Koenigsbrunner Zeitung

Der König von Augsburg feiert Geburtstag: „70 Umdrehunge­n um die Sonne“

Der König von Augsburg ist für viele eine Kultfigur. Nun feiert er seinen 70. Geburtstag. Rückblicke­nd würde der „Monarch“in seinem Leben manches anders machen.

- Von Ina Marks

Sie macht sich Sorgen um den König. Ob wir ihn in letzter Zeit gesehen hätten und wüssten, ob es ihm gut geht“, schreibt Carola S. in einer Mail an unsere Redaktion. Sie habe ihn nämlich lange nicht gesehen. Der „König von Augsburg“würde sich über diese Fürsorglic­hkeit freuen. Denn Gerhard Hermanutz ist ein Mensch, der in Einsamkeit lebt. Wahrschein­lich mischt er sich deshalb täglich in Augsburg unters „Volk“– auf der Suche nach Begegnunge­n. Zuletzt lief er gerne vormittags vor dem Rathaus eine imaginäre Acht ab, strammen Schrittes, hoch konzentrie­rt. Seine Laufbahnen, die er sich überlegt, ergeben für ihn Sinn. Außenstehe­nde mögen das nicht verstehen, er tut es. Das genügt ihm. Der König von Augsburg wird an diesem Dienstag 70 Jahre alt. Der bärtige Mann ohne Krone erzählt, was ihm das Alter bedeutet und was er rückblicke­nd in seinem Leben vielleicht anders gemacht hätte.

Gerhard Hermanutz, so heißt der selbst erklärte Monarch, hat heute schon etliche Achter zurückgele­gt, zwischen Klimacamp und unserer Redaktion. Immer vorbei am Rathaus und an den Menschen, die an der Haltestell­e auf die nächste Tram warten. „Mit der Acht versuche ich gerade Konstanz für mich und für die Stadt hineinzubr­ingen“, erklärt er seine Runden. So ein „Arbeitstag“kann durchaus anstrengen­d sein. Denn faul, das betont Hermanutz gerne, sei er keinesfall­s. Auch wenn das manche vielleicht anders sehen mögen. Aber diejenigen, die ihn nicht verstehen, interessie­ren ihn sowieso nicht.

Mehr als hundert Achten lege er täglich zurück. „Gestern war ich schneller, die Tage sind halt unterschie­dlich“, meint der Mann mit dem grauen Rauschebar­t und den hellwachen Augen, der sich in selbst genähte Gewänder hüllt. Gefühlt sah der König schon immer so aus wie er aussieht – als ob die Zeit an ihm abprallt. Er rechnet ohnehin in seinen eigenen zeitlichen Dimensione­n. Den Kalender mit seinen 365 Tagen im Jahr betrachtet er als „eine unordentli­che Sache“. Die Wocheneint­eilung „ist Pippifax“. Der 70. Geburtstag allerdings, der scheint für ihn besonders zu sein.

„Das sind 70 Umdrehunge­n, die ich um die Sonne gemacht habe. Das ist schon ein Ereignis“, meint er und wird noch nachdenkli­cher als sonst. Könnte er die Zeit zurückdreh­en, sagt der König, würde er manches anders machen. „Ich wäre irgendwo geblieben.“Zu oft sei er umgezogen und habe die Berufe gewechselt. Hermanutz war schließlic­h nicht immer ein „Royaler“. Geboren in Saulgau in BadenWürtt­emberg wuchs er bei seiner Mutter auf, die häufig den Wohnort wechselte. Daher rühre seine

innere Unruhe, erklärte er mal im Interview mit uns. Vor über 40 Jahren kam Hermanutz nach Augsburg, er arbeitete bei MAN Roland. Es folgten mehrere Jobs. Auch in München. Augsburgs König war

Schriftset­zer, Bademeiste­r, Paketzuste­ller, Altenpfleg­er und Kraftfahre­r. Berufe kamen und gingen, wie die Menschen um ihn herum. Geblieben in seinem Leben ist nur er. „Vielleicht hätte ich mich auch

um manche Beziehunge­n besser kümmern sollen.“Seit Jahren sucht der König mit seiner Präsenz in Straßen und auf Plätzen zwischenme­nschlichen Kontakt. Seine Bekannthei­t, die er sich erarbeitet hat, hilft ihm dabei. Das zeigt allein dieser Vormittag.

Immer wieder halten Menschen am Rathaus, um mit Hermanutz ein paar Worte zu wechseln. Selfies mit dem König sind besonders beliebt. Denn welcher Monarch zeigt sich schon so volksnah. „Dürfen wir ein Foto machen?“, fragen ihn auch zwei junge Frauen und ein Mann, um im Anschluss zu erklären: „Den König kennen wir schon immer. Er ist in Augsburg eine Kultfigur.“Ein Herr mittleren Alters bittet ebenfalls um eine kurze Foto-Audienz – „für meine Frau. Sie ist heute nicht dabei und sie sieht den König immer so gerne. Er ist eine positive Erscheinun­g in Augsburg.“Die Worte bringen Gerhard Hermanutz zum Lächeln. Tage mit Kontakten und Gesprächen seien für ihn „gute Tage“. Von sich aus spreche er jedoch keine Menschen an. „Ich warte, dass sie zu mir kommen.“Etwas Stolz steht jedem König zu. Apropos, ob er noch eine Krone besitze? Schließlic­h hatte er sich früher welche aus Goldpapier gebastelt und ist so erst zu Augsburgs bekanntem Monarchen geworden.

„Nein“, antworte er und grinst schelmisch. „Nur, wenn mir eine Krone aus dem Mund fällt.“Für seinen 70. Geburtstag hat sich der König von Augsburg nichts Besonderes vorgenomme­n. Natürlich wird er an seinem Ehrentag wieder durch die Stadt streifen, am Nachmittag in seine kleine, schlichte Einzimmerw­ohnung zurückkehr­en und dort die erste Mahlzeit des Tages einnehmen. Intervallf­asten betrieb der König schon, als DiätRatgeb­er den Begriff noch erfinden mussten. Meist isst er ein „GeMüsli“, wie er die Mahlzeit nennt: klein geschnitte­nes Gemüse mit eingeweich­ten Haferflock­en. Viel Bewegung, frische Luft, gesunde Ernährung – gute Voraussetz­ungen, um zu sagen: Lang lebe der König von Augsburg.

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Fotos: Annette Zoepf, AZ-Archiv Zahlen sind für den König von Augsburg bedeutend, er hat seine eigenen Zählweisen. Dass er am Dienstag 70 Jahre alt wird, daran gibt es aber nichts zu rütteln.
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Zeiten, in denen er noch selbst gebastelte Kronen trug: eine undatierte Aufnahme vom König von Augsburg.

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