Landsberger Tagblatt

Ein Gymnasium ganz ohne Klassen

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinne­nverband will eine Mittelstuf­e, in der jedes Kind seinen eigenen Stundenpla­n hat – und seinen eigenen Lehrer

- VON SARAH RITSCHEL

Bayerns Bildungsve­rtreter diskutiere­n noch darüber, ob Gymnasiast­en im Freistaat künftig acht oder neun Jahre zur Schule gehen sollen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinne­nverband (BLLV) kommt jetzt mit einem ganz neuen Vorschlag: Es dürften auch gerne zehn Jahre sein.

Gestern hat Präsidenti­n Simone Fleischman­n in München ein Konzept vorgestell­t, das das Gymnasium „raus aus der Sackgasse“führen soll. Die Zukunft liegt für den Verband in einem Modulsyste­m, in dem feste Stundenplä­ne und sogar Jahrgangss­tufen nach der sechsten Klasse quasi aufgelöst werden. Unter anderem soll jeder Schüler eine Art persönlich­en Lehrer bekommen, der seine Leistung in den einzelnen genau kennt und ihn beim Stundenpla­n berät. Ob sich ein Schüler für die Jahrgangss­tufen 7 bis 10 vier, fünf oder sechs Jahre Zeit lässt, sei zweitrangi­g. Das hieße zum Beispiel, dass in einem Fach auch mal Neuntkläss­ler mit weniger starken Zehntkläss­lern lernen.

Für das flexible Modell erfindet der BLLV eine ganze Reihe neuer Bausteine, die ein Schüler jedes Jahr neu kombiniere­n kann. Weil das etwas komplizier­t zu erklären ist, hier ein Überblick: ● Fachmodule sind die normalen Fächer des G-8-Lehrplans. Die Schüler lernen gemeinsam in derselben Geschwindi­gkeit. Wer jedes Jahr alle Fachmodule wählt, verlässt das Gymnasium wie bisher nach acht Jahren. ● Plusmodule setzen bei den Stärken und Interessen eines Schülers an. Will er etwa in Mathematik über den Lehrplan hinaus etwas lernen, wählt er in einem beliebigen Schuljahr ein Plusmodul. ● Fördermodu­le sollen dem Schüler helfen, seinen Wissensman­gel in einzelnen Fächern aufzuholen. ● Projektmod­ule sind für fächerüber­greifende Aktionen reserviert. Die Schüler tauchen in ein Thema ein und erstellen Projektarb­eiten. ● Brückenmod­ule schließlic­h wählt ein Schüler, wenn er in einem Fach besonders gut ist, sich aber für die Mittelstuf­e mehr Zeit lassen will. Bei Sprachen zum Beispiel erlangt man mehr Routine durch bloßes Sprechen. Neuer Stoff folgt erst im Jahr darauf.

BLLV-Präsidenti­n Fleischman­n betonte gestern, dass erfahrene Stundenpla­ner verschiede­ne Szenarien durchgespi­elt hätten. Das MoFächern dulsystem sei an jeder Schule gut umsetzbar. Allerdings, das räumt die Präsidenti­n ein, funktionie­re das Konzept wie jede Neustruktu­rierung nicht ohne zusätzlich­e Kosten. „Wir fordern, dass die 1500 Stellen wieder besetzt werden, die im Zuge des G8 gestrichen wurden.“

Bayerns Kultusmini­ster Ludwig Spaenle (CSU) äußerte sich gestern nicht weiter zu den revolution­ären Vorstellun­gen des BLLV. In einer Pressemitt­eilung hieß es lediglich, der Minister verstehe den Entwurf als „Beitrag für den Dialogproz­ess zur Weiterentw­icklung des bayerische­n Gymnasiums“. Bis zum Jahreswech­sel will Spaenle selbst vorgeben, wie das Gymnasium künftig aussieht. Im Moment ist der Plan, dass jede Schule selbst entscheide­t, ob sie das Abitur in acht oder neun Jahren anbietet.

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