Und wieder etwas bigger
In Frankfurt versammelt sich wieder die internationale Buchwelt. Zur Eröffnung aber spricht ein Künstler, der gerne mit dem iPad malt: der Brite David Hockney. Passt das?
Das Schlafzimmer von David Hockney zu Hause im englischen Woldgate geht gen Osten. Die Sonne schaut also morgens herein. Und weil das so ist, greift der Künstler dann offenbar gerne vom Bett aus zum iPad und zeichnet schon einmal das, was er da so sieht: Ein Bonsai-Bäumchen auf dem Fensterbrett zum Beispiel, die Vorhänge, dazwischen und dahinter die Dächer der Nachbarn und der Himmel. „Ich kann gleich loslegen, ich brauche keinen Pinsel, keinen Spitzer, alles, einschließlich der Farben, ist da.“Also im iPad. Etwa eine Stunde dauere es, dann ist das neue Kunstwerk fertig. Toll, oder? Aber natürlich. „Das ist einfach ein tolles neues Medium“, sagt der britische Künstler, 79 Jahre alt, der mit seinen iPad-Bildern schon bei der ersten Ausstellung in London für einen Ansturm der Massen gesorgt hat.
Toll, toll, toll, also. Was das nun aber alles mit der Frankfurter Buchmesse zu tun hat? Auch da beginnt heute der alljährliche Ansturm der Massen, aber die meisten kommen natürlich nicht wegen Hockney. Es geht ja immer noch, wenn auch nicht ausschließlich, um Bücher! Präsentiert an fünf Tagen von rund 7100 Aussteller aus über 100 Ländern. Wobei Juergen Boos, Direktor der Messe, gerne von Büchern, noch lieber aber von Inhalten spricht: Content. „Als größte internationale Messe für Inhalte ist die Frankfurter Buchmesse der Ort, an dem sich die Komplexität einer zunehmend vernetzten Welt, ihre Fragmentierung aber auch ihre Vielfalt deutlich ablesen lässt“, sagte er gestern zur Eröffnung. Was das für die Besucher bedeutet? Vor allem dies: Dass auch in diesem Jahr die Buchmesse für den Einzelnen eine fünftägige Überforderung ist. Oder aber: eine mehrtägige Entdeckungsreise, bei der man am Ende die Welt durch viele neue Augen sieht. „Literatur kann helfen, die Welt zu sortieren“, so Boos: „Und die Buchmesse hilft Autoren und Verlagen bei dieser Sortierarbeit.“
Und damit wieder zu Hockney! Auch der sortiert ja mit. Von ihm jedenfalls stammt das größte und das schwerste Buch der Messe, um es genau zu sagen: 35 Kilo schwer und 600 Seiten dick, 50 mal 70 Zentimeter groß. Verlegt wird es in limitierter Auflage vom Verlag Taschen, Kostenpunkt 2000 Euro. Das Buch trägt einen wunderbar passenden Titel: „A bigger book“. Toll, toller, Hockney. Und so sieht es auch Juergen Boos, der einst ein Poster einer Collage des britischen Künstlers in seinem Studentenzimmer hängen hatte, und der sich gestern sichtlich freute, David Hockney als Eröff- nungsredner der Pressekonferenz zu begrüßen. Der nämlich personifiziere „diese Neugier, diese fortwährende Suche nach einer neuen Sicht auf die Dinge, dem größeren Bild, the bigger picture.“Das also, worum es bei der Buchmesse eigentlich geht!
Die Sicht auf die Welt – aus anderer Perspektive. In diesem Jahr vor allem aber aus der Sicht zweier Nachbarn. Niederlande und Flandern sind Ehrengäste der 68. Buchmesse; gestern reiste ein Tross Schriftsteller im Sonderzug an, darunter Bestsellerautoren wie Connie Palmen oder Leon de Winter. Abends zur feierlichen Eröffnung des Ehrengastpavillons sprachen dann auch die dazugehörigen Könige: Philippe von Belgien und Willem-Alexander der Niederlande. „Dies ist, was wir teilen“– unter dieses Motto haben die Gäste ihren Auftritt gestellt und auch von diesem Motto kommt man tatsächlich schnell wieder zu Hockney. Was bildende Kunst und Literatur verbindet, sei ja eben dies: Dass es ums Geschichtenerzählen geht, so Boos. Und dass der Kunstbetrieb sich mittlerweile denselben Fragen stellen müsse wie der Literaturbetrieb und alle anderen Kreativbranchen: Was tun, wenn es im Netz alles zu lesen, zu hören und zu besichtigen gibt, und zwar am besten kostenlos. Geteilte Probleme.
Auf „THE ARTS+“, einer neuen Kunstmesse auf dem Gelände, soll genau darüber gesprochen werden. Zu den Ausstellern zählen in diesem Jahr daher auch etliche Museen: Das Metropolitan Museum of Art zum Beispiel, aber auch das Google Cultural Institute. Nicht nur ein bigger book wird also in diesem Jahr präsentiert, sondern auch eine bigger Messe, nämlich zwei in einer. Und damit nicht genug der Kunst: Die argentinische Künstlerin Marta Minujin wird in Frankfurt mit dem Sammeln einst verbotener oder jetzt von Zensur belegter Bücher beginnen. Im nächsten Jahr bei der Documenta in Kassel soll aus etwa 100000 solcher Bücher die Installation „The Parthenon of Books“entstehen.
Kunst, Literatur, Politik. „Nie waren Buchmenschen und Kulturschaffende wichtiger als heute“, erklärte gestern Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, seine Sicht auf die Welt. Gerade jetzt brauche die Gesellschaft solche unabhängigen Ideen- und Inhaltsvermittler, die Informationen und Geschehnisse einordnen und hinterfragen. Umso erschreckender sei, dass die Meinungs-
Kunst und Literatur verbindet das Geschichtenerzählen
und Publikationsfreiheit an vielen Orten weltweit bedroht sind. „Die Freiheit des Wortes ist für uns ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Doch die Politik schweigt, schaut zu und handelt nicht.“Besonders betroffen mache die Situation der Türkei. Was der Einzelne da tun kann? Zum Beispiel die Online-Petition #Free Words Turkey unterzeichnen, die der Börsenverein zusammen mit dem PenZentrum Deutschland und Reporter ohne Grenzen gestartet hat. Mit der Petition werde die Bundesregierung und die EU-Kommission aufgefordert, die Meinungs- und Pressefreiheit kompromisslos zu verteidigen.
Wie es aber dem Buchmarkt gehe? – noch immer eine legitime Frage auf der Messe. Dem gehe es gut, sagt Riethmüller, klagt aber über anstehende Reformen des Urheberrechts. Die würden die deutsche Verlagslandschaft gefährden, im Moment besonders die Wissenschaftsverlage. Die Umsätze auf dem Buchmarkt jedoch seien stabil. Mit dem e-Book werde Geld verdient, jedoch eher weniger. Um 1,4 Prozent sei der Umsatz zurückgegangen, was an den gesunkenen Preisen für das E-Book liege. Anteil am Gesamtumsatz: 5,4 Prozent.
Und damit – noch einmal – zu den wunderbaren neuen Medien und David Hockney. Er plauderte gestern gut gelaunt und schick mit roter Krawatte und weißem Käppi, während kleine, etwa zweiminütige Filme gezeigt wurden, die die Entstehung seiner Werke auf dem iPad Strich für Strich zeigen. „Das Medium hat handfeste Vorteile“, schwärmt er. Super zum Beispiel: Man könne so oft drübermalen wie man möchte. Und müsse daher nie aufhören... Was ja irgendwie auch fürs Lesen gilt! Hockney und Buchmesse – passt doch wunderbar!