Lokale Holocaust-Geschichte unter der Turnhalle
Auch am Jakob-Fugger-Gymnasium lassen sich Spuren der Judenvernichtung finden. Schüler und Schülerinnen präsentieren jetzt ihre Forschungsergebnisse zum Haus der Familie Herz in der Brunhildenstraße 1.
Quellen finden, sichten, einordnen – als Abiturienten des Jakob Fugger Gymnasiums vor zwei Jahren staubige Meldebögen aus dem Stadtarchiv an die Hand bekamen, wussten sie nicht, was sie erwartet. Sie und die nachfolgende, diesjährige P-Seminar-Gruppe arbeiteten mit dem Material und eröffneten jetzt eine Plakat-Ausstellung zur Brunhildenstraße 1 in einem Korridor der Schule. Der Gang führt zur Turnhalle, die auf den Trümmern des Hauses der Familie Herz steht.
Insgesamt identifizierten die Schülerinnen und Schüler 30 Menschen jüdischen Glaubens, die in den 1940er-Jahren an diesem Ort ihre letzte Meldeadresse hatten und dann entweder flohen oder deportiert und ermordet wurden. 80 Jahre sollte es dauern, bis Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums diesen Mikrokosmos der lokalen Holocaust-Geschichte aufarbeiteten und ihnen Gesichter und Namen zurückgaben. Das Haus selbst wurde im Krieg zerbombt, einziges Überbleibsel ist ein schmiedeeiserner Zaun. Informationen über die Eigentümerfamilie Herz waren bis dahin nur spärlich vorhanden. Zu den auffallend vielen vorübergehenden Bewohnern und ihre Geschichte gab es außer einigen Meldebögen des Stadtarchivs nichts.
1928 erwarb die Familie Herz das Anwesen, 1933 wurden die beiden Eigentümer, Simon und Leo, festgenommen und drei Wochen in Dachau inhaftiert. Daraufhin beschloss
die Familie, nach Frankreich zu fliehen. Nach 1934 war nur noch eine Tochter, Rosalie Herz, hier gemeldet. Die Herz’ lebten in
Dijon und verkauften das Haus 1938 über einen Kaufmann. Die erlösten 45.000 Reichsmark bekamen sie wegen der Enteignungsgesetze der Nationalsozialisten nie zu sehen. Rosalie wurde im März 1943 mit 216 weiteren Jüdinnen und Juden deportiert und in Auschwitz umgebracht. Auch ihr Neffe Emanuel, der unter dem Vichy-Regime in Frankreich noch versuchte, in die Schweiz zu fliehen, wurde 1942 in Auschwitz gefangen gehalten und dort ermordet.
Insgesamt zeichnet die Ausstellung die Geschichten von elf Familien nach. Unter ihnen Albert Emanuel (1900-1941), ein Kaufmann, der in Oettingen wohnte, nach seiner Inhaftierung in Dachau 1939 nach Augsburg, in die Bismarckstraße 10, umgesiedelt wurde, so die eine der Infotafeln. In der Brunhildenstraße 1 war er von November 1939 bis zum 17. November 1941 gemeldet. Am 15. November hatten ihn die Augsburger Nationalsozialisten in das Lager Kaunas deportiert, wo er fünf Tage später ermordet wurde. Auch aus der bekannten und wohlhabenden Stuttgarter Familie Horkheimer, die ab Ende des 19. Jahrhunderts eine Zuckerwarenhandlung in der Maximilianstraße besaß, lebte ein Angehöriger in der Brunhildenstraße. Das Haus war die letzte freiwillige Wohnadresse für Heinrich Horkheimer, der zuvor im großen Stil enteignet worden war. Der berühmte Stuttgarter Sozialphilosoph Max Horkheimer (gestorben 1973) war – und dies war ein Ergebnis der Schülerforschung – der Neffe von Heinrich. Die Ausstellung
„Erinnerungskultur an Schulen“des Jakob-Fugger-Gymnasiums soll Modell für weitere Projekte sein. Die Initiatoren dieser neuen Reihe, Udo Legner, GrünenStadtrat und Schulpfleger, sowie Peter Bommas von der Fachakademie für Sozialpädagogik, bieten Workshops für die Schüler von P-Seminaren an mit dem Ziel, die Ergebnisse mit Ausstellungen und Internet-Einträgen auch außerhalb der Seminare zugänglich zu machen.
Ein Interessent ist laut Bommas bereits gefunden: Das Maria-Theresia-Gymnasium wird im nächsten Jahr die früheren Michel-Werke in Kriegshaber und die Schicksale der dort für die Rüstungsindustrie eingesetzten Zwangsarbeiterinnen untersuchen.