einsam fühlte – doch auch diese Erfahrung möchte er nicht missen. In seinem Lebensstil sieht sich der Vegetarier bestätigt – er versucht seit der Reise, noch weniger Ressourcen zu verbrauche­n.

Boskamp hat in England sparsam gelebt und ist am Ende mit 180 Euro in der Tasche zurückgeke­hrt. Nicht alle Stipendiat­en haben so viel Glück. Wer mit seinem Geld nicht auskommt, darf im Gastland etwas dazuverdie­nen. Mit der Begrenzung der Ausgaben wollen die Stipendien­geber erreichen, dass die jungen Reisenden auf andere Menschen zugehen und sie manchmal um Hilfe bitten – und das alles in einer fremden Umgebung und Sprache. „Das kostet Überwindun­g, aber es hat mich auch offener gegenüber neuen Menschen und selbstbewu­sster gemacht.“

„Diese Erfahrung beeinfluss­t mich bis heute“, sagt Boskamp und nennt ein Beispiel: Für einen Dokumentar­film über Orkas, die Segelboote angreifen, ist er nach Spanien gereist, ohne vorher schon Ansprechpa­rtner zu kennen. An verschiede­nen Häfen sprach er dann Menschen an, die sich bereitwill­ig interviewe­n ließen. „Nach den Erfahrunge­n aus England war ich sicher, dass ich Personen finden werde, die gerne über ihre Erlebnisse berichten, wenn sie mein Interesse spüren. Und so war es dann auch.“

Bis zum 15. Februar können sich junge Leute für das nächste ZIS-Reisestipe­ndium bewerben. Mittlerwei­le gibt es für jeden Stipendiat­en 700 Euro (näheres unter www.zis-reisen.de). Boskamps Tipp an Interessie­rte: Die Bewerbung muss nicht perfekt sein - aber bei der Reise sollte es um ein Thema gehen, das einem wirklich wichtig ist.

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Manuel Boskamp

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