Der Mensch ist ein Spieler – und das ist auch gut so
In Nürnberg zeigt die Industrie, womit sie in Zukunft die Kinderzimmer füllen will. Doch Spielen ist viel mehr als ein Zeitvertreib und auch für Erwachsene unverzichtbar.
Vor Aufregung feuchte Hände, Tunnelblick und erhöhten Adrenalinausstoß – Schafkopfspieler kennen den wohligen Nervenkitzel beim Spielen eines kniffligen Solos. Genauso wie das Hochgefühl, geht alles gut aus, weil man richtig mitgezählt, seine Karten in der besten Reihenfolge gespielt und auch noch etwas Glück hat. Schafkopf zählt völlig zu Recht zum bayerischen Kulturgut. Aber es ist nur Teil von etwas Größerem, das uns Menschen ausmacht. Der Mensch ist ein Spieler – und das ist auch gut so.
Spielen ist nicht einfach nur Zeitvertreib, wiewohl das keinesfalls geringzuschätzen wäre. Wir lernen über das Spielen soziales Verhalten, das Lösen von Problemen oder die Mechanismen der Wirtschaft – und zwar von klein auf bis ins hohe Alter. Doch das Spielen in Gesellschaft ist bedroht. Zum einen von der sich auch in diesem Bereich immer stärker ausbreitenden Digitalisierung. Es braucht keine Mitspieler mehr, wenn die künstliche Intelligenz am Computer diesen Part übernimmt – und immer Lust und Zeit hat zu spielen. Man muss das Spielen am Computer deswegen nicht gleich verdammen. Es gibt viel mehr als nur Ballerspiele und digitale Welten haben eigene, ganz andere Reize und Qualitäten. Aber wohl keine Schafkopfrunde, die sich während des Lockdowns an einem OnlineTisch getroffen hat, wird das als Dauerlösung beibehalten wollen. Der Kern des Spielens ist die Interaktion mit Menschen in der realen Welt, in der man sein Gegenüber mit allen Sinnen wahrnehmen kann – oder bei schlechten Verlierern manchmal auch muss. Nebenbei: Sieht man jemandem an, ob ihr oder sein Plan für das Spiel aufgeht, kann das auch beim Schafkopf – Stichwort Pokerface – über Sieg und Niederlage entscheiden.
Spielen ist aber auch immer da auf dem Rückzug, wo es gering geschätzt wird. Kinder dürfen noch spielen. Doch leider interessieren sich viele Erwachsene nicht genug dafür, was sie spielen. Die Spielwarenindustrie füllt diese Lücke dankend aus. Spielwaren sind ein gutes Geschäft. Die Umsatzrekorde purzeln aktuell zwar gerade nicht mehr in so schneller Folge wie zu Pandemiezeiten. Aber der Ausblick der Hersteller bleibt positiv.
Ab Mittwoch zeigt die Branche bei ihrer Leitmesse in Nürnberg wieder, womit sie in Zukunft die Kinderzimmer füllen will. Doch weil die Entscheidung darüber, was von der Fülle an Neuerscheinungen tatsächlich dort landet, am Ende meist von Erwachsenen getroffen wird, sollten sie auch mal ausprobieren, was sie schenken wollen. Denn die Interessen der Industrie decken sich nicht unbedingt mit dem Wohl der Kinder. Spielen darf kein Ruhigstellen sein. Darum ist Smartphone-Gedaddel, das den Spieler zum KlickAutomaten erzieht, kein Spielen. Spielen muss herausfordern und Anreize schaffen, Neues auszuprobieren und zu lernen. Dafür brauchen Kinder Anleitung und Erwachsene, die sich Zeit für gemeinsame Spiele nehmen. Das stärkt das Selbstvertrauen und nebenbei auch die Beziehung zueinander.
Aber auch Erwachsene sollten sich Zeit zum Spielen nehmen. Denn wo zwei oder mehr zum Spielen zusammenkommen, werden immer auch Meinungen ausgetauscht und diskutiert; da gilt es Verbündete zu suchen, Siege zu feiern und Niederlagen mit Fassung zu ertragen. Kurz: Wer spielt, verkriecht sich nicht im Schneckenhaus des Individualisten, der mit dem Rest eigentlich nichts mehr zu tun haben will. Um Schafkopf zu lernen, ist es übrigens fast nie zu früh – und nie zu spät.
Es ist fast nie zu früh, Schafkopf zu lernen – und nie zu spät