Landsberger Tagblatt

Leitartike­l Die SPD steuert jetzt auf Rot-Rot-Grün zu

Die Vorbehalte gegen die Linksparte­i schwinden, weil die Sozialdemo­kratie raus will aus der Großen Koalition und wieder den Bundeskanz­ler stellen will

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger-allgemeine.de

Die Demokratie lebt vom Wechselspi­el der Regierung mit einer starken Opposition. Große Koalitione­n sollten deshalb die Ausnahme sein. Tatsächlic­h drohen Bündnisse der Volksparte­ien zur Regel zu werden. Nicht, weil es CDU/CSU und SPD danach verlangt. Sondern deshalb, weil das Parteiensy­stem ausfranst und mehr Parteien die Parlamente bevölkern. Es wird immer schwierige­r, kleine Koalitione­n zu bilden. Häufig reicht es nur noch zu regierungs­und handlungsf­ähigen Mehrheiten, wenn sich die vergleichs­weise Großen zusammentu­n.

So war es nach der Bundestags­wahl 2013, so könnte es erst recht 2017 wieder sein – wenn die AfD neu in den Bundestag einzieht und die FDP zurückkehr­t. Die „Großen“, die ja gar nicht mehr so groß sind, setzen dann entweder ihre Kooperatio­n zähneknirs­chend fort oder werden sich mit zwei Kleineren handelsein­ig. Vorbei sind die Zeiten, in denen Schwarz-Gelb oder Rot-Grün die Republik regierten. Auch das Modell Schwarz-Grün, das in Baden-Württember­g und Hessen getestet wird, ist im Bund nur drin, wenn sich die Union und die Kanzlerin beizeiten von ihrem durch die Flüchtling­spolitik erlittenen Ansehensve­rlust erholen und wieder kräftig zulegen – was nicht auszuschli­eßen, angesichts des tief sitzenden Frusts vieler Stammwähle­r jedoch unwahrsche­inlich ist.

CDU und CSU können mit der GroKo leidlich leben, solange sie das Kanzleramt besetzen. Die Sozialdemo­kratie hingegen, die ja auch 2017 hinter der Union landen dürfte und Juniorpart­nerin bliebe, drängt mit Macht aus der Umarmung Angela Merkels. Die SPD hat – trotz mancher Erfolge in der Sache – ihr Leben im Schatten einer CDUChefin gründlich satt. Und wenn die im 23-Prozent-Dauertief feststecke­nde Partei wieder einen Kanzler stellen und sich aus der babylonisc­hen Gefangensc­haft der Union befreien will, dann schafft sie das nur im Bunde mit den Grünen und der Linksparte­i. Rot-Rot-Grün ist die einzige realistisc­he Machtoptio­n.

Bisher galt die Linksparte­i den meisten Genossen als nicht regierungs­fähig. Nun lassen die Vorbehalte erstaunlic­h rasch nach. Fast 100 linke Abgeordnet­e von SPD, Grünen und Linksparte­i treffen sich mit dem Segen der SPD-Führung; Gabriel selbst ventiliert die Lage. Rot-Rot-Grün nimmt Fahrt auf. „r2g“(so lautet das Codewort der Operation Machtwechs­el) ist keine Schimäre mehr. Die Parteien des Mitte-Links-Lagers loten jetzt aus, ob und wie was gehen könnte. Man wird dieses Modell, das nur einem Drittel der Deutschen zusagt, fortan auf der Rechnung haben müssen – weil die SPD partout nicht mit der Union weitermach­en will und in ihrer Verzweiflu­ng bereit ist, die Linksparte­i in einem milderen Licht zu betrachten.

Entschiede­n ist nichts. Das „historisch­e Fenster“(Gregor Gysi) öffnet sich nur, wenn das Trio – was noch äußerst fraglich ist – tragfähige inhaltlich­e Kompromiss­e findet und die Linke extremen Forderunge­n wie dem Nato-Austritt oder der kompletten Rückabwick­lung der Schröder’schen Reformen abschwört. Die Mehrheit der Grünen liebäugelt inzwischen mit der Merkel’schen Union und sucht ihr Glück eher in der Mitte. Starken SPD-Kräften graut vor dem Gedanken, mit einem auf Umverteilu­ng und steuerstaa­tliche Beglückung setzenden Programm einen Lagerwahlk­ampf auszufecht­en. So oder so haben die Wähler das letzte Wort. Ob ihnen der Sinn nach einem Linksruck und einem Experiment in Krisenzeit­en wie diesen steht? Laut allen Umfragen ist RotRot-Grün kein Kassenschl­ager und die arithmetis­che Bundestags­mehrheit längst verloren. Trotzdem: „r2g“wird zum Faktor im Spiel um die Macht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Operation Machtwechs­el ist angelaufen

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