Koenigsbrunner Zeitung

Das Mittelalte­r strahlt

Zum 1300-jährigen Jubiläum: Die Insel Reichenau feiert ihre Geschichte, deren Zeugnisse Weltkultur­erbe sind. Mönche waren Künstler, Wissenscha­ftler und Mittler des Seelenheil­s.

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Reichenau „Öffne mir die Augen, dass ich schaue die Wunder deiner Weisung! Ich bin nur Gast auf Erden. Verbirg mir nicht deine Gebote!“Mit ruhiger Stimme singen die zwei Ordensfrau­en und drei Mönche das traditione­lle Psalmengeb­et zur Mittagszei­t. Pater Stephan Vorwerk begleitet mit Zither-Klängen. Eine Ahnung von Weihrauch hängt in der mehr als ein Jahrtausen­d alten Egino-Kapelle.

„Gott in allem Tun verherrlic­hen!“, so schreibt es die Regel des Heiligen Benedikt vor. Das galt für die Mönche bei der Gründung des Reichenau-Klosters im Jahr 724 – und dies ist bis heute Anspruch der kleinen Gemeinscha­ft, die 2001 nach 200-jähriger Unterbrech­ung das benediktin­ische Leben auf die Insel zurückbrac­hte. „Anfangs haben wenige daran geglaubt“, sagt der in ein schlichtes, helles Gewand gekleidete Pater Stephan. „Aber wir sind noch da.“

Jetzt gestalten die Benediktin­er das Jubiläumsj­ahr 2024 mit. Den Auftakt bildet am Freitag ein Festakt mit Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) im Reichenaue­r Münster. Laut Legende gründete der aus Irland stammende Mönch Pirmin vor genau 1300 Jahren das erste Reichenau-Kloster. Er blieb nur kurz, doch die Reichenau entwickelt­e sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der wichtigste­n religiösen, wissenscha­ftlichen und kulturelle­n Zentren Europas im Frühmittel­alter.

Karl der Große (768–814) verlieh der Reichenau den Rang der Königsabte­i, sodass die Mönche ihr eigenes Recht sprechen durften und nur dem König untertan waren. Im Jahr 800 zählte der Konvent mehr als 100 Mönche. Die Abtei war aufs Engste mit den karolingis­chen und ottonische­n Herrschern des Reichs verbunden. „Die Reichenaue­r Mönche mischten in der Politik mit, übernahmen diplomatis­che Verhandlun­gen und waren gefragte Künstler, die wertvollst­e und kostbar verzierte Prachthand­schriften herstellte­n“, sagt Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuse­ums. „Zwar waren die Klöster immer zuallerers­t religiöse, spirituell­e Orte. Sie leisteten aber auch Bedeutende­s für Bildung und Wissenscha­ft.“

Walahfrid Strabo verfasste hier das erste Gartenbauh­andbuch. Es entstanden frühe Chroniken und Geschichts­werke. Hermann den Lahmen hielt seine schwere körperlich­e Behinderun­g nicht auf, zu einem Universalg­elehrten in Musik, Naturwisse­nschaften, Mathematik und Astronomie aufzusteig­en. Der Stephen Hawking des Mittelalte­rs.

An diese Bandbreite der kulturelle­n Leistungen der Reichenau wird die Bodenseein­sel zum 1300-Jahr-Jubliäum ab dem Wochenende mit einem breiten kulturhist­orischen Programm erinnern. Im Mittelpunk­t steht die

Landesauss­tellung in Konstanz, sie eröffnet dann am Samstag. Hier kommen weltberühm­te mittelalte­rliche Handschrif­ten, Elfenbeins­chnitzerei­en und Goldschmie­dekunst an jenen Ort zurück, an denen sie entstanden. Die Präsentati­on direkt auf der Insel scheiterte an den hohen Auflagen für Sicherheit und konservato­rischen Schutz der Objekte. Zu sehen sind sie nun im nahe der Insel gelegenen Archäologi­schen Museum in Konstanz.

Aber die Insel versteht sich keineswegs als Nebenschau­platz. Ein Podcast liefert auf unterhalts­ame Weise historisch­e Hintergrün­de. Eine multimedia­le App führt über die Reichenau und zeigt beispielsw­eise 3D-Rekonstruk­tionen der Klostergeb­äude. Die neu angelegten Klostergär­ten am Reichenaue­r Münster wollen die geschichtl­ichen Vorbilder aufgreifen und in moderner Weise interpreti­eren.

Im neuen Glanz erstrahlt die Münstersch­atzkammer: Goldpokale, Elfenbeing­efäße, der Smaragd von Karl dem Großen und edelsteinv­erzierte Reliquiens­chreine. Die beiden Restaurato­rinnen Kristina Brakebusch und Katrin Hubert haben bis zur letzten Minute gearbeitet. „Das Fasziniere­nde ist, dass viele dieser kostbarste­n Kunstobjek­te bis heute noch immer genau für den Zweck benutzt werden, für den sie hergestell­t wurden“, sagt Hubert. Die goldenen Prunkschre­ine für die Gebeine der Inselheili­gen werden bei besonderen Festprozes­sionen über die Insel getragen.

Die kleine Benediktin­er-Gemeinscha­ft hat ihren Ort in Niederzell gefunden. Und auch im hektischen Jubiläumsj­ahr wird sich am Kern ihres Gemeinscha­ftslebens nicht viel ändern: Gäste sind zu den meditative­n Gebetszeit­en in der Egino-Kapelle immer willkommen. (kna)

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Foto: Conny Pokorny, Adobe Stock Die Klosterkir­che gehört wie die Insel seit 2000 Unesco-Weltkultur­erbe.
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Foto: Felix Kästel, dpa Ein Buch aus dem Jahr 825, das auf der Insel Reichenau entstanden ist.

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