Das Geschäftsmodell Deutschlands wackelt
Der Außenhandel verliert an Bedeutung, die wirtschaftliche Offenheit der Länder weltweit stagniert. Das setzt die Exportnation gewaltig unter Druck. Wie man aus der Falle rauskommt.
Am Anfang stand der VWKäfer, heute sind es Audi-Limousinen oder BMW-Geländewagen, die in aller Welt als Statussymbol begehrt sind. Exportweltmeister zu sein oder zumindest Vize-Exportweltmeister, das ist ein Teil deutscher Identität. Doch das Erfolgsrezept stößt an seine Grenzen und könnte bald ausgedient haben. Zu viele Krisen setzen der Exportorientierung der deutschen Wirtschaft zu. Davor warnen die Landesbank Bayern LB und das Forschungsinstitut Prognos in einer gemeinsamen Studie. Das Geschäftsmodell Deutschlands müsse dringend an die neue Weltlage angepasst werden. „Wir müssen die rosarote Brille abnehmen, dass alles schon wieder gut wird“, sagte Jürgen Michels, Chefvolkswirt der Bayern LB.
Es gibt einige Hinweise, die wachrütteln. „Der Außenhandel mit Waren ist schon lange kein Wachstumstreiber für Deutschland mehr“, sagte Prognos-Chefvolkswirt Michael Böhmer. „Er hat nicht mehr die Bedeutung wie zum Beispiel noch vor 15 Jahren.“Konflikte wie der zwischen den USA und China und Entscheidungen wie der Brexit bremsen die Globalisierung. Zuletzt kamen Inflation, höhere Zinsen, Corona und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dazu.
Die Folge sei, dass der Offenheitsgrad der Volkswirtschaften weltweit seit Jahren stagniert; er setzt die Exporte der Länder ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. „Seit 2008 erleben wir eine Seitwärtsbewegung, hier hat sich nichts mehr getan“, erklärt Böhmer. Die Exporte steigen zwar noch, allerdings nicht stärker als das Bruttoinlandsprodukt. Diese Beobachtung gelte auch für Deutschland. Die Offenheit der chinesischen Volkswirtschaft habe sogar abgenommen.
Eine Besserung erwarten die Fachleute nicht. Denn im besten Fall schalten die Weltmächte auf ein „Weiter so“, im schlimmsten Fall kommt es zu neuen militärischen Konflikten, zum Beispiel durch einen Angriff Chinas auf Taiwan. Dies seien keine Risiken, „die fernab sind“, sagten die Chefvolkswirte. „Die Welt dürfte künftig stärker durch Konfrontation als durch Kooperation geprägt sein“, prognostizieren sie. Eine anhaltende Deglobalisierung – eine Entflechtung der Weltwirtschaft – sei zu einem realistischen Szenario geworden. Bereits heute spürten Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen die Folgen, wenn Medikamente oder Halbleiter Lieferprobleme haben.
Ist das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands also am Ende? Auf jeden Fall müsse es angepasst werden.
Einen Ausweg sehen die Studienautoren darin, andere Märkte neben China zu erschließen, auch wenn diese kleiner sind und es mühsamer wird. Beispiele seien Vietnam oder Kenia, Länder also, die ein solides Wachstum aufweisen. Der Handel mit Brasilien könnte über das Freihandelsabkommen Mercosur neue Fahrt aufnehmen. Ägypten könnte als Partner für die Energiewende eine Rolle spielen. Aufgabe der Bundespolitik sei es, den Zugang zu diesen Märkten in der zweiten Reihe mit Freihandels- und Investitionsabkommen
zu fördern. Außerdem raten die Volkswirte den Unternehmen aus dem Mittelstand, ihre Produkte für den Export zu überdenken. Das Geschäftsmodell Deutschlands könne nicht allein darin bestehen, Autos und Maschinen nach China zu exportieren, es müsse andere Produkte geben. Ein Weg seien Dienstleistungen, zum Beispiel in der Wartung und Instandsetzung von Maschinen. Zudem sei Deutschland überduchschnittlich gut aufgestellt im Verkauf von Umwelt- und Klimatechnologie, wenn es um saubere Luft, sauberes Wasser oder Recycling geht. Damit diese Produkte weiterhin zu bezahlbaren Preisen in Deutschland hergestellt werden können, sei ein rascher Ausbau günstiger, klimafreundlicher Energien wichtig.
„Deutschland ist kein hoffnungsloser Fall“, sagten die Chefvolkswirte. „Deutschland hat Chancen.“Um sie zu nutzen, müsse aber gehandelt werden.