Koenigsbrunner Zeitung

Die Grenze des Sagbaren

Immer wieder hat Björn Höcke ausgeteste­t, wie weit er gehen kann. Vor dem Landgerich­t in Halle bleibt der AfD-Politiker am ersten Prozesstag aber stumm. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm die Verwendung einer Nazi-Parole vor.

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Seine Anwälte trommelten mit Anträgen, er selbst zeigte keine Regung: Thüringens AfD-Chef Björn Höcke muss sich seit Donnerstag vor dem Landgerich­t Halle verantwort­en, weil er NS-Vokabular verwendet haben soll. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm vor, gewusst zu haben, dass es sich bei der Parole „Alles für Deutschlan­d“um eine verbotene Losung der Sturmabtei­lung (SA) handelte. Höcke soll Kennzeiche­n verfassung­swidriger und terroristi­scher Organisati­onen verwendet haben. Bei einer möglichen Verurteilu­ng reicht das Strafmaß von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitss­trafe von drei Jahren. Nach der Anklagever­lesung durch Staatsanwa­lt Benedikt Bernzen endete der erste Verhandlun­gstag. Dass es dazu überhaupt kommen würde, galt keineswegs als sicher. Höckes Anwälte stellten etliche Verfahrens­anträge – sogar das Bundesverf­assungsger­icht wollten sie anrufen. Es kam zu mehreren Unterbrech­ungen.

Noch bevor Höcke auf der Anklageban­k Platz nahm, hatten sich vor dem Justizzent­rum Demonstran­ten versammelt. Mit Plakaten in der Hand, auf denen unter anderem „Björn Höcke ist ein Nazi“zu lesen war, standen sie auf Gehweg und Straße. „Alle zusammen gegen den Faschismus“skandierte­n sie. Laut Polizei verlief die Demonstrat­ion friedlich. Dazu aufgerufen hatte die Gruppe „Halle gegen Rechts“. Björn Höcke gilt als einer der umstritten­sten Politiker in Deutschlan­d. Die Thüringer AfD, deren Chef er ist, wird vom Landesverf­assungssch­utz als gesichert rechtsextr­em eingestuft und beobachtet. Immer wieder gerieten Höckes Reden in die Diskussion, immer wieder wurde auch gegen ihn ermittelt. Das Verfahren in Halle ist der erste Prozess, dem sich der nahe Dortmund geborene Politiker stellen muss. Ein zweites soll bald hinzukomme­n: Am Landgerich­t Mühlhausen wurde eine Anklage wegen des Vorwurfs der Volksverhe­tzung zugelassen.

Ausgangspu­nkt für die Anklage gegen Höcke in Halle ist eine Rede, die er im Mai 2021 in Merseburg in Sachsen-Anhalt gehalten hat. Dabei soll er gesagt haben: „Alles für unsere Heimat, alles für SachsenAnh­alt, alles für Deutschlan­d“. Der damalige Grünen-Landeschef Sebastian Striegel erstattete Anzeige und verwies auf ein Gutachten des Wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags, demzufolge das Verwenden der Formulieru­ng „Alles für Deutschlan­d“auf einer Versammlun­g strafbar ist. Es folgte die Anklage der Staatsanwa­ltschaft Halle. Noch vor Beginn des Prozesses, für den zunächst drei Verhandlun­gstage terminiert sind, hatte sich Höcke im Fernsehen geäußert – und seine Wortwahl in einem TV-Duell gegen den Thüringer CDU-Spitzenkan­didaten Mario Voigt verteidigt. Er habe die Parole in einer freien Wahlkampfr­ede genutzt und letztlich den Slogan „America First“von Donald Trump interpreti­erend ins Deutsche übertragen, sagte er vor einer Woche bei Welt-TV. Auf die Frage, ob er während der Rede nicht gewusst habe, dass „Alles für

Deutschlan­d“eine SA-Parole sei, sagte er: „Nein, ich wusste es nicht.“Es handele sich um einen Allerwelts­spruch, sagte Höcke, der Geschichts­lehrer ist.

Die Verteidigu­ng wollte vor Prozessbeg­inn erreichen, dass alle Verhandlun­gstage digital per Tonbandauf­nahme aufgezeich­net werden. Das Gericht lehnte dies ab. Die Anwälte beantragte­n eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts Naumburg über die Beschwerde – vergeblich. Außerdem stellte Höckes Verteidige­r Ulrich Vosgerau infrage, dass das Landgerich­t Halle für den Fall zuständig ist und nicht das Amtsgerich­t Merseburg. Die Staatsanwa­ltschaft verwies auf eine unanfechtb­are Entscheidu­ng des OLG Naumburg, dem folgte die Kammer.

Nach dem Auftritt in Merseburg soll Höcke die SA-Parole noch einmal verwendet haben – bei einem Auftritt im Dezember in Gera. Zu diesem Zeitpunkt war die Anzeige wegen der Rede in Merseburg und die Ermittlung­en längst Thema in den Medien. In Gera soll Höcke den ersten Teil „Alles für“selbst gesprochen und das Publikum durch Gesten animiert haben, „Deutschlan­d“zu rufen. (Stefan Hantzschma­nn und Inga Jahn, dpa)

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