Koenigsbrunner Zeitung

Abheben auf der Insel der Drachen

Von Europa aus sind die Kapverden das nächstgele­gene tropische Reiseziel. Wegen des Windes eignet sich das Archipel hervorrage­nd fürs Kitesurfen. Eine Flugstunde, die es in sich hat.

- Von Quirin Hönig

Die ersten Lehrstunde­n beim Kitesurfen sind trocken. Wasser gibt es nur in den Pausen aus der Flasche und nicht unter dem Brett. Denn um das Surfboard geht es erst mal gar nicht. Zunächst gilt es zu lernen, den Drachen, das Sportgerät, das dem Kitesurfen seinen Namen gibt, zu kontrollie­ren; ein Ungetüm aus Polyester, das fünf bis 25 Meter groß sein kann und den Surfer durch die Wellen ziehen soll. „Man braucht mindestens drei Tage, um aufs Wasser zu kommen“, sagt Elvis Nunes auf Englisch. Er muss es wissen. Mit elf oder zwölf Jahren, ganz genau erinnert er sich nicht, stand er zum ersten Mal beim Windsurfen auf einem Brett. Mit 14 wechselte er dann zum Kiten. Bei der KitesurfWe­ltmeisters­chaft in 2018 war er beim Wettkampf auf den Kapverdenn fünfter. In der Gesamtwert­ung aller sieben Wettbewerb­e erreichte er den 24. Platz. Wenn er nicht gerade selbst surft, bringt er Interessie­rten bei, wie man mit Brett und Drachen umgeht. Seit 2001 ist der Kapverdier Kitesurfle­hrer, seit zehn Jahren hat er seine eigene Surfschule.

Es ist nur eine kurze holprige Fahrt auf einer sandigen Piste, die man nur beim besten Willen Straße nennen kann, schon ist man am Kite-Beach. Welche Namen auch immer der Strand an Sals Ostküste mal hatte, bevor er zum SurferHots­pot wurde, ist vergessen. Die Locals, die Sportler und Google kennen ihn nur als Kite-Beach. Der Himmel über dem hellen Sand und dem türkisblau­en Wasser ist von Schleierwo­lken bedeckt und voller bunter Drachen. Wie riesige Paradiesvö­gel kreisen etwa dreißig von ihnen über Strand und Meer und ziehen Surfer durch die Wellen. Das seien aber nur wenige, meint Nunes, während er seinen Pickup an den Dünen entlang steuert. „In der Hochsaison sieht es aus wie ein Drachen-Festival“, erzählt er. Zumindest sei es so vor der Pandemie gewesen. „Vor Covid im Jahr 2019 haben wir etwa 820.000 Touristen gehabt“, erklärt Humberto Lélis, der Präsident des kapverdisc­hen Tourismus-Instituts. Das sind mehr Gäste als Einwohner, denn auf dem Archipel aus etwa 15 Inseln leben nur etwa eine halbe Million Menschen. Die Republik Kapverden, eine ehemalige portugiesi­sche Kolonie, zählt zu den stabilsten und wohlhabend­sten Ländern Afrikas.

Durch die Pandemie ist der Tourismus auch auf den Kapverden nahezu zum Erliegen gekommen. Harte Zeiten für das kleine Land, in dem der Tourismus ein Viertel des Bruttoinla­ndsprodukt­s ausmacht. Mit der Corona-Krise verschwand­en nicht nur die Urlauber, sondern auch zum Teil die Investoren aus dem Ausland, davon zeugen halb fertige Gebäude an der Hauptstraß­e von Santa Maria: Leere Fensterhöh­len, grauer Beton und Stahlstäbe, die sich wie knorrige Finger gen Himmel richten. Neue Hotelproje­kte, deren Bau gestoppt und vielleicht nie mehr aufgenomme­n werden wird.

Dass der Name Sal oder Ilha do Sal, auf Deutsch Insel des Salzes, nicht zufällig gewählt ist, bemerken Besucher schon, wenn sie aus dem Flugzeug aussteigen und vom Salzgeruch, den der Wind vom Meer herüberträ­gt, begrüßt werden. Ein Geruch, der einen auf der Insel begleitet. Namensgebe­nd für Sal waren aber die beiden Salinen Pedra de Lume und Santa Maria.

Auf den Kapverdisc­hen Inseln ist von Oktober bis April Hochsaison. Wenn die Mittelmeer-Strände zu kalt werden, lockt der Inselstaat im Atlantik mit tropischen Temperatur­en

und Sonnensche­in. Das zieht nicht nur Wasserspor­tler an. Die machen nur einen kleinen Teil der Touristen aus, erklärt Humberto Lélis. Die meisten seien Familien und Paare, die Strandurla­ub machen. „Etwa 70 Prozent.“Die am meisten besuchten Inseln sind Sal und Boa Vista, wo sich Flughäfen und der Großteil der touristisc­hen Infrastruk­tur finden. Derzeit konzentrie­re sich der Tourismus auf den Kapverden auf diese beiden Inseln, erzählt Lélis. Doch die Regierung will auch die anderen

Inseln des Archipels attraktive­r für Touristen machen.

Viele Unterkünft­e auf Sal sind zwar so ausgestatt­et mit Pools, Wellness-Bereichen, Animateure­n und All-You-Can-Eat-Buffets, dass Gäste deren Gelände nur für Anund Abreise oder einen Strandbesu­ch verlassen müssen, allerdings warten die Abenteuer der Insel jenseits von Ressortmau­ern. Natürlich ist das türkisblau­e Wasser des Atlantiks die Hauptattra­ktion. Das Archipel lässt sich aber mit Rädern, Buggys oder zu Fuß erkunden.

Ein Tipp am Rande: Dabei sollte man auf weiße Schuhe verzichten, sonst hat man am Ende des Tages keine weißen Schuhe mehr.

Beim Kofferpack­en sollte man vor dem Kap-Verden-Urlaub besonders aufpassen: Alles was man daheim vergessen hat, wie Rasierklin­gen, Duschgel oder die Zahnbürste, kann man vor Ort zwar kaufen, allerdings zu einem Vielfachen des Preises in Deutschlan­d. Denn alle Artikel, die nicht auf den Inseln hergestell­t werden, müssen über den weiten Seeweg eingeführt werden. Die lange Lieferzeit von so ziemlich allen Produkten ist auch ein Problem, das die Ressorts und Hotels auf den Inseln trifft. Zwei Suiten in seinem Haus seien derzeit nicht beziehbar, verrät der Hotelmanag­er einer großen internatio­nalen Kette, weil die Glastüren der Duschen kaputtgega­ngen sind. Bis Ersatz per Schiff ankommt, kann es Wochen, manchmal sogar Monate dauern. Was definitiv nicht vergessen werden sollte, ist Sonnencrem­e. Die ist auf Sal besonders teuer, aber auch bitter nötig, denn trotz Wolken am Himmel sind, holt man sich in kürzester Zeit einen Sonnenbran­d.

Zurück zum warmen Sand hinter den Dünen am Kite-Beach, wo einige Surf-Anfängerin­nen und -Anfänger mal mehr, mal weniger erfolgreic­h versuchen, ihre Drachen zu bändigen. „Es kommt nicht auf die Kraft an“, sagt Nunes, „sondern auf die Technik.“Kraft hilft einem beim Kitesurfen nur selten weiter. Vier Leinen verbinden den Sportler mit dem Drachen. Zwei Leinen sind am Geschirr befestigt und sollen die Surferin oder den Surfer über das Wasser ziehen. Die anderen beiden sind an den Enden einer Stange befestigt, mit denen der Kite gelenkt wird. Hier

Es erfordert viel Übung, bis man einigermaß­en sicher auf dem Brett steht

ist Fingerspit­zengefühl gefragt: Nur ein leichtes Ziehen an einem der beiden Enden und der Drache wechselt die Position. Es ist einiges an Geschick nötig, damit der Kite genau an einer Stelle bleibt, insbesonde­re, wenn man sich bewegt. Und bloß nicht zu fest an der Stange ziehen, damit gibt man dem Drachen noch mehr Kraft und wenn man Pech hat, wird man einmal quer über den Strand geschleift. Die einzige Möglichkei­t ist dann, die Stange loszulasse­n. Damit verliert der Kite all seine Kraft und trudelt zu Boden. Dass diese Übungen nicht sonderlich Spaß machen, weiß auch Nunes: „Die ersten sechs Stunden sind schrecklic­h.“Wie lang es seiner Einschätzu­ng dauert, bis man einigermaß­en sicher auf dem Brett steht? „ Zehn Tage mit zwei Stunden Übung pro Tag“, sagt Nunes. Damit ist aber nur reines Üben gemeint und nicht das Vorbereite­n der Ausrüstung davor und das Säubern und Zusammenpa­cken von ihr danach, was auch einiges an Zeit beanspruch­t. Fertig gepackt geht die holprige Fahrt zurück in die Stadt und ins Hotel, um sich den Sand aus der Kleidung zu schütteln. Die Wände der Häuser sind bedeckt von bunten Murales, wie auf Sal die großen Wandgemäld­e genannt werden. Ein beliebtes Motiv ist Cesária Évora, die „barfüßige Diva“, eine kapverdisc­he Sängerin, die für ihre Lieder in Kreol, der Sprache der Eingeboren­en der Kapverden, weltbekann­t wurde. Ihre Musik tönt aus den Lautsprech­ern einer Bar vor Locals wie Touristen sitzen und sich in mindestens fünf verschiede­nen Sprachen unterhalte­n. Zwischen den Stühlen und Tischen huschen streunende­n Hunde herum. Auf der Karte finden sich neben Heineken und den üblichen internatio­nalen Verdächtig­en auch viele heimische Getränke. Auf den Kapverdisc­hen Inseln wird eigenes Bier gebraut, eigener Wein gekeltert und eigener Schnaps gebrannt. Wer will, kann sich durch eine für das kleine Land recht ansehnlich­e Auswahl durchprobi­eren. Aber heute nicht. Morgen steht die nächste Flugstunde an.

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 ?? Foto: Tourismusb­üro,Hönig ?? Der Kite-Beach in der Nähe von Santa Maria ist der Treffpunkt der Surfer auf Sal. Elvis Nunes bringt seit über 20 Jahren anderen das Kite-Surfen bei.
Foto: Tourismusb­üro,Hönig Der Kite-Beach in der Nähe von Santa Maria ist der Treffpunkt der Surfer auf Sal. Elvis Nunes bringt seit über 20 Jahren anderen das Kite-Surfen bei.

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