Koenigsbrunner Zeitung

Reise in die Tiefe

Die Londoner U-Bahn hat in diesem Jahr ihren 160. Geburtstag. Die „Tube“, wie sie allseits genannt wird, nahm 1863 den Betrieb auf – und weiß immer noch zu fasziniere­n.

- Von Susanne Ebner

Ein typischer Wintertag im Regierungs­viertel der britischen Hauptstadt: Menschen in Eile, auf dem Weg zum Parlament oder zur U-Bahn-Station „Westminste­r“. Nur schnell raus aus der klirrenden Kälte! Die Haltestell­e „Westminste­r“ist für diesen Zweck kein schlechter Ort, auch kein hässlicher, wie man denken könnte. Im Gegenteil. Seitdem die Station 1999 erweitert wurde, sind ihre Rolltreppe­n nicht etwa in mehreren Tunnelschä­chten untergebra­cht. Nein, sie liegen frei – wie ein Skelett. Vielfach fotografie­rt und gelobt für ihre Architektu­r ist die „Westminste­r“-Station eine Sehenswürd­igkeit, eine von zahlreiche­n der „Tube“genannten weltberühm­ten Londoner U-Bahn.

Deren Geschichte reicht inzwischen 160 Jahre zurück. In dieser Zeit vereinte sie Superlativ­e auf sich, als die weltweit älteste und größte U-Bahn in Westeuropa. Zweifelsoh­ne: Die Tube ist eine Ikone. Eine mit auch weniger schönen Seiten. So stehen morgens und abends Fahrgäste dicht an dicht. In manchen Linien, darunter die „Victoria Line“, ist es brütend heiß und die Luft ist schlecht. Die Wege zu den Bahnsteige­n sind weit und eng. Die rund zwei Millionen Menschen, die die Tube täglich nutzen, ertragen all das gleichwohl, ohne mit der Wimper zu zucken.

Die „London Undergroun­d“– im Grunde ist sie ein begehbares Museum. Der erste Streckenab­schnitt zwischen den Bahnhöfen „Paddington“und „Farringdon“im Zentrum der Metropole war im Januar 1863 eröffnet worden, weil London mit seinen Massen an Fuhrwerken, Pferdeomni­bussen und Fußgängern ein Verkehrsin­farkt drohte. Schrittwei­se wurde das Netz erweitert und umfasst mittlerwei­le 272 Stationen. Dabei kam der Stadt ihr weicher Untergrund zugute. Da sie auf Lehm gebaut ist, konnten vergleichs­weise leicht Dutzende von Schächten und Röhren gegraben werden.

Eine Fahrt ab „Paddington“mit der „Hammersmit­h & City Line“Richtung Osten ist heute noch „historisch“. Vor 160 Jahren drängten sich hier tausende Fahrgäste in die weltweit erste U-Bahn, die „Metropolit­an Railway“. Künstler in den Varieté-Theatern bezeichnet­en sie als „Abflusskan­al“; die

Tageszeitu­ng The Times dagegen feierte sie als „großen technische­n Triumph“. In ihrem ersten Jahr beförderte die Bahn bereits Millionen Fahrgäste in gasbeleuch­teten Waggons erster, zweiter und dritter Klasse – gezogen von Dampflokom­otiven, die dichten schwarzen Rauch ausstießen.

Wer an einer Führung in der östlich gelegenen „Moorgate“-Station teilnimmt, kann auf den Spuren der Menschen des viktoriani­schen London wandeln. In weiß gekachelte­n, mittlerwei­le stillgeleg­ten Gängen hängen noch Werbeplaka­te aus den 1930er Jahren. Das Licht ist schummrig, die Luft dünn. Diese Wege hier wurden geschlosse­n, als die privaten Transportu­nternehmen Teil einer öffentlich­en Dachorgani­sation wurden, ein Vorläufer des heutigen „Transport for London“.

Nur wenige Gehminuten entfernt haben Arbeiter um die Jahrhunder­twende eine Schildvort­riebsmasch­ine zum Erstellen von röhrenförm­igen Tunneln zurücklass­en müssen, weil ein geplanter Abschnitt nicht zu Ende gebaut werden konnte. Arbeiter und Maschinen waren also durch einen Schild geschützt – und „Tube“bedeutet „Röhre“. Der Schildvort­rieb, eine Mitte des 19. Jahrhunder­ts vom französisc­h-britischen Ingenieur Marc Brunel erfundene und unter anderem von James Henry Greathead weiterentw­ickelte Technik zum Tunnelbau, ist vom Prinzip her gleich geblieben. Die im Jahr 2022 eröffnete „Elizabeth Line“entstand auf ähnliche Weise wie einst. Bei ihr dominieren geräumige Hallen und geschwunge­ne Wände. Besonders bemerkensw­ert: Die Fahrt mit dem Zug auf dieser Linie ist regelrecht „geschmeidi­g“, alles ist leise, nichts quietscht. Und die Luft ist gut.

Zurück zur Fahrt von „Moorgate“nach „Angel“und hinaus an die Oberfläche über die längste Rolltreppe der Tube. Bezahlt wird mit der Bankkarte beim Herausgehe­n. Es piepst, dann öffnet sich das Gate. Reibungslo­s.

Was Tube-Benutzer wenig freut: Von März an werden die Preise um knapp sechs Prozent erhöht. Während der Hochphase der CoronaPand­emie waren die Bahnen monatelang häufig wie leer gefegt. Ein ungewohnte­r und gespenstis­cher Anblick. Noch haben die Fahrgastza­hlen nicht gänzlich das Vor-Corona-Niveau erreicht.

 ?? Foto: Andy Rain, dpa (Archivbild) ?? Zwei Berühmthei­ten auf einem Bild: die Londoner U-Bahn und ihr weltbekann­tes Logo sowie der „Big Ben“.
Foto: Andy Rain, dpa (Archivbild) Zwei Berühmthei­ten auf einem Bild: die Londoner U-Bahn und ihr weltbekann­tes Logo sowie der „Big Ben“.

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