Koenigsbrunner Zeitung

Lokale Holocaust-Geschichte unter der Turnhalle

Auch am Jakob-Fugger-Gymnasium lassen sich Spuren der Judenverni­chtung finden. Schüler und Schülerinn­en präsentier­en jetzt ihre Forschungs­ergebnisse zum Haus der Familie Herz in der Brunhilden­straße 1.

- Von Stefanie Schoene

Quellen finden, sichten, einordnen – als Abiturient­en des Jakob Fugger Gymnasiums vor zwei Jahren staubige Meldebögen aus dem Stadtarchi­v an die Hand bekamen, wussten sie nicht, was sie erwartet. Sie und die nachfolgen­de, diesjährig­e P-Seminar-Gruppe arbeiteten mit dem Material und eröffneten jetzt eine Plakat-Ausstellun­g zur Brunhilden­straße 1 in einem Korridor der Schule. Der Gang führt zur Turnhalle, die auf den Trümmern des Hauses der Familie Herz steht.

Insgesamt identifizi­erten die Schülerinn­en und Schüler 30 Menschen jüdischen Glaubens, die in den 1940er-Jahren an diesem Ort ihre letzte Meldeadres­se hatten und dann entweder flohen oder deportiert und ermordet wurden. 80 Jahre sollte es dauern, bis Schülerinn­en und Schüler des Gymnasiums diesen Mikrokosmo­s der lokalen Holocaust-Geschichte aufarbeite­ten und ihnen Gesichter und Namen zurückgabe­n. Das Haus selbst wurde im Krieg zerbombt, einziges Überbleibs­el ist ein schmiedeei­serner Zaun. Informatio­nen über die Eigentümer­familie Herz waren bis dahin nur spärlich vorhanden. Zu den auffallend vielen vorübergeh­enden Bewohnern und ihre Geschichte gab es außer einigen Meldebögen des Stadtarchi­vs nichts.

1928 erwarb die Familie Herz das Anwesen, 1933 wurden die beiden Eigentümer, Simon und Leo, festgenomm­en und drei Wochen in Dachau inhaftiert. Daraufhin beschloss

die Familie, nach Frankreich zu fliehen. Nach 1934 war nur noch eine Tochter, Rosalie Herz, hier gemeldet. Die Herz’ lebten in

Dijon und verkauften das Haus 1938 über einen Kaufmann. Die erlösten 45.000 Reichsmark bekamen sie wegen der Enteignung­sgesetze der Nationalso­zialisten nie zu sehen. Rosalie wurde im März 1943 mit 216 weiteren Jüdinnen und Juden deportiert und in Auschwitz umgebracht. Auch ihr Neffe Emanuel, der unter dem Vichy-Regime in Frankreich noch versuchte, in die Schweiz zu fliehen, wurde 1942 in Auschwitz gefangen gehalten und dort ermordet.

Insgesamt zeichnet die Ausstellun­g die Geschichte­n von elf Familien nach. Unter ihnen Albert Emanuel (1900-1941), ein Kaufmann, der in Oettingen wohnte, nach seiner Inhaftieru­ng in Dachau 1939 nach Augsburg, in die Bismarckst­raße 10, umgesiedel­t wurde, so die eine der Infotafeln. In der Brunhilden­straße 1 war er von November 1939 bis zum 17. November 1941 gemeldet. Am 15. November hatten ihn die Augsburger Nationalso­zialisten in das Lager Kaunas deportiert, wo er fünf Tage später ermordet wurde. Auch aus der bekannten und wohlhabend­en Stuttgarte­r Familie Horkheimer, die ab Ende des 19. Jahrhunder­ts eine Zuckerware­nhandlung in der Maximilian­straße besaß, lebte ein Angehörige­r in der Brunhilden­straße. Das Haus war die letzte freiwillig­e Wohnadress­e für Heinrich Horkheimer, der zuvor im großen Stil enteignet worden war. Der berühmte Stuttgarte­r Sozialphil­osoph Max Horkheimer (gestorben 1973) war – und dies war ein Ergebnis der Schülerfor­schung – der Neffe von Heinrich. Die Ausstellun­g

„Erinnerung­skultur an Schulen“des Jakob-Fugger-Gymnasiums soll Modell für weitere Projekte sein. Die Initiatore­n dieser neuen Reihe, Udo Legner, GrünenStad­trat und Schulpfleg­er, sowie Peter Bommas von der Fachakadem­ie für Sozialpäda­gogik, bieten Workshops für die Schüler von P-Seminaren an mit dem Ziel, die Ergebnisse mit Ausstellun­gen und Internet-Einträgen auch außerhalb der Seminare zugänglich zu machen.

Ein Interessen­t ist laut Bommas bereits gefunden: Das Maria-Theresia-Gymnasium wird im nächsten Jahr die früheren Michel-Werke in Kriegshabe­r und die Schicksale der dort für die Rüstungsin­dustrie eingesetzt­en Zwangsarbe­iterinnen untersuche­n.

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Foto: Stefanie Schoene An die Menschen jüdischen Glaubens, die im Gebäude an der ehemaligen Brunhilden­straße 1 lebten, erinnern Schüler des Jakob-FuggerGymn­asiums.

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