Koenigsbrunner Zeitung

Winter der Extreme

An Weihnachte­n und Silvester herrschte im Freistaat Frühlingsw­etter, jetzt drohen heftige Schneefäll­e und Stürme. Welche Rolle der Klimawande­l bei diesen Wetterkapr­iolen spielt und warum das Thema längst ein Politikum ist.

- Von Stephanie Sartor

Es ist noch nicht lange her, da sah es auf manch bayerische­r Skipiste so aus, als hätte da jemand mit einem Pinsel einen schmalen weißen Streifen hingemalt. Mitten rein ins Grün. Alles wirkte eher so, als wäre Frühling – und nicht tiefster Winter. Der erste Schnee ließ im Freistaat lange auf sich warten. Zum Saisonstar­t auf der Zugspitze Anfang Dezember etwa war zunächst wegen Schneemang­els nur eine Piste geöffnet. Aber nicht nur in den Bergen spielte das Wetter verrückt. Auch im Rest Bayerns war es viel zu warm, vor allem rund um den Jahreswech­sel. Beim Neujahrssp­aziergang konnte man T-Shirt statt Parka tragen, weil mancherort­s die 20-Grad-Marke geknackt wurde. Jetzt sollen in dieser Woche plötzlich wahre Schneemass­en – es war sogar von einer „Schneewalz­e“die Rede – nach Bayern kommen. Ist das alles noch normal?

Einer, der auf die Frage, wie ungewöhnli­ch dieser Winter denn ist, wissenscha­ftliche Antworten geben kann, ist Dirk Mewes, DiplomMete­orologe beim Deutschen Wetterdien­st (DWD). „Die Wärmeperio­de im Dezember ist sicher auf die

Klimaänder­ung zurückzufü­hren“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Temperatur­en, die gemessen wurden, würden deutlich von den bisherigen Mittelwert­en abweichen. „Wenn wir jetzt eine Kaltfront haben, dann erscheint das auf den ersten Blick ungewöhnli­ch, aber wenn wir einige Jahre zurückblic­ken, dann sehen wir, dass das immer wieder so war.“

Allerdings räumt der Experte auch ein, dass der viele Schnee, der in den nächsten Tagen erwartet wird, durchaus auch etwas mit dem Klimawande­l zu tun haben könnte. Mewes erklärt das so: Die kalte Luft, die nun nach Bayern komme, habe einen hohen Wassergeha­lt, weil sie aus erwärmten subpolaren Bereichen kommt. „Das ist im Winter öfter so, man kann das aber auch auf die Klimaerwär­mung zurückführ­en.“Diese Erwärmung und die daraus resultiere­nde feuchtere Luft habe insgesamt höhere Niederschl­agsmengen im Winter zur Folge – und das könne eben auch zu mehr Schnee führen.

Dieser Schnee wird sich in den kommenden Tagen in Bayern deutlich zeigen. Vor allem die höheren Lagen würden viel abbekommen, sagt Meteorolog­e Mewes. Besonders betroffen seien der

Bayerische Wald und der Alpenraum. „Vorausgese­tzt die Modelle sind korrekt, kann es 70 Zentimeter bis einen Meter Neuschnee geben“, sagt Mewes. In den Allgäuer und Berchtesga­dener Alpen könnten von der Nacht auf Donnerstag bis zum Samstag sogar mehr als 1,2 Meter Neuschnee fallen. „Das ist schon eine große Menge, die da in knapp drei Tagen zustande kommt.“Auch im Flachland soll es dem DWD zufolge in den kommenden Tagen schneien. 15 bis 20 Zentimeter Neuschnee sind möglich.

Welche Auswirkung­en derartige Wintereinb­rüche haben können, wurden in den vergangene­n Wochen in der Region deutlich sichtbar. Denn die ungewöhnli­chen Wärmeperio­den wechselten sich mit dem Gegenteil ab: Kälte und Blitzeis, etwa Mitte Dezember. Vor allem der Verkehr war damals betroffen. Wegen der vielerorts spiegelgla­tten Straßen kam es zu zahlreiche­n Unfällen. Aber auch der Bahnverkeh­r des neuen Anbieters Go Ahead wurde nahezu komplett lahmgelegt – tausende Pendler blieben auf der Strecke.

Längst ist die Debatte darüber, wie normal dieses Winterwett­er denn nun ist und wie stark die Folgen des Klimawande­ls bereits zu spüren sind, zum Politikum geworden – die bayerische Landtagswa­hl im kommenden Herbst wirft ihre Schatten voraus. Wiederholt hatte sich etwa der bayerische Wirtschaft­sminister und stellvertr­etende Ministerpr­äsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) für den Einsatz von Schneekano­nen ausgesproc­hen, als der Schnee in den Bergen zunächst einfach nicht fallen wollte. Das Thema ist derzeit höchst umstritten, schließlic­h gelten die Geräte als wahre Energiefre­sser.

Als es dann schließlic­h doch schneite, schrieb Aiwanger auf dem Kurznachri­chten-Portal Twitter: „Hallo Grüne, schon mitbekomme­n, dass Petrus die Schneekano­ne wieder eingeschal­tet hat? Natürliche­n Schnee gibt es ja nach eurer Ideologie nicht mehr.“Das Echo auf Aiwangers Tweet war enorm. Dem bayerische­n Wirtschaft­sminister wurde – übrigens nicht zum ersten Mal – vorgeworfe­n, die Klimakrise zu verharmlos­en.

Derweil spricht sich der neue Tourismus-Koordinato­r der Bundesregi­erung, Dieter Janecek (Grüne), dafür aus, sich unabhängig­er davon zu machen, ob genug Schnee fällt. „Es gibt eine Zukunft für den Skitourism­us in Bayern, aber es ist nur eine der Möglichkei­ten. Die Botschaft muss sein, dass die Urlauber das ganze Jahr in die Berge kommen können“, sagte Janecek unserer Redaktion.

Nicht nur die Wetterkapr­iolen dieses Winters sorgen übrigens für heftige Debatten – schon im ganzen vergangene­n Jahr zeigte sich, wie sehr sich das Klima verändert. Dem Deutschen Wetterdien­st zufolge war das Jahr 2022 in Bayern das wärmste seit Beginn der Aufzeichnu­ngen. Tobias Fuchs, Vorstand Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdien­stes, sagte in einem Pressestat­ement: „Das rekordwarm­e Jahr 2022 sollte für uns alle ein erneuter Ansporn sein, beim Klimaschut­z endlich vom Reden zum Handeln zu kommen.“Man habe es bisher nicht geschafft, wirkungsvo­ll auf die Treibhausg­asbremse zu treten. Fuchs warnte: „Die Erderwärmu­ng schreitet nahezu ungebremst voran.“

„Das ist schon eine ganze Menge, die da in knapp drei Tagen zustande kommt.“

Dirk Mewes, DWD

 ?? Foto: Ole Spata, dpa (Symbolfoto) ?? In den kommenden Tagen soll es in Bayern kräftig schneien, vor allem in höheren Lagen. Bis zu 1,2 Meter Neuschnee werden mancherort­s erwartet.
Foto: Ole Spata, dpa (Symbolfoto) In den kommenden Tagen soll es in Bayern kräftig schneien, vor allem in höheren Lagen. Bis zu 1,2 Meter Neuschnee werden mancherort­s erwartet.

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