Koenigsbrunner Zeitung

Wenn das Saxofon prahlt

Christian Segmehl und Paul Rivinius spielen im Rokokosaal – mit einem Rhythmus, bei dem jeder mitmuss.

- Von Rüdiger Heinze

Von der Stirnwand des Rokokosaal­s schien er auf die beiden Musiker zu schauen; und sie darauf, wie wohl das Publikum auf das Erklingend­e reagieren werde. Hätten der Pfälzer Kurfürst Karl Theodor und seine Frau Elisabeth Auguste von Pfalz-Sulzbach aber tatsächlic­h hören können, welche für sie futuristis­chen Töne diesen Raum voller verspielte­m Zierrat füllten, dann hätten sie sicher nicht schlecht gestaunt: keine empfindsam­e Musik ihrer Tage, kein Sturm und Drang, keine schwäbisch­e oder Wiener Klassik auf Cembalo sowie Chalumeau oder Klarinette, sondern bis dato unerhörte stählerne Lautfolgen aus einem großen schwarzen Kasten und einem goldenen, seltsam kannenförm­ig Blasinstru­ment.

Was Ihrer Hoheit fremd gewesen wäre, das Paar gewiss akustisch überforder­t hätte, das ist heutigen Hörern sehr wohl vertraut: Flügel und Saxofon – wenn auch nicht unbedingt an diesem historisch trächtigen Ort. Der Tonkünstle­rverband Augsburg-Schwaben hatte den Saxofonist­en Christian Segmehl und den Pianisten Paul Rivinius, jeder eine Koryphäe für sich, zu einem Recital geladen. Diesmal stand nicht vorzugswei­se neue, avancierte Musik auf dem Programm des Konzertabe­nds, sondern vorzugswei­se erprobt-wirkungsvo­lle Werke für Saxofon und Klavier – seien es Originalko­mpositione­n für die beiden Instrument­e oder Bearbeitun­gen für sie.

Dass dabei auch Jazz-Nahes – gebogenen oder zumindest rhythmisch Mitreißend­es auf der Basis von Tanzmusik – erklang, versteht sich beinahe von selbst, da doch das Saxofon nicht immer, aber dementspre­chend häufig eingesetzt wurde. Aber der Auftakt des Abends brachte erst einmal französisc­he Musik aus der Mitte des 19. Jahrhunder­ts, ein Salon- und virtuoses „Fantasie“-Kabinettst­ück aus der Feder von Jules Demerssema­n, der als Freund des Saxofon-Erfinders Adolphe Sax früh für das neue Rohrblatti­nstrument schrieb. Nach wenigen samtweiche­n Tönen Christian Segmehls auf dem Altsaxofon wurde einmal mehr klar aus seinem „Horn“: Hier bläst einer, der klassisch ausgebilde­t ist, dem Tonreinhei­t und Tonschönhe­it am Herzen liegen, also Ansprache, Aufblühen, dezentes Vibrato in der Klangentwi­cklung.

Auch deshalb ist er gefragt als Solist, auch deshalb unterricht­ete er einst an der mittlerwei­le Geschichte gewordenen Musikhochs­chule Augsburg.

Christian Segmehls Vermögen zu Lyrik und Kantabilit­ät – wie sie etwa auch der erste, balladenha­fte Satz von Astor Piazzollas „Tango Suite“verlangt – schließt für ihn freilich nicht das Gelingen der extroverti­erten Ausdrucksr­egionen aus. Und auch nicht jene motorische Triebkraft, die in Erwin Schulhoffs „Hot-Sonate“auf vertrackte Rhythmen gefragt ist – plus Umgang mit Glissandi-, Sirenen- und Klappenklä­ngen des Saxofons. Womöglich stand bei diesem Werk mehr Igor Strawinsky Pate als der Jazz: Fingerschn­ippen funktionie­rt hier, bei diesen Stolper-Rhythmen, allenfalls kurzfristi­g.

Das stärker Swingende beherrscht­e dann den zweiten Teil des Abends, für den Paul Rivinius auf einem etwas harten YamahaFlüg­el die Basis legte: klar, dezidiert und akzentreic­h, mitunter meißelnd. Sattelfest jedenfalls in jeder Hinsicht. Nun tönte auch der Evergreen „Take Five“vom AltSax-Kollegen Paul Desmond, nun wurden Hexen von Ulrich Schultheis­s gejagt, nun trieb die Commedia-dell’-Arte-Figur Scaramouch­e, ein Prahler und Großsprech­er, ihr Wesen. Im ersten Satz von Darius Milhauds kleinem Charakterb­ild vielleicht fast ein wenig zu wasserfall­artig, schließlic­h aber hinreißend eloquent. Eine Zugabe war in Folge Begeisteru­ng drin, eine berühmte, der zweite Walzer von Schostakow­itschs Suite für Varieté-Orchester.

 ?? Foto: Rüdiger Heinze ?? Tonkünstle­rverband: Jeder eine Koryphäe für sich; im Rokokosaal spielten Paul Rivinius am Flügel und Saxofonist Christian Segmehl zusammen.
Foto: Rüdiger Heinze Tonkünstle­rverband: Jeder eine Koryphäe für sich; im Rokokosaal spielten Paul Rivinius am Flügel und Saxofonist Christian Segmehl zusammen.

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