Jeder gegen jeden
Alle Parteien im Landtag sehen in der AfD eine Bedrohung der Stabilität im Land. Eine Form, ihren Streit auszutragen, ohne die Demagogen zu stärken, finden sie bisher nicht
Wer Bayern so mag, wie es ist, hat allen Grund, sich Gedanken zu machen. In besonderer Weise gilt das für die Abgeordneten der vier Landtagsfraktionen, die sich in den kommenden beiden Wochen zu ihren Winterklausuren treffen. Zwar wird der neue Landtag erst im Herbst 2018 gewählt. Doch schon mit dem Bundestagswahlkampf dieses Jahr stellt sich für die vier Fraktionen die Frage nach der richtigen Strategie – und zwar auf eine ganz neue Weise. Es geht dabei – wie immer in Wahlkämpfen – zunächst um Prozente und Machtoptionen. Doch damit ist es nicht getan. Es geht auch um die politische Kultur im Land.
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten in der Sache hat die Arbeitsteilung zwischen Regierung und Opposition in den vergangenen Jahrzehnten dem Freistaat immense Vorteile gebracht: wertvolle Arbeitsplätze, relativen Wohlstand und ein hohes Maß an innerer Sicherheit, aber auch echte Fortschritte in der Sozial-, Bildungsund Umweltpolitik. Das lag auch daran, dass die regierende CSU – auch wenn sie das nicht gerne zugibt – immer wieder Vorschläge der Opposition aufgegriffen hat: Kinderkrippen sind für Konservative kein sozialistisches Teufelszeug mehr, und dass die Atomkraft mit dem gefährlichen Müll, den sie hinterlässt, keine zukunftsträchtige Technologie ist, ist längst Konsens.
Doch mittlerweile überdeckt die Debatte über die Flüchtlingspolitik fast vollständig alle landespolitischen Themen. Energiewende, Gymnasium, Familienförderung, Landesentwicklung – all das ist im Streit um Zuwanderung, Integration und Obergrenzen in den Hintergrund getreten. Und mit der AfD ist ein Konkurrent aufgetaucht, der das System als Ganzes attackiert – als das „links-grün versiffte PolitikEstablishment“, zu dem die AfD ausdrücklich auch die CSU zählt.
Unmittelbare Folge des politischen Rechtsrucks ist ein kompletter Wandel der Perspektiven für die Politik im Landtag. Die CSU muss wegen der AfD und möglicherweise auch wegen einer wieder erstarkenden FDP um ihre absolute Mehrheit fürchten. Gleichzeitig ist eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Freien Wählern, wie sie 2013 zumindest möglich schien, völlig undenkbar geworden. Unter den drei Oppositionsparteien hat das schon jetzt zu einer Entfremdung geführt.
Hubert Aiwanger, der Chef der Freien Wähler, hat sich der CSU als Koalitionspartner „unter bestimmten Bedingungen“bereits angeboten. Er sieht große Gemeinsamkeiten mit den Christsozialen vor allem auf dem Feld der inneren Sicherheit. Aiwanger kann sich Umfragen zufolge aber nicht sicher sein, dass die Freien Wähler es erneut in den Landtag schaffen. Er hofft, mit einer „soliden Politik der Mitte“punkten zu können, die die Interessen des ländlichen Raums, der Kommunen und der regionalen, mittelständischen Wirtschaft ins Zentrum rückt.
Die Grünen sind, was eine mögliche Regierungsbeteiligung in Bayern betrifft, völlig außen vor. Alle Träume, gegen die CSU oder zur Not auch mit der CSU eine Regierung bilden zu können, sind im Moment ausgeträumt. Die Grünen wollen sich deshalb auf ihre klassischen Themen wie Umweltpolitik und nachhaltige Entwicklung konzentrieren und in der Flüchtlingspolitik auf der Achtung der Menschenrechte beharren. „Da weichen wir nicht ab“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann.
Bei der SPD redet öffentlich niemand über eine mögliche Koalition mit der CSU, obwohl den meisten Sozialdemokraten klar ist, dass sie sich, wenn die Umstände es erfordern, nicht verweigern würden. Sie stellen sich, wie SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher es formuliert, auf einen „polarisierten Wahlkampf“ein, in dem es aus ihrer Sicht darum gehen muss, die Gegensätze deutlich zu machen. Die CSU, so Rinderspacher, laufe der AfD hinterher und mache sie damit nur stark. Er sieht es deshalb als Aufgabe und Chance der SPD an, sich um „die solidarische Mitte der Gesellschaft“zu kümmern.
In der CSU ist die Mehrheit der Abgeordneten der Überzeugung, dass das Land nur stabilisiert werden kann, wenn die Probleme, die mit der starken Zuwanderung von Flüchtlingen entstanden sind, schnell gelöst werden. Parteichef Horst Seehofer und Fraktionschef Thomas Kreuzer beharren auf einem Dreiklang an Forderungen: Die Zuwanderung müsse massiv begrenzt, Flüchtlinge ohne Bleiberecht müssten konsequent abgeschoben, Flüchtlinge mit Bleiberecht gut integriert werden. Dahinter steckt die Überzeugung, dass diejenigen, die das nicht verstehen, die AfD erst stark machen.
Das tiefer liegende Problem aller vier Parteien im Landtag ist, dass sie noch keine Form gefunden haben, ihren Meinungskampf auszutragen, ohne Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten zu schütten. Es gruselt zwar von der CSU bis zu den Grünen jedem aufrechten Demokraten beim Blick nach Österreich oder Frankreich. Die Bedrohung eines erfolgreichen Systems durch Demagogen wird durchaus ernst genommen. In der politischen Praxis in Bayern aber herrscht im Moment das Prinzip jeder gegen jeden.
Beim Blick nach Österreich gruselt es allen Demokraten
Wörth