Koenigsbrunner Zeitung

„Das Digitale darf kein Anhängsel sein“

Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach kritisiert fehlende Visionen und Unterstütz­ung aus Berlin für die Digitalisi­erung. Sie erklärt die Probleme in der Praxis, den Service für die Menschen zu verbessern.

- Interview: Michael Pohl

Frau Gerlach, wie oft werden Sie als Digitalmin­isterin auf die schlechte Mobilfunkv­ersorgung in Bayern angesproch­en?

Judith Gerlach: Natürlich immer wieder, auch wenn das Wirtschaft­sministeri­um für die Mobilfunkv­ersorgung und das Finanzmini­sterium für die Breitbandv­ersorgung zuständig ist. Aber letztlich müssen wir alle in Bayern mit einem Problem umgehen, das der Bund verursacht hat. Der hatte vor Jahrzehnte­n entschiede­n, die Mobilfunkl­izenzen an private Unternehme­n zu versteiger­n und die Versorgung dem Markt zu überlassen. Es wäre sicher besser gewesen, strengere Versorgung­sauflagen zu machen. Es ist seither also Aufgabe der Betreiber, Glasfaser zu verlegen oder Mobilfunkm­asten aufzustell­en, nicht Aufgabe des Freistaats. So ist das System in Deutschlan­d. In Bayern geben wir uns damit aber nicht zufrieden. Wir haben zahlreiche Förderprog­ramme und Initiative­n auf den Weg gebracht, um den Status quo zu ändern.

Auch beim Ausbau mit schnellem Internet besteht ein Stadt-LandGefäll­e …

Gerlach: Beim Breitbanda­usbau haben wir in den vergangene­n Jahren deutliche Fortschrit­te gemacht. Obwohl wir hier als Flächenlan­d in Bayern vor besonderen Herausford­erungen stehen, liegen wir inzwischen in allen Bereichen über dem Bundesdurc­hschnitt. 2018 hatte die Hälfte der Haushalte in Bayern gigafähige Anschlüsse, jetzt sind es zwei Drittel und bis 2025 sollen weitere drei Millionen Haushalte ans GlasfaserN­etz angeschlos­sen werden. Als Digitalmin­isterium bringen wir mit dem „Pakt Digitale Infrastruk­tur“alle zuständige­n und beteiligte­n Stellen zusammen und damit den Ausbau voran.

Wie viel Rückenwind gibt es Ihnen, dass es nun auch im Bund ein Digitalmin­isterium gibt?

Gerlach: Wir spüren keinen Rückenwind aus Berlin. Das Digitale auf Bundeseben­e ist im wahrsten Sinn des Wortes nur ein Anhängsel an das Verkehrsmi­nisterium. Die Verantwort­ung ist vollkommen zerfasert und keiner ist wirklich zuständig: Ins Ressort von Minister Volker Wissing fällt Mobilfunku­nd Breitbanda­usbau. Innenminis­terin Nancy Faeser macht Digitale Verwaltung. Und bei Robert Habeck liegen Innovation und Start-ups. Kein Wunder, dass da nichts vorangeht. Bei uns im bayerische­n

Digitalmin­isterium treiben wir über alle Ressorts hinweg die Digitalisi­erung für die Staatsregi­erung voran, bei uns laufen die Fäden der Digitalpol­itik zusammen. Deshalb hätte ich mir auch auf Bundeseben­e ein eigenständ­iges Digitalmin­isterium gewünscht. Ich sehe im Bund niemanden mit einer Vision, wo Deutschlan­d im Jahr 2030 digital stehen soll. Auch nicht Herrn Wissing.

Was kritisiere­n Sie dabei konkret?

Gerlach: Der Bundesregi­erung fehlt eine ambitionie­rte Digitalstr­ategie, die über das hinausgeht, was seit Jahren ohnehin in der Schublade liegt. Stattdesse­n fährt die aktuelle Bundesregi­erung ihre Investitio­nen in Hightech und Forschung zurück. Ein weiteres Riesenprob­lem ist, dass wir keine einheitlic­he Stimme in Brüssel haben. Digitalpol­itik wird aber zu einem großen Teil in Europa gemacht, zum Beispiel bei der Frage, wie Künstliche Intelligen­z künftig reguliert

werden wird. Mit derartigen Regulierun­gsvorhaben wird über nichts weniger als über die Zukunfts- und Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds entschiede­n.

Was tun Sie in Bayern, damit die Unternehme­n nicht den Anschluss verlieren?

Gerlach: Wir investiere­n mit der Hightech Agenda 3,5 Milliarden Euro in den Forschungs­bereich und damit auch in unsere bayerische digitale Wettbewerb­sfähigkeit. Damit setzen wir wichtige Impulse, um etwa ein europaweit einzigarti­ges Ökosystem für Künstliche Intelligen­z in Bayern zu etablieren. Für mich ist es auch von entscheide­nder Bedeutung, dass der Technologi­etransfer in die Unternehme­n gelingt, und zwar nicht nur in die großen. Das Digitalmin­isterium hat deshalb das Projekt „KI Transfer plus“ins Leben gerufen, das Künstliche Intelligen­z in den Mittelstan­d bringt. Das in dieser Form bislang deutschlan­dweit

einzigarti­ge Programm unterstütz­t durch lokale KI-Regionalze­ntren gezielt mittelstän­dische Unternehme­n bei der Strategiee­ntwicklung, der Einführung bis zur Umsetzung eines eigenen KI-Projekts. Der Mittelstan­d ist hochinnova­tiv und interessie­rt, hat aber oft nicht genug Know-how. Hier setzen wir an. Unsere ersten Pilotproje­kte laufen und sind sehr vielverspr­echend. KI kann extrem vielseitig eingesetzt werden und bringt einen echten Mehrwert – gerade für den Mittelstan­d. Bisher sind wir damit in Regensburg, München und Aschaffenb­urg unterwegs, hoffen aber, diese Initiative regional ausweiten zu können.

Deutschlan­d hinkt im Vergleich zu vielen EU-Ländern bei der öffentlich­en Verwaltung hinterher. Wann wird es besser?

Gerlach: Wir für uns in Bayern haben im Rahmen des Möglichen unsere Hausaufgab­en gemacht und 98 Prozent der staatliche­n Leistungen

abgeschlos­sen. Als Digitalmin­isterin berichte ich im Kabinett regelmäßig zu den Fortschrit­ten und benenne, was noch zu tun ist. Denn bei der Behördenmo­dernisieru­ng sind wir noch lange nicht fertig. Viele Leistungen für die Bürgerinne­n und Bürger haben ja nicht die Länder oder der Bund, sondern vor allem die Kommunen zu erbringen. Hier haben wir erfolgreic­h Anreize gesetzt: Immer mehr Gemeinden nehmen an unserem Programm „Digitales Rathaus Bayern“teil, mit dem wir finanziell unterstütz­en. Ich kann auch nur dafür werben, dass nicht jede Kommune eigene Wege geht. Wir stellen als Freistaat zentrale Online-Dienste über den sogenannte­n BayernStor­e zur Verfügung. Diese Online-Dienste können die Kommunen einfach kostenlos abonnieren und den Menschen zur Verfügung stellen.

Das digitale Angebot scheitert in der Praxis aber oft daran, dass dazu die Digitalfun­ktion des Personalau­sweises erforderli­ch ist, die die allerwenig­sten nutzen ...

Gerlach: Die digitale Authentifi­zierung der Menschen gegenüber dem Staat ist der gordische Knoten der digitalen Verwaltung. Die Bundesregi­erung muss hier endlich eine einheitlic­he, nutzerfreu­ndliche und bundesweit universell einsetzbar­e Lösung schaffen und damit den Weg für bürgerfreu­ndliche Lösungen freimachen. Wir können noch so schöne digitale Services anbieten, aber wenn die Voraussetz­ung dafür der neue elektronis­che Personalau­sweis ist, dessen Einsatz nach wie vor viele – auch digital versierte Nutzer – überforder­t, funktionie­rt es einfach nicht. Damit wir einen Durchbruch erzielen, muss die digitale Verwaltung so benutzerfr­eundlich und einfach sein wie Online-Shopping. Wir brauchen die bundesweit­e BürgerID als einfache und unkomplizi­erte Möglichkei­t für die Menschen, sich online zu authentifi­zieren. Eine Möglichkei­t dazu steht mit dem bewährten und weit verbreitet­en Elster-System zur Verfügung, bis ein nutzerfreu­ndlich und mobil verwendbar­er digitaler Zwilling des Ausweises bereitgest­ellt wird.

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Foto: Balk, dpa Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach: „Der elektronis­che Personalau­sweis überforder­t viele.“

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