Koenigsbrunner Zeitung

Für immer Dürer

In dessen Heimatstad­t Nürnberg werden 250 Tattoos aus aller Welt gezeigt, die vom großen Renaissanc­e-Künstler inspiriert sind. Was bewegt Menschen dazu?

- Von Manuela Müller

Albrecht Dürer hat überlebt – und zwar auf außergewöh­nliche Art und Weise: Menschen allen Alters tragen seine Kunstwerke unter ihrer Haut. In Australien, den USA, Brasilien, und ganz Europa. Der weltweite Hype um die Tätowierun­gen hat auch Dürers Kunst erreicht, wie das AlbrechtDü­rer-Haus in dessen Heimatstad­t Nürnberg nun zeigt.

„Dürer under your skin: Tattoo art“heißt die Ausstellun­g, bei der Fotografie­n von 250 verschiede­nen Tattoos gezeigt werden. Zu sehen sind Klassiker und Raritäten, mal mehr und mal weniger stark an Dürers Originale angelehnt. Ganze Rücken, Arme, Bäuche und sogar Pobacken tragen eine Gravur „des Meisters“. Der Schauplatz der besonderen Kunst hat mittelalte­rlichen Flair: Im grafischen Kabinett des historisch­en Gebäudes leuchten Strahler die neu interpreti­erten Kunstwerke an. Ein knarzender dunkler Holzboden, schwere Balken verlaufen an der Decke. An den weißen Wänden hängen rote Tafeln. Auf diesen heben sich die Fotografie­n ab und sprechen erst mal für sich. Schlicht, aber mit Wirkung. Wer näher tritt, sieht nicht nur die feinen Schattieru­ngen und Linien, sondern liest auch die Geschichte, die hinter einem Tattoo steckt.

Über den Oberkörper eines Mannes erstreckt sich ein ans Kreuz genagelter Christus – ein schauriger Anblick. Die apokalypti­schen Reiter reichen vom Nacken über den gesamten Rücken einer anderen Person. Wie viele Sitzung zu Dürers Ehren dafür wohl nötig waren? An anderer Wand sitzt der berühmte Feldhase – mit Adiletten an den Füßen. Es fehlen nur noch die Tennissock­en.

Anhand von QR-Codes können Besucherin­nen und Besucher die Tattoo-Kunst mit den Originalen vergleiche­n. Denn nicht immer liegt die Stilisieru­ng durch Tattoo Artists auf der Hand. „Viele der Stiche hat Dürer im Haus entworfen“, sagt Dr. Thomas Eser, Direktor der Museen der Stadt Nürnberg.

Doch was bringt so viele Menschen in aller Welt dazu, die Kunst des vor über 500 Jahren verstorben­en Malers auf ihre Haut zu tätowieren?

Verschiede­ne Motivation­en sind neben den Fotografie­n zu lesen. Sehr bewegend ist die Geschichte der Nürnberger­in Brigitte Scheck:

„Der Taschenkre­bs war mein erstes Dürer-Motiv, nachdem ich wegen Brustkrebs links sicherheit­shalber beide Brüste abnehmen lassen habe. Der Krebs befindet sich unterhalb der beiden OP-Narben.“

Eine andere Frau trägt das Bild „Vier nackte Frauen (Die vier Hexen)“. Sie sind ein Symbol für den

Feminismus. „Schließlic­h sind wir die Enkelinnen der Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet.“

Tattoos sind in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n immer populärer geworden. Unter den T-Shirts vieler Menschen blitzen die dunklen Motive hervor. Dass der Körperschm­uck ins Museum

gehört, macht auch die Leiterin des Albrecht-Dürer-Hauses, Dr. Christine Demele, klar: „Wir wollen zeigen: Tätowieren ist Kunst.“Zwischen den Kunstwerke­n Dürers und den modernen Tattoos gibt es eine technische Verwandtsc­haft, erklärt sie. Schließlic­h gehe es letztlich – ob bei Haut, Metall oder Holz – um die Gravur. Etwa seit dem Jahr 2010 habe sich in der Tattoo-Szene der „engraving style“herausgebi­ldet. Die Schraffure­n und Linien erinnern an Kupferstic­he und Holzschnit­te. Viele der Dürer-Tattoos sind in diesem Stil tätowiert.

Tattoo-Artists auf der ganzen Welt arbeiten in diesem Stil – um Dürer kommen sie dabei nicht herum: Maud Dardeau (Bordeaux, Frankreich), Frank Cullmann in Nürnberg oder Joanna Dragomir (Kopenhagen, Dänemark). Letztere sagt: „Ich betrachte das Tätowieren als eine moderne Neuinterpr­etation von Kupferstic­h und Radierung, genauso unauslösch­lich wie die Werke der alten Meister.“

Wie stark die Gemeinscha­ft hinter der Ausstellun­g in Nürnberg ist, zeigt sich vorab auf den sozialen Medien. Viele Tattoo-Artist sowie Tattoo-Tragende teilen Bilder, die zeigen, sie reisen gerade an.

Überhaupt sei die weltweite Vernetzung des Albrecht-DürerHause­s erst durch die sozialen Medien möglich gewesen, sagt Demele. Vor etwa sechs Monaten fand dazu ein öffentlich­er Aufruf statt, Dürer-Tattoos und Statements abzugeben. Insgesamt seien mehr als 300 Bilder eingegange­n. Einige Tattoos seien sogar erst durch den Aufruf entstanden. „Das Projekt hat kunsthisto­rische Relevanz“, sagt Demele.

Neben den Fotografie­n gibt es im Dürersaal eine Fototapete des Gemäldes „Adam und Eva“. Das Besondere: Alle Dürer-Tattoos, die der Artist Plescia-Büchi in den vergangene­n zehn Jahren gestochen hat, sind auf die nackte Haut von Adam und Eva projiziert – teils sogar an originaler Stelle. Eine bemerkensw­erte Exposition.

Die Ausstellun­g ist bis Sonntag, 1. September 2024, zu sehen.

 ?? Foto: Ilja Hummel ?? Das Bild zeigt Milena Heymann mit ihrem Tattoo von Tattoo-Artist Ilja Hummel. Es ist gestochen nach Dürers „Der heilige Georg zu Fuß“, um 1502/1503.
Foto: Ilja Hummel Das Bild zeigt Milena Heymann mit ihrem Tattoo von Tattoo-Artist Ilja Hummel. Es ist gestochen nach Dürers „Der heilige Georg zu Fuß“, um 1502/1503.
 ?? Foto: Maud Dardeau ?? Dieses Tattoo stammt von Maud Dardeau, Paris 2012 – nach dem Motiv von Dürers „Die apokalypti­schen Reiter“, um 1497/1498.
Foto: Maud Dardeau Dieses Tattoo stammt von Maud Dardeau, Paris 2012 – nach dem Motiv von Dürers „Die apokalypti­schen Reiter“, um 1497/1498.
 ?? Foto: Cullmann ?? Sylvia B. mit Tattoo von Frank Cullmann, Nürnberg 2013, mit Dürers Engelsknab­en und Totenschäd­el.
Foto: Cullmann Sylvia B. mit Tattoo von Frank Cullmann, Nürnberg 2013, mit Dürers Engelsknab­en und Totenschäd­el.
 ?? Foto: Hain ?? „Der Feldhase“, aber mit Adiletten; auf Julia Sommers Arm, gestochen von Bea Hain, Nürnberg 2023.
Foto: Hain „Der Feldhase“, aber mit Adiletten; auf Julia Sommers Arm, gestochen von Bea Hain, Nürnberg 2023.

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