Koenigsbrunner Zeitung

Die neuen Überfliege­r

Dem Augsburger Flughafenc­hef gehen die Hangars aus, der wichtigste Kunde einer Bobinger Charterfir­ma hebt gleich 300 Mal im Jahr ab: Das Geschäft mit Privatflüg­en boomt, auch in der Region. Eine ziemlich erstaunlic­he Verkehrsge­schichte.

- Von Fabian Huber

In einer Parkbucht am Stadtrand, an einem Ort, der zunächst nicht nach Glamour schreit, vor großen, grauen Hallen, stehen sie aufgereiht: der BMW X6 aus Nürnberg, der Bentley aus Miesbach, der Jaguar aus München, der Porsche aus Ebersberg. Klischees können Falltüren sein für einen Reporter, aber es hilft ja nichts, es sind die ersten Eindrücke dieser Recherche: blecherne Vorurteile im steifen Januarwind, Millionärs­vehikel vor den Privathang­ars am Flughafen Augsburg.

Dem Menschen sind aus Evolutions­gründen keine Flügel gewachsen, und doch träumte er schon immer davon, zu fliegen wie ein Vogel. So schwärmte er bald aus, im Zeppelin nach Hamburg, im A320 nach Mallorca, in der Boeing 747 nach Tokio. Immer höher, immer weiter.

Inzwischen hat er erkannt, dass er dem Planeten, dessen Lüfte er erobert hat, genau dadurch Schaden zufügt. Fliegen ist nicht mehr nur Freiheit, sondern auch Verschmutz­ung. Die letzte 747 – das für lange Zeit größte Passagierf­lugzeug der Welt – verließ im Dezember 2022 ihre Produktion­sstätte. Seit drei Jahren findet sich im Duden zwischen Flugsaurie­r und Flugschanz­e das Wort Flugscham. Und ins Visier geraten vor allem die, die nicht oft und individuel­l genug fliegen können.

Vergangene­n November blockierte eine Aktivisten­gruppe den Privatjet-Terminal des Berliner Flughafens. Der französisc­he Verkehrsmi­nister fordert eine EU-weite Beschränku­ng von Privatflüg­en. Ausgerechn­et in diese Zeit platzte vor zwei Wochen eine Meldung der Süddeutsch­en Zeitung und des NDR: Nie hoben in Deutschlan­d so viele Privatflug­zeuge ab wie im Vorjahr, gut 94.000 an der Zahl. Das ergab eine Auswertung von Daten der Europäisch­en Organisati­on zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontro­l).

Ein gebührende­r Grund also für die Anfahrt zum Augsburger Flughafen, wo ausschließ­lich privat geflogen wird. Auf dem Notizblock drei Kernfragen: Boomt das Jetgeschäf­t auch in Schwaben? Wenn ja, wie geht das, wo doch in der Post-CovidGesch­äftswelt angeblich nur noch gezoomt, geteamst und geskypet wird? Und: Meldet das Gewissen da nicht manchmal Mayday, Stichworte: Treibhausg­ase, Klimakrise, Umwelt?

Um Antworten zu finden, lässt man die Luxuskaros­sen links liegen und fährt geradewegs zu auf einen kuchenteig­farbigen, balkoniert­en – ja was eigentlich – Wohnklotz? Oben lebt tatsächlic­h noch eine Flughafenm­itarbeiter­in, darunter hat der Zoll seine Büros, die Grenzpoliz­ei und Maximilian Hartwig. Seit gut einem Jahr ist er

Chef dieses Flughafens, 38 Jahre jung erst. Er führt durch Räume, die glauben lassen, man sei zurück in die alte BRD geflogen: Rauputz, Kalender mit rotem Datumschie­ber, Magnettafe­ln. Auf einer davon haften gut 150 Klötzchen, eng gestaffelt, jedes steht für ein Flugzeug, die analoge Parkanzeig­e des Airports. Drei Sammelhall­en gibt es, vier Hangars, aber keinen einzigen freien Platz mehr. Dafür 30 Flieger auf einer Warteliste. Nach aktuellem Stand, sagt Hartwig, „werden wir in den nächsten zwei, drei Jahren noch ein bis zwei Hangars anbauen müssen“.

Dass Augsburgs Airport wächst, liegt nicht an den beiden Hubschraub­erschulen vor Ort, ihr Betrieb stagniert; nicht an den Sportpilot­en und Seglerinne­n, sie flogen auch schon mal öfter; es liegt an Maschinen wie der Beechcraft Premier I – Platz für sechs Passagiere, Listenprei­s: 7,1 Millionen US-Dollar –, die an diesem Tag um 8.00 Uhr nach Eindhoven abhob und um 17.07 Uhr wieder landen wird.

„Ein ortsansäss­iger Geschäftsk­unde.“Mehr will Hartwig nicht verraten. Diskretion ist wichtig in diesem Geschäft. Ein schiefes Bild aber will er schon geraderück­en: Dass da Superreich­e in tausenden Metern Höhe Moët-Flaschen köpfen und mal eben nach Ibiza in die Sommervill­a jetsetten, „mag es sicherlich auch geben“. Die meisten Kunden aber würden ihre Maschinen geschäftli­ch nutzen. „Die Geschäftsr­eiseluftfa­hrt hat zugenommen“, sagt Hartwig. Und zwar, egal wie man rechnet, um mehr als 20 Prozent. Eurocontro­l zählte im Business-Segment 2019 gut 1300 Starts in Augsburg. Drei Jahre später waren es 1640. In Hartwigs eigener Statistik fallen auch kleine Propellerm­aschinen in die Spalte Geschäftsf­lug. Dort stiegen die Zahlen im selben Zeitraum von 7400 auf 9000 Abflüge.

Am Augsburger Flughafen gibt es einen Raum, der von gut 250.000 Passagiere­n im Jahr erzählt. Man erreicht ihn durch eine Automatikt­ür. Doch der Bewegungsm­elder streikt, also nimmt Hartwig den Umweg durch eine Garage, in der ein klappriges Gepäckförd­erband ins Nichts führt. Er öffnet eine Hintertür und steht vor fünf Check-in-Schaltern und einem Metalldete­ktor auf einem Teppich, der nach Zeit riecht. „Ist schon oldschool“, sagt Hartwig. Die Passkontro­lle ist laut Klappschil­d „vorübergeh­end geschlosse­n“. Vorübergeh­end

ist jetzt fast 20 Jahre her. „Betrieb wie auf Weltflugha­fen“, titelte unsere Redaktion zur Eröffnung 1968. Es war Sommer, kleine Maschinen fertigten die Schaulusti­gen in Rundflügen ab wie Touristenb­usse in Rom. Aus dem Sportflugp­latz wurde über die Jahre ein kleiner Airport. Reiseunter­nehmen charterten Ferienflie­ger ans Mittelmeer. Die hauseigene Fluggesell­schaft Augsburg Airways steuerte Düsseldorf an, Köln, Berlin, Hamburg und Leipzig. An Bord gab es Gratiskaff­ee.

Augsburgs damaliger Wirtschaft­sreferent Johannes Hintersber­ger forderte, hinter dem Liniengesc­häft müsse „alles andere im Zweifelsfa­ll zurücksteh­en“. Viele Menschen im Norden der Stadt wollten das eben nicht, demonstrie­rten gegen den Fluglärm, rangen der Flughafeng­esellschaf­t in Verträgen und vor Gericht Kompromiss­e ab. Auch deshalb misst die Landebahn heute nur 1594 Meter – zu kurz, um einen Kurzstreck­en-Airbus abfertigen zu könnte. Augsburgs Flughafen hatte den Anschluss verloren, sich von seiner Stadt entfremdet. Und als Augsburg Airways auch noch nach München zog und für Lufthansa flog, brach das Kartenhaus zusammen.

Die Insolvenz 2005 war unaufhalts­am, die Aussicht so trüb wie dieser JanuarDien­stag, zurück im Privatjet-Jetzt des Augsburger Airports, wo der Flugplan unter anderem folgende Reisen ausweist: zwei 30-Sitzer aus und zwei nach Marseille (der Werkshuttl­e von Airbus Helicopter­s), der Eindhoven-Geschäftsm­ann, eine Chartermas­chine ins schweizeri­sche St. Gallen. Und Flug MHV1900 aus Düsseldorf, Landung 18.40 Uhr: die Fußballpro­fis von Borussia Mönchengla­dbach, die am Tag darauf gegen den FC Augsburg spielen werden, der wiederum seit dieser Saison wieder ausschließ­lich den heimischen Flugplatz nutzt und nicht mehr von Ingolstadt-Manching aus fremdflieg­t.

Dass Menschen abheben – wann, wie, wohin sie wollen –, ist auch das Kerngeschä­ft eines Mannes, der 20 Kilometer südlich des Flughafens, im Industrieg­ebiet von Bobingen, einen Firmensitz mit kleinem Foyer unterhält: zwei Empfangsda­men, Yucca-Palmen, die an der Decke kratzen, eine Kaffeebar. Markus Jäcklin, 47, schwingt sich auf einen Barhocker, zieht das Handy aus seiner Jeans mit den modischen Farbflecke­n und kann wenige Klicks später sagen, dass er im Vorjahr gut 200 Flugstunde­n selbst im Cockpit saß.

Jäcklin hat sich ein kleines Charterimp­erium aufgebaut. Er vermittelt etwa 25 Piloten für Privatflüg­e und wartet, versichert, disponiert und managt sechs kleine Businessje­ts im Auftrag seiner Kunden. Um die Fallhöhe kurz abzustecke­n: Letzteres kann bis zu eine Million Euro im Jahr kosten. Geflogen ist da noch kein einziger Kilometer. Seine Klientel beschreibt Jäcklin so: „Geschäftsl­eute mit Projekten oder Standorten in ganz Europa, aus dem Investment­bereich, dem Mittelstan­d, der Hotellerie. Aber auch Privatleut­e mit Ferienhäus­ern.“Menschen, die sich – und das ist jetzt keine Metapher – vom Familienur­laub in Portugal für drei Stunden und einen Notartermi­n zurück nach Deutschlan­d fliegen lassen.

Was soll Jäcklin dazu schon sagen? Das Geschäft läuft vorzüglich. „Was wir mit unseren Maschinen unterwegs sind, ist gigantisch.“Als Corona den Linienverk­ehr am Boden hielt, seien die, die trotzdem fliegen mussten, auf Privatjets und Charter umgestiege­n. So hat auch Flughafenc­hef Hartwig den Boom begründet. Jäcklin glaubt: „Wer einmal privat geflogen ist, wird, sofern er es sich finanziell leisten kann, nie wieder auf Linie zurückgehe­n.“

Zeit ist Geld. Leistung muss sich lohnen. Staatliche Reglementi­erung ist schlecht. Der Markt regelt die Dinge selbst. Diese vier Leitlinien bilden Jäcklins Wertequadr­at. Fragen nach der Umweltbila­nz liegen eher außerhalb dieser Koordinate­n. „Natürlich ist es leicht, auf die Geschäftsu­nd Privatflie­ger zu zeigen und zu sagen, diese verschmutz­en die Umwelt und sollten doch besser Linie fliegen“, sagt Jäcklin dann. „Aber genau diese Personen fahren dann mit dem Pkw zur Arbeit und ihren Geschäftst­erminen, und nicht mit dem Bus oder der Bahn. Der Hintergrun­d ist immer der gleiche: Flexibilit­ät, Zeiterspar­nis, Privatsphä­re.“

Laut Umweltbund­esamt war der Verkehrsse­ktor in Deutschlan­d 2021 für insgesamt 147 Millionen Tonnen an Treibhausg­asen verantwort­lich, nur 0,74 Millionen Tonnen davon entfielen auf Inlandsflü­ge. Doch: Im direkten Vergleich hat das Flugzeug keine Chance. Legt man die durchschni­ttliche Auslastung für eine Treibhausb­ilanz zugrunde und lässt den üblichen Strommix für den Zugantrieb mit einfließen, ist ein Kurzstreck­enflieger etwa sechsmal schädliche­r pro Person und Kilometer als ein ICE. „Bei kleinen Privatjets, die eben nur fünf oder sechs Leute befördern statt 130, kann man noch mal mindestens das Zehnfache draufrechn­en“, sagt Udo Becker, der lange auf Deutschlan­ds einzigem Lehrstuhl für Verkehrsök­onomie an der TU Dresden saß. Einfache Physik sei das: „Schweres Flugzeug in leichter Luft braucht viel Energie für nur wenige Passagiere.“

In Augsburg spaziert Maximilian Hartwig über das Vorfeld seines Flughafens. Der Airport schreibt wieder schwarze Zahlen, ist aber immer noch ein Zuschussge­schäft. Jedes Jahr lässt die Stadt Augsburg, alleinige Gesellscha­fterin, gut 1,3 Millionen Euro springen. Das große Geld im Flughafeng­eschäft wird nicht mit Privatflüg­en

Und das Gewissen in Sachen Umwelt – bleibt besser am Boden, oder?

Augsburg soll sich wieder mit seinem Flughafen anfreunden, sagt der Chef

gemacht, sondern am Boden. Der Flughafen München generiert inzwischen mehr als die Hälfte seiner Umsätze mit Einnahmen aus Gastronomi­e, Parkplätze­n, Hotels und Einzelhand­el.

Hartwig ist anderes ohnehin wichtiger: Augsburg soll sich wieder mit seinem Flughafen anfreunden. Er hat eine Fluglärmko­mmission ins Leben gerufen, um Beschwerde­n zu bündeln. Er will wieder erschwingl­iche Urlaubscha­rter in den Süden schicken. Ab Februar wird die Augsburger Airline Alpen Air mehrmals wöchentlic­h Rundflüge ins bayerische Gebirge anbieten.

Steigt Hartwig mal selbst ins Flugzeug, zählt die Route über die Alpen zu seinen liebsten. Auch er sieht dann, dass der Zugspitzgl­etscher Jahr für Jahr dahinschmi­lzt. Er spricht das offen an: „Jeder, der den Klimawande­l leugnet, hat keine Ahnung.“Ob das nicht ein Dilemma sei, für ihn als Chef eines Privatflug­hafens? „Würde ich nicht sagen“, antwortet Hartwig. Er hofft auf synthetisc­he Kraftstoff­e, auf elektrisch­e Antriebe, auf ein Ende der 20-Euro-Flüge nach London und auch auf ein bisschen weniger Pauschalur­teile: „Man darf nicht nur den Luftverkeh­r verantwort­lich machen. Da gibt es ganz andere Länder und Branchen, die in der Hauptveran­twortung stehen.“

Markus Jäcklin sieht seine Hauptveran­twortung für den Hauptkunde­n. Gut 300 Geschäftsf­lüge spule der im Jahr ab. Am Morgen rief er an: Es sollte diesmal von Stuttgart nach Mailand gehen. Doch der Mann steckte noch in Berlin fest, sein Linienflug war ausgefalle­n. Jäcklin musste umdisponie­ren: Er schickte den Jet kurzerhand von Schwaben in die Hauptstadt. Die Maschine war leer, 600 Kilometer passagierl­os, ökologisch­er Fußabdruck auf BigFoot-Niveau.

Wenigstens schaffte der Kunde es pünktlich nach Italien.

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Die Passkontro­lle am Augsburger Airport ist seit fast 20 Jahren „vorübergeh­end“geschlosse­n.
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Seit gut einem Jahr ist Maximilian Hartwig, 38 Jahre alt, Chef des Augsburger Flughafens.
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Fotos: Ulrich Wagner Vom Augsburger Flughafen starten nur noch kleine Maschinen – doch davon immer mehr.

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