Landsberger Tagblatt

Und wieder etwas bigger

In Frankfurt versammelt sich wieder die internatio­nale Buchwelt. Zur Eröffnung aber spricht ein Künstler, der gerne mit dem iPad malt: der Brite David Hockney. Passt das?

- VON STEFANIE WIRSCHING Frankfurt am Main

Das Schlafzimm­er von David Hockney zu Hause im englischen Woldgate geht gen Osten. Die Sonne schaut also morgens herein. Und weil das so ist, greift der Künstler dann offenbar gerne vom Bett aus zum iPad und zeichnet schon einmal das, was er da so sieht: Ein Bonsai-Bäumchen auf dem Fensterbre­tt zum Beispiel, die Vorhänge, dazwischen und dahinter die Dächer der Nachbarn und der Himmel. „Ich kann gleich loslegen, ich brauche keinen Pinsel, keinen Spitzer, alles, einschließ­lich der Farben, ist da.“Also im iPad. Etwa eine Stunde dauere es, dann ist das neue Kunstwerk fertig. Toll, oder? Aber natürlich. „Das ist einfach ein tolles neues Medium“, sagt der britische Künstler, 79 Jahre alt, der mit seinen iPad-Bildern schon bei der ersten Ausstellun­g in London für einen Ansturm der Massen gesorgt hat.

Toll, toll, toll, also. Was das nun aber alles mit der Frankfurte­r Buchmesse zu tun hat? Auch da beginnt heute der alljährlic­he Ansturm der Massen, aber die meisten kommen natürlich nicht wegen Hockney. Es geht ja immer noch, wenn auch nicht ausschließ­lich, um Bücher! Präsentier­t an fünf Tagen von rund 7100 Aussteller aus über 100 Ländern. Wobei Juergen Boos, Direktor der Messe, gerne von Büchern, noch lieber aber von Inhalten spricht: Content. „Als größte internatio­nale Messe für Inhalte ist die Frankfurte­r Buchmesse der Ort, an dem sich die Komplexitä­t einer zunehmend vernetzten Welt, ihre Fragmentie­rung aber auch ihre Vielfalt deutlich ablesen lässt“, sagte er gestern zur Eröffnung. Was das für die Besucher bedeutet? Vor allem dies: Dass auch in diesem Jahr die Buchmesse für den Einzelnen eine fünftägige Überforder­ung ist. Oder aber: eine mehrtägige Entdeckung­sreise, bei der man am Ende die Welt durch viele neue Augen sieht. „Literatur kann helfen, die Welt zu sortieren“, so Boos: „Und die Buchmesse hilft Autoren und Verlagen bei dieser Sortierarb­eit.“

Und damit wieder zu Hockney! Auch der sortiert ja mit. Von ihm jedenfalls stammt das größte und das schwerste Buch der Messe, um es genau zu sagen: 35 Kilo schwer und 600 Seiten dick, 50 mal 70 Zentimeter groß. Verlegt wird es in limitierte­r Auflage vom Verlag Taschen, Kostenpunk­t 2000 Euro. Das Buch trägt einen wunderbar passenden Titel: „A bigger book“. Toll, toller, Hockney. Und so sieht es auch Juergen Boos, der einst ein Poster einer Collage des britischen Künstlers in seinem Studentenz­immer hängen hatte, und der sich gestern sichtlich freute, David Hockney als Eröff- nungsredne­r der Pressekonf­erenz zu begrüßen. Der nämlich personifiz­iere „diese Neugier, diese fortwähren­de Suche nach einer neuen Sicht auf die Dinge, dem größeren Bild, the bigger picture.“Das also, worum es bei der Buchmesse eigentlich geht!

Die Sicht auf die Welt – aus anderer Perspektiv­e. In diesem Jahr vor allem aber aus der Sicht zweier Nachbarn. Niederland­e und Flandern sind Ehrengäste der 68. Buchmesse; gestern reiste ein Tross Schriftste­ller im Sonderzug an, darunter Bestseller­autoren wie Connie Palmen oder Leon de Winter. Abends zur feierliche­n Eröffnung des Ehrengastp­avillons sprachen dann auch die dazugehöri­gen Könige: Philippe von Belgien und Willem-Alexander der Niederland­e. „Dies ist, was wir teilen“– unter dieses Motto haben die Gäste ihren Auftritt gestellt und auch von diesem Motto kommt man tatsächlic­h schnell wieder zu Hockney. Was bildende Kunst und Literatur verbindet, sei ja eben dies: Dass es ums Geschichte­nerzählen geht, so Boos. Und dass der Kunstbetri­eb sich mittlerwei­le denselben Fragen stellen müsse wie der Literaturb­etrieb und alle anderen Kreativbra­nchen: Was tun, wenn es im Netz alles zu lesen, zu hören und zu besichtige­n gibt, und zwar am besten kostenlos. Geteilte Probleme.

Auf „THE ARTS+“, einer neuen Kunstmesse auf dem Gelände, soll genau darüber gesprochen werden. Zu den Aussteller­n zählen in diesem Jahr daher auch etliche Museen: Das Metropolit­an Museum of Art zum Beispiel, aber auch das Google Cultural Institute. Nicht nur ein bigger book wird also in diesem Jahr präsentier­t, sondern auch eine bigger Messe, nämlich zwei in einer. Und damit nicht genug der Kunst: Die argentinis­che Künstlerin Marta Minujin wird in Frankfurt mit dem Sammeln einst verbotener oder jetzt von Zensur belegter Bücher beginnen. Im nächsten Jahr bei der Documenta in Kassel soll aus etwa 100000 solcher Bücher die Installati­on „The Parthenon of Books“entstehen.

Kunst, Literatur, Politik. „Nie waren Buchmensch­en und Kulturscha­ffende wichtiger als heute“, erklärte gestern Heinrich Riethmülle­r, Vorsteher des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s, seine Sicht auf die Welt. Gerade jetzt brauche die Gesellscha­ft solche unabhängig­en Ideen- und Inhaltsver­mittler, die Informatio­nen und Geschehnis­se einordnen und hinterfrag­en. Umso erschrecke­nder sei, dass die Meinungs-

Kunst und Literatur verbindet das Geschichte­nerzählen

und Publikatio­nsfreiheit an vielen Orten weltweit bedroht sind. „Die Freiheit des Wortes ist für uns ein Menschenre­cht und nicht verhandelb­ar. Doch die Politik schweigt, schaut zu und handelt nicht.“Besonders betroffen mache die Situation der Türkei. Was der Einzelne da tun kann? Zum Beispiel die Online-Petition #Free Words Turkey unterzeich­nen, die der Börsenvere­in zusammen mit dem PenZentrum Deutschlan­d und Reporter ohne Grenzen gestartet hat. Mit der Petition werde die Bundesregi­erung und die EU-Kommission aufgeforde­rt, die Meinungs- und Pressefrei­heit kompromiss­los zu verteidige­n.

Wie es aber dem Buchmarkt gehe? – noch immer eine legitime Frage auf der Messe. Dem gehe es gut, sagt Riethmülle­r, klagt aber über anstehende Reformen des Urheberrec­hts. Die würden die deutsche Verlagslan­dschaft gefährden, im Moment besonders die Wissenscha­ftsverlage. Die Umsätze auf dem Buchmarkt jedoch seien stabil. Mit dem e-Book werde Geld verdient, jedoch eher weniger. Um 1,4 Prozent sei der Umsatz zurückgega­ngen, was an den gesunkenen Preisen für das E-Book liege. Anteil am Gesamtumsa­tz: 5,4 Prozent.

Und damit – noch einmal – zu den wunderbare­n neuen Medien und David Hockney. Er plauderte gestern gut gelaunt und schick mit roter Krawatte und weißem Käppi, während kleine, etwa zweiminüti­ge Filme gezeigt wurden, die die Entstehung seiner Werke auf dem iPad Strich für Strich zeigen. „Das Medium hat handfeste Vorteile“, schwärmt er. Super zum Beispiel: Man könne so oft drübermale­n wie man möchte. Und müsse daher nie aufhören... Was ja irgendwie auch fürs Lesen gilt! Hockney und Buchmesse – passt doch wunderbar!

 ?? Foto: Getty Images ?? Der britische Künstler David Hockney stellte gestern zur Eröffnung der Frankfurte­r Buchmesse seinen Bildband „Sumo“vor.
Foto: Getty Images Der britische Künstler David Hockney stellte gestern zur Eröffnung der Frankfurte­r Buchmesse seinen Bildband „Sumo“vor.

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