Rot-rot-grüne Annäherungsversuche
Erstmals treffen sich Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken ganz offiziell, um Gemeinsamkeiten für ein künftiges Regierungsbündnis auszuloten. Wie groß sind die Chancen, dass es tatsächlich so weit kommt?
Vom Reichstagsgebäude bis zum Roten Rathaus sind es gerade einmal 2,4 Kilometer. Dennoch liegen normalerweise Welten zwischen dem Sitz des Deutschen Bundestags und dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Was in der Stadt vorgeht, interessiert die Bundespolitiker nur am Rande.
In diesen Tagen jedoch ist das völlig anders. Die Spitzen aller Parteien blicken mit größtem Interesse auf das Rote Rathaus, allen voran SPD, Grüne und Linke. Denn in der Hauptstadt laufen die Verhandlungen zur Bildung einer rot-rot-grünen Koalition auf vollen Touren und kommen, glaubt man den Beteiligten, gut voran.
Vor allem für die SPD ist die politische Weichenstellung in der Spree-Metropole von höchster Bedeutung. Gut elf Monate vor der Bundestagswahl im kommenden September brauchen Parteichef Sigmar Gabriel und seine Strategen im Willy-Brandt-Haus ein Signal, dass es politische Alternativen zur ungeliebten Großen Koalition gibt. Für die SPD wäre es das erste rot-rotgrüne Bündnis unter ihrer Führung, in Thüringen ist sie lediglich Juniorpartner unter Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken.
Würde im Bund gehen, was in Thüringen und vielleicht in Kürze auch in Berlin möglich ist? Um dies auszuloten, trafen sich gestern Abend im großen Sitzungssaal der SPD-Bundestagsfraktion 90 Bundestagssowie auch etliche Landtagsabgeordnete der SPD, der Grünen und der Linken, um zum ersten Mal auf offizieller Ebene Kontakte zu knüpfen, Positionen auszutauschen und politische Übereinstimmungen zu finden, aber auch die bestehenden Differenzen zu benennen. Kurzzeitig nimmt auch Sigmar Gabriel an dem Treffen teil.
Informelle Treffen einzelner Abgeordneter gibt es schon länger. In Berlin loten mehrere Kreise, in denen Vertreter der drei Parteien ohne feste Tagesordnung und jenseits des Parlamentsbetriebs zusammenkommen, Gemeinsamkeiten aus. „Demokratie lebt auch von Alternati- ven“, sagte einer der Initiatoren des gestrigen Treffens in der SPD-Bundestagsfraktion, der Sprecher der parlamentarischen Linken der SPD, Matthias Miersch, in dessen Vorfeld. In der Großen Koalition seien die Gemeinsamkeiten „beinahe ausgeschöpft“. Gerade bei den großen gesellschaftspolitischen Fragen gehe mit CDU und CSU „an vielen Stellen nichts mehr“.
Ähnlich formulierte es auch SPDFraktionsvize Axel Schäfer, der ebenfalls dem linken Flügel seiner Partei angehört. So gebe es bei den Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gerechteres Steuersystem und mehr Flexibilität beim Übergang vom Arbeitsleben in die Rente durchaus Überschneidungen.
Deutlich zurückhaltender ist dagegen die Stimmung bei den Grü- nen. Deren Fraktionschef Anton Hofreiter, der dem linken Flügel seiner Partei zugerechnet wird, bewertete das Treffen positiv. „Demokratie braucht Auswahl.“Er würde es begrüßen, „wenn bis zur Wahl stabile Brücken gebaut werden können und auch ein Bündnis mit SPD und Linkspartei denkbar wird“. Gleichzeitig hob Hofreiter allerdings auch die Unabhängigkeit seiner Partei hervor. Die Grünen setzten auf einen „Kurs der Eigenständigkeit“.
Dagegen betrachteten die „Realos“, die einem schwarz-grünen Bündnis mit der Union nicht abgeneigt wären, die rot-rot-grüne Annäherung mit Argusaugen. „Nichts gegen Gespräche“, war im RealoLager zu hören, gleichwohl gebe es „erhebliche Differenzen“zu den Linken im Bereich der Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik. „Mit einer Partei, die Putin verherrlicht, alle Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt, auch Friedensmissionen, und die Nato abschaffen will, kann man nicht koalieren.“Zudem hätte Rot-RotGrün nach derzeitigen Umfragen gar keine Mehrheit im Bundestag.
Damit trafen die Realos den wunden Punkt bei den Linken. Denn auch dort gibt es nicht nur Anhänger einer rot-rot-grünen Koalition, sondern auch entschiedene Gegner. Während sich die Pragmatiker des rechten Flügels der Partei für eine Annäherung an SPD und Grüne aussprechen, die überwiegend aus den neuen Ländern stammen und in Berlin, Brandenburg sowie Mecklenburg-Vorpommern schon praktische Regierungserfahrung als Koalitionspartner der SPD gesammelt haben, lehnen dies die Dogmatiker vom linken Flügel kategorisch ab. Ihre Anführerin ist Sahra Wagenknecht. „Rot-Rot-Grün ist im Bund nur bei einem grundlegenden Politikwechsel denkbar“, sagt sie – und fordert von der SPD einen Positionswechsel um 180 Grad. Sie solle sich von der Agenda 2010 verabschieden oder Rüstungsexporte ablehnen. Das aber kommt für die SPD nicht infrage.
Mit einem Treffen, das war allen Beteiligten klar, war es angesichts der bestehenden Differenzen nicht getan, weitere Treffen sollen folgen. So weit wie im Roten Rathaus ist man im Reichstagsgebäude noch lange nicht. Auch wenn nur 2,4 Kilometer dazwischen liegen.