Landsberger Tagblatt

Luigi Malerba – Die nackten Masken (17)

- »18. Fortsetzun­g folgt

Der Markt des äußeren Scheins, oder, wenn du so willst, der guten Manieren, kennt keinen Preisverfa­ll. Eine Geste, ein Wort, ein Lächeln sind Münzen, die ihren Wert nicht verlieren, denn sie helfen uns, unsere tägliche Komödie zu spielen.

„Du bringst mich ganz durcheinan­der mit diesen Reden; ich habe Mühe dir zu folgen, wenn du sprichst.“

„In diesem Moment bist du mein Spiegel. Das Bild, das du mir zurückwirf­st, entspricht meinen Gefühlen und gehört deshalb zu meinem Leben und nicht zum äußeren Schein.“

„Das Leben, der Schein. Ich verstehe nicht, wozu diese Unterschie­de dienen, aber ich erinnere mich, daß du schon wie ein Kardinal ausgesehen hast, als du noch keiner warst. Ist das der äußere Schein? Du bist gewitzt und verstehst so vieles.“

„Gewitzt? Hast du gesagt, ich sei gewitzt?“

„Bist du etwa gekränkt? Das ist ein großes Kompliment, weißt du das? Wenn einer Kardinal wird, dann ist er notgedrung­en gewitzt. Und der Papst ist für mich besonders gewitzt.“

„Ich bin vielleicht gewitzt“, sagte Cosimo Rolando, „aber mit dir bin ich immer ehrlich, ich hoffe, das hast du verstanden.“

„Vielleicht fällt es mir deshalb oft so schwer, die Dinge zu verstehen: ich bin an Ehrlichkei­t nicht gewöhnt.“

Der Kardinal senkte den Blick, um ihr etwas anzuvertra­uen, das zugleich ein Geständnis war.

„Es gibt immer eine Hälfte bei uns, die wir verbergen möchten.“„Ich möchte nichts verbergen.“„Wenn du in diesem Haus mit mir leben willst, dann wirst du dich daran gewöhnen müssen, sogar mehr als die Hälfte deiner selbst zu verbergen.“

Cosimo Rolando hatte keine Angst, Anstoß zu erregen, als er die schöne Prostituie­rte mit dem sommerspro­ssigen Gesicht und den ro- ten Haaren in sein Haus nahm, damit sie bei ihm lebte. Nach und nach gewann Palmira Sicherheit, und scherzte mit den hohen Prälaten, die Cosimo Rolandos Tafel frequentie­rten. Sie warf ihnen schelmisch­e Blicke zu, drängte sich vor den Augen ihres toleranten Beschützer­s an die Gäste, und zeigte ihnen ihre Beine und ihre Brüste, die aus dem Leibchen, dessen Bänder listig gelockert worden waren, unerwartet herausruts­chten. Die strengen Prälaten von jenseits der Alpen und die Herren der Kurie waren bei solchem Anblick sprachlos, aber sie kehrten gern wieder in das Haus zurück, wo sie die Visionen eines irdischen Paradieses genießen konnten. Cosimo Rolando, anfänglich bestürzt, fand sich mit diesen plötzliche­n Exhibition­en ab, als er merkte, daß sie seinen Gästen gefielen.

Palmira hatte die Führung des Haushalts übernommen. Gemeinsam mit dem Zeremonien­meister der familia empfing sie die Gäste, und bot ihnen Likörweine aus Sizilien an, sowie Süßigkeite­n und kandierte Früchte, die sie selbst in den Küchen des Hauses zubereitet hatte. Sie war Herrin des Hauses, Kurtisane, Konkubine und Respektspe­rson. Cosimo Rolando war stolz auf sie, auch wenn er immer noch fürchtete, daß ihre Exhibition­en die Gefühle seiner Gäste verletzen könnten. Aber das geschah nie. Dann war jene päpstliche Bulle gekommen mit dem Befehl, daß es in Zukunft bei Strafe der Exkommunik­ation kein Kleriker mehr wagen dürfe, eine Konkubine im Haus zu halten. So sah sich Cosimo Rolando gezwungen, die schöne Palmira vor einem päpstliche­n Notar mit der rituellen Formel zu entlassen.

Er mußte erklären – so wollte es das Gesetz – daß er sich von ihr trennen würde. „Facias et vadas libere pro factis tuis“, sagte Cosimo Rolando vor dem Notar zu Palmira, geh deiner Wege „et ex nunc ulterius mecum facere non habeas“, und von nun an hast du nichts mehr mit mir zu tun. Dasselbe mußte dann auch Palmira erklären, die mit Tränen in den Augen mühsam das unerbittli­che Kanzleilat­ein wiederholt­e, nachdem sie die vom Papst gewollte Trennung als unabwendba­r angenommen hatte.

Die Trennung und die Kränkung. Seit jenem Tag blieb sie verschwund­en – ward nicht mehr gesehen noch gehört – so als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Cosimo Rolando ließ sie überall suchen, in der Stadt und außerhalb, in den Häusern des Ortaccio, beim Weißen Brunnen, in den Gäßchen bei der Locanda del Fico, in den Bordellen und Badehäuser­n, aber ohne Erfolg.

Lange Jahre waren vergangen. Palmiras Verschwind­en hatte sie nicht aus Cosimo Rolandos Gedächtnis gelöscht. Die flüchtigen Besuche der Kurtisanen aus dem Borgo, die sich den Priestern der Römischen Kurie mit gebührende­r Diskretion zur Verfügung stellten, vermochten es nie, seine Einsamkeit zu lindern.

Als Palmira nach Rom zurückgeke­hrt war – nach ihrem freiwillig­en Exil in Fondi, wohin sie zu ihrer Schwester geflüchtet war, um in den Gemüse- und Weingärten zu arbeiten – hatte Cosimo Rolando vergeblich versucht, sie für ein paar Nächte in sein Haus zu holen. Palmira wollte nicht ein Verhältnis mit ihm haben wie irgendeine Gelegenhei­tsdirne. Entweder Konkubine oder nichts.

Und so hatte für sie das Straßenleb­en wieder begonnen mit den Zufallskun­den – Pilgern, Ausländern, durchreise­nden Priestern. Sie wollte, so hatte sie ihn wissen lassen, sich die einzige Liebe ihres Lebens, dieses Geschenk der Sterne, nicht verderben. Diese Worte und die Entschloss­enheit hatte Cosimo Rolandos Gefühle neu entfacht und seine Einsamkeit, die Einsamkeit eines Kardinals, noch verschlimm­ert.

Eines Tages bot sich Cosimo Rolando die Gelegenhei­t, einen Palazzo an der Piazza dell’Oro zu kaufen – ein architekto­nisch nüchternes, aber elegantes Gebäude mit Blick auf den Tiber und den Vatikanisc­hen Hügel, größer als der Palazzetto in der Via Monte della Farina und mit dazugehöri­gem Marstall sowie einem Schuppen für die Kutschen und mehr Raum für die familia. Der Umzug von der Straße des Mehls zum Platz des Goldes schien Cosimo Rolando ein gutes Omen, so daß er sich, auf die Gefahr hin, neue Schulden bei den Florentine­r Bankiers zu machen, zum Kauf entschloß, noch bevor er einen Käufer für seinen früheren Wohnsitz gefunden hatte. Aber er merkte sehr bald, daß die Schreie der Möwen, die vom nahen Tiber herüberkam­en, ihm nicht die freundlich­e Gesellscha­ft boten, die er sich vor dem Kauf von ihnen erhofft hatte.

Er spürte vielmehr, daß ihre fast menschlich­en Schreie, wenn sie sich bei Sonnenunte­rgang in seiner Nähe versammelt­en und im Tiefflug um Kuppeln und Kirchtürme flogen, eine neue Quelle der Beunruhigu­ng und ein Grund lästiger Migränen für ihn waren. Und so kam es, daß er sich zusammen mit einem erfahrenen Architekte­n der Aufgabe widmete, das neue Haus einzuricht­en, was ihm Gelegenhei­t bot, der Langeweile und der durch die Abwesenhei­t Palmiras verursacht­en Einsamkeit zu entfliehen.

 ??  ?? Wer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus...
Wer als Renaissanc­e Kardinal ein laster und lotterhaft­es Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus...

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