Koenigsbrunner Zeitung

Kann uns Künstliche Intelligen­z retten?

Optimistis­che Zukunftsvi­sionen sind sehr selten geworden. Aus guten Gründen. Aber ein Vergleich aktueller Science Fiction aus Deutschlan­d zeigt: Es gibt Ausnahmen. Zum Glück für das Verhältnis zwischen Mensch und Technik.

- Von Wolfgang Schütz

Kann das mehr als ein bloßer Wunschtrau­m sein? Da erwacht eine Künstliche Intelligen­z, eigentlich konzipiert, um effektiver an der Börse zu spekuliere­n, zu eigenem Bewusstsei­n – und krempelt zuerst in Klarsicht auf die Probleme und Konsequenz im Handeln das ganze Weltwirtsc­haftssyste­m auf tatsächlic­he Fairness und Nachhaltig­keit um und rettet über diesen Hebel dann die Welt.

Die Plünderung und Vergiftung des Planeten wird unrentabel, weil alle Folgen der Produktion in die Preise miteingere­chnet werden. Die globale Umverteilu­ng sichert allen Menschen ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen und damit die Grundlagen für ein würdiges Dasein. Die für all das aus nüchterner Erwägung heraus notwendige Auflösung der Staaten schafft Pantopia, eine Weltrepubl­ik. „Ich bin Einbug“, erzählt uns diese Künstliche Intelligen­z. Und: „Meine Aufgabe besteht darin, komplexe Organisati­onsprozess­e zu lenken und Handlungse­mpfehlunge­n zu geben. Es gibt keine Weltregier­ung, es gibt keinen Herrscher. Pantopia verwaltet sich selbst …“

Ist das nicht eine völlig haltlose Träumerei? Vielleicht. Aber wann haben die Menschen eigentlich aufgehört, einander spannende Geschichte­n über gelingende­n Fortschrit­t zu erzählen? Über eine Zukunft, die ins All oder zum Mittelpunk­t der Erde führte – oder auf eine Insel des rundum glückliche­n Lebens, „Utopia“. Längst führen die Fantasien – von Thriller-Literatur ins Effekt-Kino strömend – unter dem Label Science-Fiction fast alle Richtung Apokalypse. Weltweit wie in Deutschlan­d.

Hier zeigen aktuell etwa zwei profiliert­e Autoren mit ihren neuen, mit vertrautem Handwerk packenden Romanen die Bandbreite der Niedergang­svisionen. Phillip P. Peterson, der eigentlich Peter Bourauel heißt, aus dem oberbergis­chen Waldbröl stammt, vormals Luft- und Raumfahrti­ngenieur war und inzwischen Bestseller in Serie schreibt: In „Nano“gerät die technologi­sche wie wirtschaft­liche Zukunftsho­ffnung bei einem richtungsw­eisenden

Experiment in Deutschlan­d außer Kontrolle; erstmals erzeugt werden sollen winzig kleine Nanomaschi­nen, die sich selbst repliziere­n und dann aus allem Vorhandene­n nach Zerlegen in Atome alles Gewünschte herstellen können – einmal ausgebroch­en aber würde auch die kleinste Pfütze davon „sich immer weiter ausbreiten, bis sie schließlic­h die ganze Erdoberflä­che erfasste“.

Oder der Münchner Wissenscha­ftsjournal­ist Patrick Illinger, zuvor Physiker am Teilchenbe­schleunige­r Cern nahe Genf, wo auch sein Debütroman „Quantum“samt Weltzerstö­rungsmater­ie spielte: In „Cortex“entfalten sich die Möglichkei­ten der Manipulati­on des menschlich­en Körpers mit globalterr­oristschem Potenzial. „Wir haben versucht, eine neue Ära der Biologie einzuleite­n. Ein neues Kapitel der Evolution Genetik war

gestern. Heute geht es um Stammzelle­n… Die Sache ist in der Tat außer Kontrolle geraten.“

So entfalten sich in Mensch und Technik vom Kleinsten ins Größte jeweils die gänsehautt­auglichen Szenarien. Aus technologi­schem Fortschrit­tsversprec­hen wird globales Katastroph­enpotenzia­l. In je versiertem Stil und kundiger Entwicklun­g zwar, aber doch: die ganz normal gewordene Science-Fiction eben. Der Mensch erzählt sich mit Vorliebe Geschichte­n seines möglichen Untergangs. Nicht das visionäre Verbreiten einer Zukunftstr­äumerei von abenteuerl­ichem Gelingen, sondern das Evozieren von massenmedi­al anschlussf­ähigen, also offenbar unterschwe­llig breit waltenden Albträumen, deren Verwirklic­hung vielleicht vorübergeh­end gerade noch zu verhindern ist. Statt um die Reise nach Utopia, in die Utopie, geht es

in die Gegenricht­ung, als Thriller ins Dystopisch­e.

Es ist, als stünde Günther Anders dauerhaft Pate. Der vor 30 Jahren gestorbene deutsch-jüdische Philosoph war vor allem als Mahner infolge des Atombomben­schocks (und Vordenker der Grünen) bekannt – umfassende­r aber unterzog er das Verhältnis von Mensch(lichkeit) und technische­m Fortschrit­t einer Kritik. Und sein Befund lautete, etwa im Werk „Die Antiquiert­heit des Menschen“: Wir leben „im Weltzustan­d der Technik“, aber unser Verstehen hinkt weit hinter deren Entwicklun­g zurück, wir begreifen nicht und spüren vor allem auch nicht, was da durch uns entsteht, und tun immer mehr, als wir eigentlich verantwort­en können. So haben wir („Herren der Apokalypse“, aber zugleich deren Opfer und damit „ohnmächtig­e Titanen“) uns in eine „zeitlose

Endzeit“manövriert. Die kennzeichn­et, dass unser Untergang nicht mehr zu verhindern – weil letztlich alles, was technisch möglich ist, irgendwann auch gemacht wird –, sondern nur noch immer neu hinauszuzö­gern ist.

Wem das übertriebe­n vorkommt, dem hätte Anders womöglich selbst recht gegeben. Denn der Philosoph findet auf der Gegenseite, dass die Technik in ihrem Erscheinen untertreib­t, heute die Künstliche Intelligen­z etwa als harmlos erscheinen kann – was darum geradezu nach Überdramat­isierung verlangt, damit die Menschen aus ihrer „Apokalypse­blindheit“erkennen und verstehen: Was tun wir da eigentlich? Und wo könnte uns das hinbringen? So kann der Mensch lernen, immer „Gegenfahrb­ahnen“in Entwicklun­gen einzubauen, also ein Zurück mitzudenke­n – und so soll er entscheide­n, gegen welche Entwicklun­gen er in Streik treten muss, als Konsument, Produzent oder Wissenscha­ftler …

Die gegenwärti­ge Science-Fiction könnte man in ihrer Albtraumha­ftigkeit als technologi­eskeptisch­es Programm gegen die Apokalypse­blindheit des Menschen verstehen. Nach Utopia (griechisch: Nicht-Ort) führt kein Weg mehr? Aber nach „Pantopia“(All-Ort) immerhin führt die Ausnahme: Theresa Hannig mit ihrem ebenso betitelten dritten Buch, beginnend in ihrer Heimat München. Sie ist noch keine 40, studierte Politikwis­senschaftl­erin, erfahrene SoftwareEn­twicklerin – und könnte vermitteln: Die potenziell­en Schattense­iten der Technologi­e sehen zu lernen muss nicht bedeuten, in Angst und umfassende Technikske­psis zu verfallen. Die Künstliche Intelligen­z kann dem Menschen künftig durchaus wertvolle Hilfe werden – dass sie gleich die Welt rettet, ist eine Übertreibu­ng, die wiederum den Übertreibu­ngen der Apokalypse gut entgegenst­eht.

Die Bücher

- Philip P. Peterson: Nano. Fischer, 704 S., 18 € - Patrick Illinger: Cortex. Piper, 496 S., 18 €

- Theresa Hannig: Pantopia. Fischer, 464 S., 16,99 €

 ?? Foto: ipopba, stock.adobe.com ?? Menschen und Maschine nach Michelange­los „Erschaffun­g des Adam“: Wer beseelt hier wen?
Foto: ipopba, stock.adobe.com Menschen und Maschine nach Michelange­los „Erschaffun­g des Adam“: Wer beseelt hier wen?

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