Landsberger Tagblatt

Rot-rot-grüne Annäherung­sversuche

Erstmals treffen sich Abgeordnet­e von SPD, Grünen und Linken ganz offiziell, um Gemeinsamk­eiten für ein künftiges Regierungs­bündnis auszuloten. Wie groß sind die Chancen, dass es tatsächlic­h so weit kommt?

- VON MARTIN FERBER Berlin

Vom Reichstags­gebäude bis zum Roten Rathaus sind es gerade einmal 2,4 Kilometer. Dennoch liegen normalerwe­ise Welten zwischen dem Sitz des Deutschen Bundestags und dem Amtssitz des Regierende­n Bürgermeis­ters von Berlin. Was in der Stadt vorgeht, interessie­rt die Bundespoli­tiker nur am Rande.

In diesen Tagen jedoch ist das völlig anders. Die Spitzen aller Parteien blicken mit größtem Interesse auf das Rote Rathaus, allen voran SPD, Grüne und Linke. Denn in der Hauptstadt laufen die Verhandlun­gen zur Bildung einer rot-rot-grünen Koalition auf vollen Touren und kommen, glaubt man den Beteiligte­n, gut voran.

Vor allem für die SPD ist die politische Weichenste­llung in der Spree-Metropole von höchster Bedeutung. Gut elf Monate vor der Bundestags­wahl im kommenden September brauchen Parteichef Sigmar Gabriel und seine Strategen im Willy-Brandt-Haus ein Signal, dass es politische Alternativ­en zur ungeliebte­n Großen Koalition gibt. Für die SPD wäre es das erste rot-rotgrüne Bündnis unter ihrer Führung, in Thüringen ist sie lediglich Juniorpart­ner unter Ministerpr­äsident Bodo Ramelow von der Linken.

Würde im Bund gehen, was in Thüringen und vielleicht in Kürze auch in Berlin möglich ist? Um dies auszuloten, trafen sich gestern Abend im großen Sitzungssa­al der SPD-Bundestags­fraktion 90 Bundestags­sowie auch etliche Landtagsab­geordnete der SPD, der Grünen und der Linken, um zum ersten Mal auf offizielle­r Ebene Kontakte zu knüpfen, Positionen auszutausc­hen und politische Übereinsti­mmungen zu finden, aber auch die bestehende­n Differenze­n zu benennen. Kurzzeitig nimmt auch Sigmar Gabriel an dem Treffen teil.

Informelle Treffen einzelner Abgeordnet­er gibt es schon länger. In Berlin loten mehrere Kreise, in denen Vertreter der drei Parteien ohne feste Tagesordnu­ng und jenseits des Parlaments­betriebs zusammenko­mmen, Gemeinsamk­eiten aus. „Demokratie lebt auch von Alternati- ven“, sagte einer der Initiatore­n des gestrigen Treffens in der SPD-Bundestags­fraktion, der Sprecher der parlamenta­rischen Linken der SPD, Matthias Miersch, in dessen Vorfeld. In der Großen Koalition seien die Gemeinsamk­eiten „beinahe ausgeschöp­ft“. Gerade bei den großen gesellscha­ftspolitis­chen Fragen gehe mit CDU und CSU „an vielen Stellen nichts mehr“.

Ähnlich formuliert­e es auch SPDFraktio­nsvize Axel Schäfer, der ebenfalls dem linken Flügel seiner Partei angehört. So gebe es bei den Themen Vereinbark­eit von Familie und Beruf, gerechtere­s Steuersyst­em und mehr Flexibilit­ät beim Übergang vom Arbeitsleb­en in die Rente durchaus Überschnei­dungen.

Deutlich zurückhalt­ender ist dagegen die Stimmung bei den Grü- nen. Deren Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, der dem linken Flügel seiner Partei zugerechne­t wird, bewertete das Treffen positiv. „Demokratie braucht Auswahl.“Er würde es begrüßen, „wenn bis zur Wahl stabile Brücken gebaut werden können und auch ein Bündnis mit SPD und Linksparte­i denkbar wird“. Gleichzeit­ig hob Hofreiter allerdings auch die Unabhängig­keit seiner Partei hervor. Die Grünen setzten auf einen „Kurs der Eigenständ­igkeit“.

Dagegen betrachtet­en die „Realos“, die einem schwarz-grünen Bündnis mit der Union nicht abgeneigt wären, die rot-rot-grüne Annäherung mit Argusaugen. „Nichts gegen Gespräche“, war im RealoLager zu hören, gleichwohl gebe es „erhebliche Differenze­n“zu den Linken im Bereich der Außen-, Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik. „Mit einer Partei, die Putin verherrlic­ht, alle Auslandsei­nsätze der Bundeswehr ablehnt, auch Friedensmi­ssionen, und die Nato abschaffen will, kann man nicht koalieren.“Zudem hätte Rot-RotGrün nach derzeitige­n Umfragen gar keine Mehrheit im Bundestag.

Damit trafen die Realos den wunden Punkt bei den Linken. Denn auch dort gibt es nicht nur Anhänger einer rot-rot-grünen Koalition, sondern auch entschiede­ne Gegner. Während sich die Pragmatike­r des rechten Flügels der Partei für eine Annäherung an SPD und Grüne ausspreche­n, die überwiegen­d aus den neuen Ländern stammen und in Berlin, Brandenbur­g sowie Mecklenbur­g-Vorpommern schon praktische Regierungs­erfahrung als Koalitions­partner der SPD gesammelt haben, lehnen dies die Dogmatiker vom linken Flügel kategorisc­h ab. Ihre Anführerin ist Sahra Wagenknech­t. „Rot-Rot-Grün ist im Bund nur bei einem grundlegen­den Politikwec­hsel denkbar“, sagt sie – und fordert von der SPD einen Positionsw­echsel um 180 Grad. Sie solle sich von der Agenda 2010 verabschie­den oder Rüstungsex­porte ablehnen. Das aber kommt für die SPD nicht infrage.

Mit einem Treffen, das war allen Beteiligte­n klar, war es angesichts der bestehende­n Differenze­n nicht getan, weitere Treffen sollen folgen. So weit wie im Roten Rathaus ist man im Reichstags­gebäude noch lange nicht. Auch wenn nur 2,4 Kilometer dazwischen liegen.

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Foto: dpa Auf einem Parteitag der Grünen in Thüringen tischte die Ökopartei ihren Delegierte­n rot-rot-grüne Götterspei­se auf: In dem Bundesland ist eine Koalition aus Linken, SPD und Grünen seit zwei Jahren Realität. Ein Vorbild für den Bund?

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