Koenigsbrunner Zeitung

Erfolgreic­h auch ohne Gymnasium

Die ifo-Studie bescheinig­t Bayern besonders wenig Bildungsge­rechtigkei­t. Ist der Besuch einer höheren Schule Garant für ein sorgenfrei­es Leben? Viele widersprec­hen vehement.

- Von Stephanie Sartor

Bis Hubert Aiwanger der Kragen platzte, dauerte es nicht lange. Kein Wunder – die Schlagzeil­en, die die Ifo-Studie zur Bildungsge­rechtigkei­t vergangene Woche machte, rückten den erfolgsver­wöhnten Freistaat schließlic­h in kein gutes Licht. Die Quintessen­z der Erhebung: Was die Bildungsch­ancen für Kinder aus benachteil­igten Verhältnis­sen angeht, ist Bayern bundesweit Schlusslic­ht.

In keinem anderen Bundesland hängt es so sehr vom familiären Hintergrun­d ab, ob ein Kind aufs Gymnasium geht. Aiwanger will das so nicht stehen lassen: „Dass in Bayern viele gute Schüler auf der Realschule sind und andere Länder diese Schulform gar nicht (mehr) haben, interessie­rt wohl kaum jemand“, kritisiert der Freie-WählerChef und stellvertr­etende Ministerpr­äsident auf der Plattform X. „Und dass gescheiter­te Gymnasiast­en oft schlechter dastehen als solide Hauptschul­absolvente­n, die anschließe­nd eine Lehre machen, sollte man auch bedenken“, schimpft Aiwanger weiter. Mit seiner Meinung über die Studie ist er nicht allein.

Aiwangers Parteikoll­egin und Kultusmini­sterin Anna Stolz äußert sich ähnlich. „Die einseitige Betrachtun­gsweise der ifo-Studie,

Chancenger­echtigkeit einzig und allein an den Besuchsquo­ten des Gymnasiums festzumach­en, ist mehr als fragwürdig und gesellscha­ftspolitis­ch geradezu fatal“, sagt sie nach der Veröffentl­ichung der Studie.

Auch Martin Rister, Bezirksvor­sitzender von Schwaben Nord des Bayerische­n Realschull­ehrerverba­ndes und Direktor der Realschule in Babenhause­n (Landkreis Unterallgä­u), ärgert sich: „Die Gleichsetz­ung von Lebenserfo­lg mit dem Besuch eines Gymnasiums halte ich für äußerst fragwürdig“, sagt er. „Natürlich ist es gut, dass es Gymnasien gibt – nur der Glaube, dass alles gut wird, wenn mein Kind ein Gymnasium besucht, der bildet nicht die Realität ab.“Es sei deshalb bedauerlic­h, dass die Studie des Ifo-Instituts die Vielfalt an Bildungswe­gen ignoriere, die über Realschule­n, Mittelschu­len und Wirtschaft­sschulen zum Erfolg führten.

„Immerhin erlangen in Bayern mehr als 50 Prozent der Hochschul-Zugangsber­echtigten ihre Qualifikat­ion nicht über das Gymnasium“, sagt Rister. „Der Königsweg

ist für mich der Besuch der Realschule, dann eine Lehre, vielleicht ein bis zwei Jahre Berufserfa­hrung sammeln und danach auf der BOS Abitur machen. Dann stehen mir alle Wege offen.“

„Man muss nicht unbedingt aufs Gymnasium gehen, um erfolgreic­h zu sein“, sagt auch Hansjörg Settele, Bauunterne­hmer aus Bad-Wörishofen. Er ist, wenn man so will, ein Beispiel für jemanden, der es ohne Gymnasium zu etwas gebracht hat. „Ich war damals auf der Realschule“, erzählt er. Nach der neunten Klasse brach er die Schule sogar ab, machte eine Maurerlehr­e. „Den Realschula­bschluss habe ich dann nachgeholt.“

Settele dachte auch darüber nach, auf die Fachobersc­hule zu gehen und später zu studieren. „Aber ich habe mich anders entschiede­n und bin auf die Meistersch­ule gegangen.“Rückblicke­nd sei sein Bildungswe­g gut gelaufen, sagt er. „Ich kenne auch viele andere Unternehme­r, die nicht auf einem Gymnasium waren und die heute sehr erfolgreic­h sind.“

Die Macher der ifo-Studie räumen ein, dass es nicht für jedes Kind die beste Entscheidu­ng sei, auf ein Gymnasium zu gehen. „Aber die Chance darauf sollte nicht von der Herkunft des Kindes abhängen“, schreiben die Autoren. Warum die Chancengle­ichheit anhand der Wahrschein­lichkeit, mit der Kinder mit unterschie­dlichen familiären Hintergrün­den ein Gymnasium besuchen, gemessen wird, erklären sie so: Der Gymnasialb­esuch als Bildungsma­ß sei leicht interpreti­erbar, lasse sich gut beobachten und mit dem Mikrozensu­s liege zudem ein umfangreic­her Datensatz vor, der Informatio­nen über den Gymnasialb­esuch von Kindern und Jugendlich­en in Verbindung mit ihrem familiären Hintergrun­d bereitstel­le. „Diese Datenbasis ermöglicht statistisc­h belastbare Auswertung­en für eine Bundesländ­eranalyse“, heißt es in der Studie.

Zudem stelle der Gymnasialb­esuch ein aussagekrä­ftiges Maß für die sozialen und wirtschaft­lichen Chancen eines Kindes dar. Das Abitur eröffne den Zugang zum Hochschulw­esen und ermögliche somit Bildungswe­ge, die mit lukrativen Berufsauss­ichten verbunden seien. „Tatsächlic­h verdienen Menschen mit Abitur im Durchschni­tt monatlich netto 42 Prozent mehr als Menschen ohne Abitur“, heißt es im ifo-Bericht.

Im Freistaat ist das Gymnasium die beliebtest­e Schulart, wie aus Zahlen des Bayerische­n Landesamte­s für Schule hervorgeht. Von den 110.578 Grundschul­kindern im Schuljahr 2021/22 setzen 28 Prozent ihre Schullaufb­ahn 2022/23 an einer Mittelschu­le, ebenfalls 28 Prozent an einer Realschule und 41 Prozent an einem Gymnasium fort.

Kultusmini­sterin wirft Studienaut­oren Einseitigk­eit vor.

 ?? Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa ?? Das Abiturzeug­nis eröffnet viele Möglichkei­ten. Bildungsge­rechtigkei­t mit dem Besuch eines Gymnasiums gleichzuse­tzen, wie in der aktuell veröffentl­ichten ifo-Studie, stößt aber mitunter auf harsche Kritik.
Foto: Karl-Josef Hildenbran­d, dpa Das Abiturzeug­nis eröffnet viele Möglichkei­ten. Bildungsge­rechtigkei­t mit dem Besuch eines Gymnasiums gleichzuse­tzen, wie in der aktuell veröffentl­ichten ifo-Studie, stößt aber mitunter auf harsche Kritik.

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