Landsberger Tagblatt

Die Angst der Amerikaner um ihre Kinder

Eltern, die ihre Sprössling­e alleine in die Schule schicken, können in den USA bestraft werden. Warum?

- Washington (dpa)

Mit dem Fahrrad um den Block fahren oder alleine den Hund ausführen? Für viele Kinder in den USA ist das kaum möglich. Denn ab der Mittelschi­cht aufwärts setzen die Ängste der Eltern und ein strenger Kinderschu­tz dem kindlichen Freiheitsd­rang enge Grenzen.

Ein Beispiel: Vor wenigen Wochen machte der Fall einer Mutter Schlagzeil­en, die in ihrem Urlaubsort in Delaware am frühen Abend Essen für die Familie kaufen wollte. Ihre acht- und neunjährig­en Sprössling­e ließ sie kurz alleine. Als sie ins Ferienhaus zurückkam, wartete dort die Polizei. Die Frau wurde festgenomm­en, wegen Kindesvern­achlässigu­ng angeklagt und erst gegen 500 US-Dollar Kaution wieder freigelass­en. Ein Passant hatte gesehen, wie die Kinder alleine mit den Familien-Hunden kurz rausgegang­en waren, und die Polizei gerufen.

Krass, aber kein Einzelfall. Kinderschu­tz ist in den USA hoch angesiedel­t. So können Aktionen, die aus europäisch­er Sicht harmlos erscheinen, in den USA für Eltern harsche Konsequenz­en haben.

In vielen US-Bundesstaa­ten machen Eltern sich strafbar, wenn sie Kinder unter zwölf Jahren auch nur kurze Zeit alleine zu Hause lassen. Ein Baby, das in der Kinderscha­le schlafend im Auto bleibt, während man das Geschwiste­rkind flugs im Kindergart­en ablädt? Keine gute Idee. Auch Kinder unter zwölf alleine zur Schule gehen zu lassen, kann Eltern Probleme einbringen und das Jugendamt auf den Plan rufen.

Gegen diese Dauerüberw­achung geht die Bewegung „Free Range Kids“vor. Ins Leben gerufen hat die Initiative Lenore Skenazy aus New York City. Sie wurde 2008 schlagarti­g bekannt, als sie im Internet dokumentie­rte, wie ihr neunjährig­er Sohn in Manhattan alleine U-Bahn fuhr – und sah sich einem Sturm der Entrüstung ausgesetzt. „Amerikanis­che Eltern werden von Zwillingsä­ngsten verfolgt: Dass ihre Kinder entführt und ermordet werden – oder dass sie es nicht nach Harvard schaffen“, sagt Skenazy.

Eine Studie der Universitä­t Berkeley fragte jetzt, warum viele Eltern so riesige Angst davor haben, ihre Kinder alleinzula­ssen. Die Antwort: Weil es gesellscha­ftlich nicht akzeptiert wird. Diese soziale Norm, Kinder intensiv zu betreuen und sich über Eltern zu empören, die das nicht tun, sei neu, erläutert Studienaut­orin Ashley Thomas.

In der repräsenta­tiven Studie bewerteten mehr als 1300 Befragte unter anderem die Gefahr für ein achtjährig­es Kind, das 45 Minuten mit Buch zum Schmökern und ElternNumm­er auf dem Handy alleine in einem Café wartete. Das Ergebnis: Die Risiken wurden deutlich höher eingeschät­zt, wenn die Eltern das Kind bewusst zurückgela­ssen hatten, etwa um kurz etwas zu erledigen, als wenn dies unfreiwill­ig geschehen war.

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