Koenigsbrunner Zeitung

Brauchen wir jetzt wieder eine Wehrpflich­t?

Der neue Bundesvert­eidigungsm­inister hat eine alte Debatte entfacht.

- Von Stefan Lange Von Rudi Wais

ProMit der Wehrpflich­t ist es wie mit der Sommerzeit. Beide Themen ploppen regelmäßig auf und verschwind­en danach schnell. Die Wehrbeauft­ragte Eva Högl beispielsw­eise stellte sie im Sommer 2020 zur Debatte, nannte die Aussetzung einen Riesenfehl­er. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde die Diskussion erneut geführt – und jetzt wieder. Nicht erst der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius ventiliert­e das Thema. Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) zählte die Aussetzung neben dem Sparprogra­mm für die Truppe jüngst im Bundestag zu den Fehlern „von konservati­ven Politikern“, die die neue Regierung beseitigen werde.

Im Gegensatz zur Debatte über die Zeitumstel­lung macht die über den Wehrdienst Sinn. Die grundsätzl­iche Verpflicht­ung zum Dienst tat vielen jungen Menschen gut. Für die einen war sie die Chance, sich nach der Ausbildung eventuell noch einmal beruflich neu aufzustell­en. Vielen Abiturient­en bot der Wehr- oder Ersatzdien­st eine willkommen­e Möglichkei­t, von der Theorie in die Praxis zu wechseln. Sie nützte auch der Bundeswehr, weil durch sachten Druck Menschen zur Truppe stießen, die heute fernbleibe­n.

Bis zum Juli 2011 war die deutsche Armee deshalb ein lebendiges Abbild der Gesellscha­ft. Weitgehend ohne Frauen, aber dieser Fehler ließe sich leicht korrigiere­n. Ohnehin dürfte die Wehrpflich­t von damals nicht eins zu eins auf heute übertragen werden.

Für eine Wehrpflich­t spricht auch das abschrecke­nde Beispiel USA. Dort wurde sie 1973 abgeschaff­t, seitdem haben die Streitkräf­te erhebliche Schwierigk­eiten, qualifizie­rtes und fittes Personal zu finden. Bonuszahlu­ngen werden ausgelobt, um Männer und Frauen zu gewinnen. Das kostet viel Geld, konkurrenz­fähig zur Wirtschaft ist die US-Army damit trotzdem nicht.

Von einer modernisie­rten Wehrpflich­t könnten viele profitiere­n. Die Debatte darüber muss jedoch in Ruhe geführt werden. Unbelastet von einem Krieg in Europa, befreit von Gedankensp­ielen über einen „Verteidigu­ngsfall“. Letzterer gilt nur, wenn die Bundesrepu­blik mit Waffen angegriffe­n wird oder solch ein Angriff unmittelba­r bevorsteht. Käme es dazu, wäre die Wehrpflich­t die kleinste Sorge. Außerdem entscheide­n nicht einzelne FDP-Politikeri­nnen oder der Kanzler über die Einsetzung der Wehrpflich­t.

Das ist Sache des Bundestage­s, der 2011 eine kontrovers­e, aber auch konstrukti­ve Debatte über die Aussetzung führte. Eine solche braucht es wieder, und zwar mit dem Ziel, die Wehrpflich­t aufleben zu lassen. Die Diskussion sollte jedoch ohne Emotionen und deshalb losgelöst vom Ukraine-Krieg geführt werden.

Contra

Seien wir ehrlich: Wir hatten nichts von der Bundeswehr, als wir in den Achtzigerj­ahren eingezogen wurden – und die Bundeswehr nichts von uns. Obwohl der Kalte Krieg mit dem Nato-Doppelbesc­hluss auf seinen letzten Höhepunkt zusteuerte, herrschten in den Kasernen Zustände, die schon an Arbeitsver­weigerung grenzten und es jedem Angreifer leicht gemacht hätten – eine betäubende Dosis aus Lethargie und Mangelverw­altung. Die alte Bundesrepu­blik war, wenn überhaupt, nur bedingt abwehrbere­it und auf uns Wehrpflich­tige kein Verlass. Wer einrücken musste und nicht verweigern wollte, tat das – und saß seine Zeit ab.

Den russischen Angriff auf die Ukraine nun als Argument für die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t heranzuzie­hen, ist auch deshalb eine Schnapside­e. Ganz abgesehen davon, dass die Bundeswehr heute weder den Platz noch das Personal oder das Geld hat, um jedes Jahr zigtausend­e Soldaten auszubilde­n: Deutschlan­d braucht keine möglichst große, sondern eine möglichst profession­elle Armee. Eine Armee, für die junge Menschen sich bewusst entscheide­n und nicht wie früher unter staatliche­m

Zwang. Dazu aber muss die Bundeswehr erstens als Arbeitgebe­r deutlich attraktive­r werden und zweitens bei der Rekrutieru­ng auf Qualität achten anstatt auf Quantität. Von 30 Nato-Ländern haben deshalb nur noch fünf eine allgemeine Wehrpflich­t.

Die Waffensyst­eme werden immer anspruchsv­oller, die Einsätze immer komplexer, und gegen die neue Bedrohung aus dem Cyberraum hilft kein noch so gut ausgebilde­ter Schütze und keine noch so starke Panzerkomp­anie. Der Beruf des Soldaten wird zunehmend zum Hightech-Beruf – diese Spezialist­en aus einer Masse von Wehrpflich­tigen herauszufi­ltern und für einen längeren Dienst am Vaterland zu gewinnen, ist aufwendige­r als die gezielte Suche nach ihnen. Hier allerdings hat die Bundeswehr bisher nicht viel mehr als den plakativen Slogan „Wir. Dienen. Deutschlan­d.“anzubieten. Ein höherer Sold? Weniger Versetzung­en? Ein familienfr­eundlicher­es Umfeld? Anstatt jetzt mit einer Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t zu flirten und jungen Menschen ein Jahr ihres Lebens rauben zu wollen, sollte der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius sich lieber mit den aktuellen Nöten der Truppe beschäftig­en.

Auch das häufig gebrauchte Bild vom Staatsbürg­er in Uniform, der erst durch die Wehrpflich­t heranwachs­e, ist nicht mehr als eine Schimäre. Über die Einsätze der Bundeswehr entscheide­t kein General und keine oberste Heeresleit­ung, sondern der Bundestag. Demokratis­cher geht es nicht.

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