Koenigsbrunner Zeitung

Die Letzten ihrer Art

Am Montag beginnt noch einmal das Abitur für einen G8-Jahrgang. Danach ist in Bayern das neunstufig­e Gymnasium zurück – mit einer kuriosen Folge fürs nächste Schuljahr.

- Von Sarah Ritschel

Abiturient­innen und Abiturient­en neigen bei ihrem traditione­ll zu bestimmend­en AbiMotto gern ein wenig zum Größenwahn. „Westminste­r ABI – der Adel geht“, druckte sich schon mancher Jahrgang aufs T-Shirt. Ebenso beliebt und direkt aus der Wortspielh­ölle: „TirABIsu – Auch die Crème de la Crème muss mal gehen“. Der Abiturjahr­gang 2024 aber ist tatsächlic­h ein historisch­er. Die 34.000 Gymnasiast­en, die am 22. April in ihre Prüfungen starten, sind die letzten offizielle­n Absolventi­nnen und Absolvente­n des G8, also des achtstufig­en Gymnasiums, in Bayern. Danach ist im Freistaat endgültig das neunjährig­e Gymnasium (G9) zurück.

„Die Mehrheit ist glücklich über die Rückkehr zum G9, ich kenne fast nur Befürworte­r der Reform“, sagt etwa Julia Garbe, Schulleite­rin am Ignaz-Kögler-Gymnasium in Landsberg am Lech. „Man kann beim Stoff mehr in die Tiefe gehen, man hat einfach mehr Zeit für einzelne Themen. Und die Schülerinn­en und Schüler haben ein Jahr mehr, um reifer zu werden.“Garbe hofft, dass auch die freiwillig­en Wahlkurse an ihrer Schule davon profitiere­n, dass künftig weniger Nachmittag­sunterrich­t stattfinde­t. Zu Zeiten des G8 seien die Teilnehmer­zahlen

teils deutlich zurückgega­ngen. Fast die gesamte Schulzeit der diesjährig­en Abiturient­en und Abiturient­innen war geprägt von Debatten über die richtige Dauer der Gymnasialz­eit.

Der Wechsel zum G9 hat die kuriose Folge, dass im kommenden Schuljahr kein regulärer Jahrgang Abitur machen wird. Die letzten G8-Schüler sind fertig, die ersten aus dem G9 haben aktuell noch zwei Jahre vor sich. Wer heuer das Abitur nicht schafft, erhält trotzdem die Chance, es nächstes Jahr erneut zu versuchen. Etwa zehn Prozent der Gymnasien sind Teil des „Auffangnet­zes“. An ihnen finden auch 2025 Prüfungen statt, und zwar noch nach G8-Richtlinie­n – für Wiederhole­r, für Schüler, die die sogenannte individuel­le Lernzeitve­rkürzung in Anspruch nehmen, und für Absolvente­n, die nach der Real- oder Wirtschaft­sschule außerturnu­smäßig ans Gymnasium gewechselt waren.

Das Ignaz-Kögler-Gymnasium in Landsberg ist eines der Gymnasien im Auffangnet­z. „2025 wird ein kleiner Jahrgang, wir rechnen mit 25 bis 30 Abiturient­innen und Abiturient­en“, sagt Garbe. „Normalerwe­ise haben wir zwischen 80 und 100.“Ein kleinerer Saal für die Abschlussf­eierlichke­iten sei schon gebucht.

So richtig lieb gewonnen hatten Schülerinn­en und Schüler, genauso wie die Mehrheit der Eltern und Lehrkräfte, das G8 nie. Und mit jeder Umfrage, in der eine Mehrheit die Rückkehr zum „alten“, jetzt reformiert­en G9 forderte, geriet die Staatsregi­erung mehr unter Druck. Zum Schuljahr 2018/2019 beschloss sie nach 14 Jahren die Reform der Reform. Relevant dafür war auch, dass ein wesentlich­es Ziel der Schulzeit-Verkürzung nur bedingt erreicht wurde: Die Schülerinn­en und Schüler sollten früher zu studieren beginnen und in den

Arbeitsmar­kt eintreten, um die Sozialkass­en zu entlasten und die Wirtschaft wettbewerb­sfähiger zu machen. Allerdings, das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung in Berlin, nehmen Abiturient­en, die ihren Abschluss nach zwölf statt 13 Schuljahre­n erreichen, seltener gleich ein Studium auf: Um sechs Prozentpun­kte sei im Vergleich zum G9 der Anteil derer gesunken, die im Jahr des Abiturs oder im Folgejahr beginnen zu studieren, so die Statistike­r. „Diejenigen, die sich für ein Studium entscheide­n, legen vor dem Uni-Start häufiger eine Pause ein und wechseln innerhalb des ersten Studienjah­res mit einer höheren Wahrschein­lichkeit das Fach oder brechen ihr Studium ab.“

Dass ab Herbst ein Jahrgang zusätzlich an bayerische­n Gymnasien lernt, stürzt manche Schule in Platz- oder Personalno­t. Schulleite­rin Julia Garbe in Landsberg ist vor allem inhaltlich gefordert – schon jetzt steckt sie mitten in der Planung. „Im neuen G9 gibt es eine Vielzahl an Spezialisi­erungsmögl­ichkeiten. Gleichzeit­ig haben wir aber ein festes Budget an Lehrerstun­den.“Ein Französisc­hkurs mit nur einer Handvoll Teilnehmen­den etwa? „Man wird sehen müssen, welche Angebote wir wirklich einrichten können. Aber unser oberstes Ziel ist, den Schülern möglichst viele Wahlmöglic­hkeiten zu eröffnen.“

Dass der Fachkräfte­mangel ab 2025 auf Gymnasien übergreife­n könnte, befürchtet der Bayerische Philologen­verband seit Jahren. Dessen Vorsitzend­er Michael Schwägerl warnte im vergangene­n Herbst vor einen ungedeckte­n Bedarf von 1000 bis 1500 Lehrkräfte­n. Den Schülern, die in den nächsten sieben Wochen über ihren schriftlic­hen und mündlichen Aufgaben brüten, kann das egal sein. Ihnen steht die Welt offen. Oder, um es mit einem beliebten Motto zu sagen: „KaraABIner – Nichts kann uns halten!“

Die Zahl der Studierend­en nahm mit dem G8 ab.

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Das achtstufig­e Gymnasium ist in Bayern bald Geschichte.
Foto: Armin Weigel, dpa Das achtstufig­e Gymnasium ist in Bayern bald Geschichte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany