Nancy Faesers riskante Doppelrolle
Die Bundesinnenministerin will offenbar mit Sicherheitsnetz bei der Landtagswahl in Hessen als Spitzenkandidatin antreten und bei einer Niederlage in Berlin bleiben. Selbst aus der Ampel wird Kritik laut. So stehen ihre Chancen.
Viele bescheinigen Olaf Scholz rückblickend ein glückliches Händchen, als der Kanzler die hessische Sozialdemokratin Nancy Faeser nach der Wahl überraschend zur Bundesinnenministerin erkoren hat. Die 52-Jährige zählt zu den Aktivposten der SPD im Bundeskabinett, auch weil sie es als einzige Genossin neben Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Scholz in die Umfragelisten der zehn populärsten Politgrößen der Bundespolitik bringt. Doch von Anfang an klebte Faeser das Etikett „Ministerin auf Abruf“an, weil es ausgemacht schien, dass die hessische SPD-Chefin im Oktober bei den Landtagswahlen als Spitzenkandidatin gegen den CDU-Amtsinhaber Boris Rhein ins Rennen ziehen will.
Es wird erwartet, dass Faeser am Freitag bei der Klausur der hessischen SPD ihre Kandidatur bekannt geben wird. Und die spannendste Frage scheint bereits entschieden: Faeser will offenbar nur als Wahlsiegerin nach Wiesbaden wechseln und im Falle einer Niederlage Innenministerin bleiben. Auf diese Lösung sollen sich Faeser und Scholz geeinigt haben, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Gleich wurden Erinnerungen an den glücklosen Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen von CDU-Mann Norbert Röttgen wach. Der damalige Bundesumweltminister setzt sich damals gegen seinen Mitbewerber Armin Laschet als CDU-Spitzenkandidat durch. Doch Röttgen vermasselte die Landtagswahl 2012 kolossal – mit unglücklichen Auftritten und ebenso der Weigerung, sich zuvor festzulegen, ob er auch als Oppositionsführer von Berlin nach Düsseldorf wechseln wolle.
Der damalige CSU-Chef Horst Seehofer meldete sich in einem legendären „Heute-Journal“-Interview zu Wort („Sie können das alles senden!“) und machte Röttgen für das „Desaster“der CDU persönlich verantwortlich, weil er „sich nicht voll für das Land entschieden“habe. „Dann geht ein Kandidat her für das Amt des Ministerpräsidenten und sagt: Ich laufe nicht davon, ich laufe gar nicht hin.“Wenige Tage später feuerte Kanzlerin Angela Merkel Röttgen unter dem Protest der NRWCDU als Bundesumweltminister.
Nun will die SPD die sogenannte „Röttgen-Falle“offensichtlich damit umgehen, dass Faeser von vornherein klarmacht, sie würde nur als Ministerpräsidentin nach Hessen wechseln. Man verweist zudem auf das Geschichtsbuch: Vor knapp 30 Jahren trat der konservative CDU-Mann Manfred Kanther auch als hessischer Spitzenkandidat bei der Landtagswahl an und blieb nach der Wahlniederlage in Bonn im Kabinett von Helmut Kohl auf seinem Posten.
Doch Faeser weht schon jetzt ein eiskalter Wind selbst aus den
Reihen ihrer Koalitionspartner entgegen. FDP-Parteivize Wolfgang Kubicki sagte, das Bundesinnenministerium sei „keine geeignete Wahlkampfbühne in diesen ernsten Zeiten“. Und der GrünenInnenexperte Marcel Emmerich beschied Faeser, es sei „fast nicht zu schaffen, diese beiden Aufgaben parallel auszuüben“. Noch schärfer tönt es aus der CDU: Der Innenexperte der Unionsfraktion Alexander Throm forderte Faeser zum Rücktritt auf, falls sie Spitzenkandidatin werde.
Derzeit sind Faesers Erfolgsaussichten mau, Hessens CDU-Ministerpräsident Boris Rhein abzulösen, der im Mai den zurückgetretenen Volker Bouffier beerbt hatte. In Umfragen liegt die SPD zwischen fünf und elf Prozent hinter den Christdemokraten. Ihre HessenMission dürfte die Bundesministerin schon erfüllt haben, wenn die SPD vor den Grünen als zweitstärkste Partei bei der Wahl am 8. Oktober aus dem Rennen ginge.