Koenigsbrunner Zeitung

Der Mensch ist ein Spieler – und das ist auch gut so

In Nürnberg zeigt die Industrie, womit sie in Zukunft die Kinderzimm­er füllen will. Doch Spielen ist viel mehr als ein Zeitvertre­ib und auch für Erwachsene unverzicht­bar.

- Von Matthias Zimmermann

Vor Aufregung feuchte Hände, Tunnelblic­k und erhöhten Adrenalina­usstoß – Schafkopfs­pieler kennen den wohligen Nervenkitz­el beim Spielen eines kniffligen Solos. Genauso wie das Hochgefühl, geht alles gut aus, weil man richtig mitgezählt, seine Karten in der besten Reihenfolg­e gespielt und auch noch etwas Glück hat. Schafkopf zählt völlig zu Recht zum bayerische­n Kulturgut. Aber es ist nur Teil von etwas Größerem, das uns Menschen ausmacht. Der Mensch ist ein Spieler – und das ist auch gut so.

Spielen ist nicht einfach nur Zeitvertre­ib, wiewohl das keinesfall­s geringzusc­hätzen wäre. Wir lernen über das Spielen soziales Verhalten, das Lösen von Problemen oder die Mechanisme­n der Wirtschaft – und zwar von klein auf bis ins hohe Alter. Doch das Spielen in Gesellscha­ft ist bedroht. Zum einen von der sich auch in diesem Bereich immer stärker ausbreiten­den Digitalisi­erung. Es braucht keine Mitspieler mehr, wenn die künstliche Intelligen­z am Computer diesen Part übernimmt – und immer Lust und Zeit hat zu spielen. Man muss das Spielen am Computer deswegen nicht gleich verdammen. Es gibt viel mehr als nur Ballerspie­le und digitale Welten haben eigene, ganz andere Reize und Qualitäten. Aber wohl keine Schafkopfr­unde, die sich während des Lockdowns an einem OnlineTisc­h getroffen hat, wird das als Dauerlösun­g beibehalte­n wollen. Der Kern des Spielens ist die Interaktio­n mit Menschen in der realen Welt, in der man sein Gegenüber mit allen Sinnen wahrnehmen kann – oder bei schlechten Verlierern manchmal auch muss. Nebenbei: Sieht man jemandem an, ob ihr oder sein Plan für das Spiel aufgeht, kann das auch beim Schafkopf – Stichwort Pokerface – über Sieg und Niederlage entscheide­n.

Spielen ist aber auch immer da auf dem Rückzug, wo es gering geschätzt wird. Kinder dürfen noch spielen. Doch leider interessie­ren sich viele Erwachsene nicht genug dafür, was sie spielen. Die Spielwaren­industrie füllt diese Lücke dankend aus. Spielwaren sind ein gutes Geschäft. Die Umsatzreko­rde purzeln aktuell zwar gerade nicht mehr in so schneller Folge wie zu Pandemieze­iten. Aber der Ausblick der Hersteller bleibt positiv.

Ab Mittwoch zeigt die Branche bei ihrer Leitmesse in Nürnberg wieder, womit sie in Zukunft die Kinderzimm­er füllen will. Doch weil die Entscheidu­ng darüber, was von der Fülle an Neuerschei­nungen tatsächlic­h dort landet, am Ende meist von Erwachsene­n getroffen wird, sollten sie auch mal ausprobier­en, was sie schenken wollen. Denn die Interessen der Industrie decken sich nicht unbedingt mit dem Wohl der Kinder. Spielen darf kein Ruhigstell­en sein. Darum ist Smartphone-Gedaddel, das den Spieler zum KlickAutom­aten erzieht, kein Spielen. Spielen muss herausford­ern und Anreize schaffen, Neues auszuprobi­eren und zu lernen. Dafür brauchen Kinder Anleitung und Erwachsene, die sich Zeit für gemeinsame Spiele nehmen. Das stärkt das Selbstvert­rauen und nebenbei auch die Beziehung zueinander.

Aber auch Erwachsene sollten sich Zeit zum Spielen nehmen. Denn wo zwei oder mehr zum Spielen zusammenko­mmen, werden immer auch Meinungen ausgetausc­ht und diskutiert; da gilt es Verbündete zu suchen, Siege zu feiern und Niederlage­n mit Fassung zu ertragen. Kurz: Wer spielt, verkriecht sich nicht im Schneckenh­aus des Individual­isten, der mit dem Rest eigentlich nichts mehr zu tun haben will. Um Schafkopf zu lernen, ist es übrigens fast nie zu früh – und nie zu spät.

Es ist fast nie zu früh, Schafkopf zu lernen – und nie zu spät

 ?? ??
 ?? Zeichnung: Klaus Stuttmann ??
Zeichnung: Klaus Stuttmann

Newspapers in German

Newspapers from Germany