„Vier Stunden Medienkonsum sind normal“
Der Suchttherapeut Niels Pruin ist Vorsitzender des Vereins „Aktiv gegen Mediensucht“und gibt Eltern Tipps zum Medienkonsum ihrer Kinder. Die vier Schwabmünchner Schulen haben den Abend organisiert.
Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen: Darum drehte sich der Vortrag von Diplom-Sozialpädagoge und Suchttherapeut Niels Pruin, der Eltern dazu Tipps und Hilfestellungen an die Hand gab. Organisiert wurde die Veranstaltung von allen vier Schwabmünchner Schulen. Entsprechend groß war das Interesse der Eltern an den Ausführungen von Pruin zum Thema Medienkonsum, dem sich heutzutage niemand mehr entziehen kann. Wie können wir unsere Kinder begleiten und schützen? Das war sein Hauptthema des Abends.
Vier Stunden Medienkonsum pro Tag, also Handy, Laptop, Fernsehen und mehr, hält er heutzutage für nahezu normal. „Das hat nichts mit Sucht zu tun. Wer diesen Zeitaufwand aber jeden Tag zwingend betreibt, dann spricht
Beim Thema Ausgewogenheit sind sich Eltern und Experten einig.
man von Abhängigkeit“, so der Vorstand des Vereins Aktiv gegen Mediensucht. Er weiß, dass das Thema Mediennutzung häufig ein Streitpunkt in den Familien ist. Auch deshalb entschlossen sich die Jugendsozialarbeiter und Schulpsychologen von Grund-, Mittel- und Realschule sowie Gymnasium gemeinsam, diesen Vortrag mit Unterstützung des Fördervereins auf den Weg zu bringen.
„Es geht uns darum, einen ausgewogenen Konsum von Medien zu erreichen, Medienkompetenz zu entwickeln und den Eltern Handlungsmöglichkeiten zu geben“, so ihr gemeinsamer Tenor. Alle zusammen stellten fest, dass der Mediengebrauch durch die Coronapandemie und die viele Zeit zu Hause explodiert ist. Feststellbar sei auch in der Schule, dass bei vielen Kindern der Hang zu Depressionen, zu Ängsten und zu Selbstwertproblemen zugenommen habe.
Pruin betont, dass zum Beispiel in Computerspielen oder in den sozialen Plattformen sogenannte
Bindungsfaktoren eingebaut seien, denen sich Kinder und Jugendliche nur schlecht entziehen könne. „Natürlich gibt es auch tolle Computerspiele und soziale Medien, die man für seine Weiterentwicklung bestens nutzen kann. Man muss nur wissen wie“, erklärt der Psychotherapeut, der seit 30 Jahren in der Suchttherapie tätig ist.
Er empfiehlt Eltern, bei der Mediennutzung ihrer Kinder genau hinzuschauen, mit ihnen darüber zu sprechen, Handys kindgerecht einzustellen, auf Mobbing zu achten, Nachrichten und Fake News zu filtern und auch den eigenen Medienkonsum zu überprüfen.
„Die Kinder müssen verstehen lernen, was in den Medien vor sich geht.“Aber er betont auch: „Das Eingreifen in das Medienverhalten der Kinder verlangt Mut.“
Wie kann man nun konkret Kindern helfen? „Hobbys und sinnvolle Freizeitbeschäftigungen sind wichtig. Es sollte keine Langeweile aufkommen. Selbstbewusstsein, Sicherheit, Bindung zu anderen Menschen, Gespräche und Unterhaltungen sind notwendig. Ebenso positive Gefühle zu erleben und negative, auch Frust, bewältigen zu können, Schwachstellen des Kindes erkennen und die Stärken fördern.“Pruin ermutigte die Eltern,
sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen und danach zu handeln.
Wichtig sei grundsätzlich, Regeln aufzustellen und deren Einhaltung einzufordern. Kontraproduktiv sei es, Medienkonsum zu verbieten. „Besser ist, einen vernünftigen Umgang mit den Medien herbeizuführen und sich auch selbst daran zu halten, um als positives Vorbild zu fungieren.“
Grundsätzlich rät er Eltern, die glauben, mit dem Problem selbst nicht fertig zu werden, sich Hilfe bei kompetenten und erfahrenen Unternehmen, Selbsthilfegruppen und Vereinen zu holen. „Starke Abhängigkeit ist eine ernst zu nehmende Erscheinung, der man mit geeigneten Mitteln aber entgegenwirken kann. Sucht bleibt ein Leben lang, ähnlich wie bei einem Alkoholiker.
Sie verlangt nach professioneller Therapie, um ihre Auswirkungen möglichst gering zu halten und in den Griff zu bekommen“, so Pruin. „In Deutschland erkranken jährlich Hunderttausende Kinder und Jugendliche an einer internetbezogenen Nutzungsstörung durch Computerspiele und soziale Netzwerke“, weiß der Verein für problematische Internetnutzung und Mediensucht. Dem kann entgegengewirkt werden.