„Das Digitale darf kein Anhängsel sein“
Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach kritisiert fehlende Visionen und Unterstützung aus Berlin für die Digitalisierung. Sie erklärt die Probleme in der Praxis, den Service für die Menschen zu verbessern.
Frau Gerlach, wie oft werden Sie als Digitalministerin auf die schlechte Mobilfunkversorgung in Bayern angesprochen?
Judith Gerlach: Natürlich immer wieder, auch wenn das Wirtschaftsministerium für die Mobilfunkversorgung und das Finanzministerium für die Breitbandversorgung zuständig ist. Aber letztlich müssen wir alle in Bayern mit einem Problem umgehen, das der Bund verursacht hat. Der hatte vor Jahrzehnten entschieden, die Mobilfunklizenzen an private Unternehmen zu versteigern und die Versorgung dem Markt zu überlassen. Es wäre sicher besser gewesen, strengere Versorgungsauflagen zu machen. Es ist seither also Aufgabe der Betreiber, Glasfaser zu verlegen oder Mobilfunkmasten aufzustellen, nicht Aufgabe des Freistaats. So ist das System in Deutschland. In Bayern geben wir uns damit aber nicht zufrieden. Wir haben zahlreiche Förderprogramme und Initiativen auf den Weg gebracht, um den Status quo zu ändern.
Auch beim Ausbau mit schnellem Internet besteht ein Stadt-LandGefälle …
Gerlach: Beim Breitbandausbau haben wir in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Obwohl wir hier als Flächenland in Bayern vor besonderen Herausforderungen stehen, liegen wir inzwischen in allen Bereichen über dem Bundesdurchschnitt. 2018 hatte die Hälfte der Haushalte in Bayern gigafähige Anschlüsse, jetzt sind es zwei Drittel und bis 2025 sollen weitere drei Millionen Haushalte ans GlasfaserNetz angeschlossen werden. Als Digitalministerium bringen wir mit dem „Pakt Digitale Infrastruktur“alle zuständigen und beteiligten Stellen zusammen und damit den Ausbau voran.
Wie viel Rückenwind gibt es Ihnen, dass es nun auch im Bund ein Digitalministerium gibt?
Gerlach: Wir spüren keinen Rückenwind aus Berlin. Das Digitale auf Bundesebene ist im wahrsten Sinn des Wortes nur ein Anhängsel an das Verkehrsministerium. Die Verantwortung ist vollkommen zerfasert und keiner ist wirklich zuständig: Ins Ressort von Minister Volker Wissing fällt Mobilfunkund Breitbandausbau. Innenministerin Nancy Faeser macht Digitale Verwaltung. Und bei Robert Habeck liegen Innovation und Start-ups. Kein Wunder, dass da nichts vorangeht. Bei uns im bayerischen
Digitalministerium treiben wir über alle Ressorts hinweg die Digitalisierung für die Staatsregierung voran, bei uns laufen die Fäden der Digitalpolitik zusammen. Deshalb hätte ich mir auch auf Bundesebene ein eigenständiges Digitalministerium gewünscht. Ich sehe im Bund niemanden mit einer Vision, wo Deutschland im Jahr 2030 digital stehen soll. Auch nicht Herrn Wissing.
Was kritisieren Sie dabei konkret?
Gerlach: Der Bundesregierung fehlt eine ambitionierte Digitalstrategie, die über das hinausgeht, was seit Jahren ohnehin in der Schublade liegt. Stattdessen fährt die aktuelle Bundesregierung ihre Investitionen in Hightech und Forschung zurück. Ein weiteres Riesenproblem ist, dass wir keine einheitliche Stimme in Brüssel haben. Digitalpolitik wird aber zu einem großen Teil in Europa gemacht, zum Beispiel bei der Frage, wie Künstliche Intelligenz künftig reguliert
werden wird. Mit derartigen Regulierungsvorhaben wird über nichts weniger als über die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entschieden.
Was tun Sie in Bayern, damit die Unternehmen nicht den Anschluss verlieren?
Gerlach: Wir investieren mit der Hightech Agenda 3,5 Milliarden Euro in den Forschungsbereich und damit auch in unsere bayerische digitale Wettbewerbsfähigkeit. Damit setzen wir wichtige Impulse, um etwa ein europaweit einzigartiges Ökosystem für Künstliche Intelligenz in Bayern zu etablieren. Für mich ist es auch von entscheidender Bedeutung, dass der Technologietransfer in die Unternehmen gelingt, und zwar nicht nur in die großen. Das Digitalministerium hat deshalb das Projekt „KI Transfer plus“ins Leben gerufen, das Künstliche Intelligenz in den Mittelstand bringt. Das in dieser Form bislang deutschlandweit
einzigartige Programm unterstützt durch lokale KI-Regionalzentren gezielt mittelständische Unternehmen bei der Strategieentwicklung, der Einführung bis zur Umsetzung eines eigenen KI-Projekts. Der Mittelstand ist hochinnovativ und interessiert, hat aber oft nicht genug Know-how. Hier setzen wir an. Unsere ersten Pilotprojekte laufen und sind sehr vielversprechend. KI kann extrem vielseitig eingesetzt werden und bringt einen echten Mehrwert – gerade für den Mittelstand. Bisher sind wir damit in Regensburg, München und Aschaffenburg unterwegs, hoffen aber, diese Initiative regional ausweiten zu können.
Deutschland hinkt im Vergleich zu vielen EU-Ländern bei der öffentlichen Verwaltung hinterher. Wann wird es besser?
Gerlach: Wir für uns in Bayern haben im Rahmen des Möglichen unsere Hausaufgaben gemacht und 98 Prozent der staatlichen Leistungen
abgeschlossen. Als Digitalministerin berichte ich im Kabinett regelmäßig zu den Fortschritten und benenne, was noch zu tun ist. Denn bei der Behördenmodernisierung sind wir noch lange nicht fertig. Viele Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger haben ja nicht die Länder oder der Bund, sondern vor allem die Kommunen zu erbringen. Hier haben wir erfolgreich Anreize gesetzt: Immer mehr Gemeinden nehmen an unserem Programm „Digitales Rathaus Bayern“teil, mit dem wir finanziell unterstützen. Ich kann auch nur dafür werben, dass nicht jede Kommune eigene Wege geht. Wir stellen als Freistaat zentrale Online-Dienste über den sogenannten BayernStore zur Verfügung. Diese Online-Dienste können die Kommunen einfach kostenlos abonnieren und den Menschen zur Verfügung stellen.
Das digitale Angebot scheitert in der Praxis aber oft daran, dass dazu die Digitalfunktion des Personalausweises erforderlich ist, die die allerwenigsten nutzen ...
Gerlach: Die digitale Authentifizierung der Menschen gegenüber dem Staat ist der gordische Knoten der digitalen Verwaltung. Die Bundesregierung muss hier endlich eine einheitliche, nutzerfreundliche und bundesweit universell einsetzbare Lösung schaffen und damit den Weg für bürgerfreundliche Lösungen freimachen. Wir können noch so schöne digitale Services anbieten, aber wenn die Voraussetzung dafür der neue elektronische Personalausweis ist, dessen Einsatz nach wie vor viele – auch digital versierte Nutzer – überfordert, funktioniert es einfach nicht. Damit wir einen Durchbruch erzielen, muss die digitale Verwaltung so benutzerfreundlich und einfach sein wie Online-Shopping. Wir brauchen die bundesweite BürgerID als einfache und unkomplizierte Möglichkeit für die Menschen, sich online zu authentifizieren. Eine Möglichkeit dazu steht mit dem bewährten und weit verbreiteten Elster-System zur Verfügung, bis ein nutzerfreundlich und mobil verwendbarer digitaler Zwilling des Ausweises bereitgestellt wird.